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Hippiesker Schluss mit freier Blumenfreundin

Robert ist gerade erst Punk geworden und hat westdeutschen Provinzmief gegen Berliner Großstadtluft getauscht. Es folgt ein Irrsinn mit Irokesenschnitt. Außerdem neu diese Woche: ein Mann in Frauenkleidern, eine französische Drei-Generationen Familie und eine kirgisische Erin Brokovich.

Von Jörg Albrecht | 25.03.2015
    Die Schauspieler Alexander Scheer (als Blixa Bargeld, l-r), Marc Hosemann (als Nick Cave) und Tom Schilling (als Robert) in einer Szene des Films "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!".
    Die Schauspieler Alexander Scheer (als Blixa Bargeld, l-r), Marc Hosemann (als Nick Cave) und Tom Schilling (als Robert) in einer Szene des Films "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!". (picture alliance / dpa / Nik Konietzny)
    "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk" von Oskar Roehler
    "Ich war ohne einen Pfennig Geld in Berlin angekommen ... Und ich ganz von unten anfangen konnte."
    Frei und voller Tatendrang kommt Robert nach West-Berlin. Er hat den Provinzmief gegen ein Leben mit Irokesenschnitt getauscht. Sein erstes Geld verdient er mit dem Reinigen von Peepshow-Kabinen. Robert aber hat andere Ambitionen. Schließlich floriert das Geschäft mit Drogen Anfang der Achtzigerjahre.
    Nicht nur der von Tom Schilling gespielte Protagonist streift durch die West-Berliner Subkultur. Auch Oskar Roehlers Film irrt ziellos von einer Szene zur nächsten. Dabei bekommen Roberts neue Freunde ebenso ihre grell-überzeichneten Auftritte wie seine versoffenen Eltern.
    "Schön hast du es hier. No hope, no future. Gefällt mir. Hast du das dahin geschrieben? – Nein, habe ich nicht. - Hätte mich auch gewundert"
    Für Oskar Roehler ist Filmemachen immer auch Therapie gewesen. Und so überrascht es nicht, dass Hannelore Hoger als Mutter wie auch alle anderen Figuren Abziehbilder von Personen aus Roehlers eigener Biografie sind - inklusive Robert als sein Alter Ego. Doch die Karikatur treibt die Dinge hier nicht auf die Spitze, sie verkommt nur zur plumpen und derben Farce.
    "Wer sich erinnert, hat nichts erlebt. Kennst du den Spruch nicht?"
    Besser wäre es gewesen, auch Oskar Roehler hätte sich an weniger erinnert.
    "Tod den Hippies!! Es lebe der Punk": zwiespältig.
    "Eine neue Freundin" von François Ozon
    "Laura war meine beste Freundin. Es war Liebe. Seit unserer ersten Begegnung."
    Mit einer Beerdigung beginnt François Ozons Film "Eine neue Freundin". Der plötzliche Tod ihrer besten Freundin ist für Claire ein Schock. Doch David, Lauras Mann, wird für Claire von Tag zu Tag mehr die Rolle der Verstorbenen einnehmen. Nicht zuletzt, weil sie sein Geheimnis entdeckt. Ihrem Ehemann erzählt Claire davon allerdings nichts.
    "Gehst du nicht ran? .... Hallo! ... Wieso rufst du mit dieser Nummer an? Bist du verrückt? - Entschuldige bitte! Aber ich wollte sicher sein, dass du rangehst. ... Wir telefonieren nachher wieder. Sehr gut. Ich komme später bei dir vorbei. - Wer war das? - Diese Freundin aus der Schulzeit, von der ich dir erzählt habe ... Sie ist anstrengend. ... Wie heißt sie? - Virginia."
    David wird zu Virginia und François Ozons Film, der auf einer Kurzgeschichte der englischen Schriftstellerin Ruth Rendell basiert, immer mehr zu einem Melodram mit ironischen Untertönen. Dabei hält Ozon ganz bewusst die sexuellen Präferenzen und Anziehungspunkte seiner beiden Hauptdarsteller in der Schwebe. "Eine neue Freundin" ist ein kunstvoll gestalteter Film über die Suche nach der eigenen Identität und den Bruch mit tradierten Geschlechterrollen.
    "Eine neue Freundin": empfehlenswert.
    "Zu Ende ist alles erst am Schluss" von Jean-Paul Rouve
    "Sie ist verschwunden. - Sie geht ganz einfach weg? Wie ist das möglich? Seit wann genau ist Oma verschwunden? - Na ja, das wissen wir nicht genau."
    Oma ist aus dem Seniorenheim getürmt, ihr Sohn überfordert mit seinem neuen Leben als Rentner und der Enkel auf der Suche nach der großen Liebe. Eine ganz normale Familie also mit Problemen, Sorgen und Träumen. Glücklicherweise ist dieser Drei-Generationen-Film keine Til-Schweiger- oder Matthias-Schweighöfer-Produktion, in der Komik nur Klamauk bedeutet und ernste Momente unaufrichtig sind. "Zu Ende ist alles erst am Schluss" ist eine optimistische, immer leicht wehmütige Gesellschaftskomödie mit einem wunderbaren Michel Blanc als überspanntem Neu-Rentner.
    "Zu Ende ist alles erst am Schluss": akzeptabel.
    "Flowers of Freedom" von Mirjam Leuze
    Tanklastzüge donnern durch die Hochgebirgsregionen Kirgisistans. Ihre Ladung: Cyanide. Mithilfe der Blausäureverbindungen wird in der größten Goldmine des Landes das Edelmetall aus dem Gestein herausgelöst. Ein für die Umwelt wie für die Menschen gefährliches Verfahren.
    Die Dokumentarfilmerin Mirjam Leuze erzählt in "Flowers of Freedom" von den Frauen eines kirgisischen Dorfes, deren Leben seit einem Unfall mit der Chemikalie nicht mehr dasselbe ist. Als 1998 einer der LKW verunglückt und die Cyanide im Wasser landen, erkranken immer mehr Bewohner der Region, Dutzende sterben an den Folgen.
    Beim Tee unterhalten sich die Frauen des Dorfes darüber, wie viele Menschen bereits gestorben seien. In der Runde sitzt auch Erkingül Imankodjoeva. Die Stellungnahme der Minenbetreiber und Politiker, dass Cyanide völlig harmlos seien, hat die gelernte Textilingenieurin damals wütend gemacht. Seitdem kämpft sie als Umweltaktivistin für Entschädigungen. Ein Kampf, der anfangs aussichtslos schien und nicht ungefährlich war.
    "Flowers of Freedom" verknüpft das Geschehen, das ein wenig an den Film "Erin Brockovich" erinnert, mit den politischen Umwälzungen des Landes und den ganz persönlichen Emanzipationsgeschichten mutiger Frauen. Zeitweise zwar etwas holprig erzählt, gelingt Mirjam Leuze dennoch ein spannender Film über Widerstand und Zivilcourage.
    "Flowers of Freedom": empfehlenswert.