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In der Warteschleife

Ein abgetauchter Song-Poet bestimmt das Beziehungsleben eines Paares in der Verfilmung von Nick Hornbys Roman "Juliet, Naked". Eine Wohnung in Belgrad ist Schauplatz des Dokumentarfilms "Die andere Seite von allem". Von einer Frau auf Arbeitssuche handelt die Charakterstudie "Reise nach Jerusalem".

Von Jörg Albrecht | 14.11.2018
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    Die arbeitssuchende Alice macht ein Selfie im Film "Reise nach Jerusalem" (filmperlen)
    Ob "High Fidelity", "About a Boy" oder "A Long Way Down": Viele Geschichten von Nick Hornby gibt es nicht nur in gedruckter Form. Sie sind auch verfilmt worden. Obwohl der britische Schriftsteller immer wieder auch selbst Drehbücher schreibt, überlässt er die Adaptionen der eigenen Romane meist anderen. Das gilt auch für "Juliet, Naked", der neuesten Verfilmung eines Hornby-Buchs, die morgen in die Kinos kommt. Außerdem starten der Dokumentarfilm "Die andere Seite von allem" und das Spielfilmdebüt "Reise nach Jerusalem".
    Ein verschwundener Rockmusiker
    "Stundenlang haben wir über Filme, Bücher und Musik gequatscht. Wie sich herausgestellt hat, ist er schon ewig in einen Mann verliebt."
    Seitdem Annie mit Duncan zusammen ist – und das sind immerhin schon 15 Jahre, teilt sie ihn mit einem unsichtbaren, dafür aber unüberhörbaren Konkurrenten. Der Lebensgefährte ist völlig vernarrt in die Songs von Tucker Crowe, einem verschwundenen Rockmusiker. Dessen Andenken jedoch hält Duncan täglich in Ehren.
    "Er ist der Anführer einer Community von 200 mittelalten Männern, die wie besessen die Musik ihres Helden analysieren und versuchen, hinter sein Geheimnis zu kommen."
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    Der britische Schriftsteller Nick Hornby (picture alliance / dpa / Facundo Arrizabalaga)
    Als Duncan die Demoaufnahmen des Tucker-Crowe-Albums "Juliet" in die Hände fallen und er sich vor Begeisterung kaum einkriegt, reicht es Annie. Sie meldet sich auf der Website der Crowe-Community kritisch zu Wort. Von unerwarteter Seite erhält Annie per E-Mail Zustimmung.
    "Nagel auf den Kopf getroffen. Ich hätte es nicht besser erklären können. Alles Gute, Tucker Crowe."
    Es ist der Beginn einer Freundschaft, von der Annie Duncan kein Sterbenswörtchen erzählt. Je öfter sie und Tucker miteinander chatten, desto sympathischer sind sich die Beiden. Erst in der virtuellen Welt, später dann auch in der realen, in der auch eine Begegnung Tuckers mit Duncan nicht lange auf sich warten lässt.
    "Duncan Thomson."
    "Tucker Crowe."
    "Das wollte ich dir die ganze Zeit sagen."
    "Ich bin Stevie Fucking Wonder."
    "Okay, bleib ganz locker, ja!"
    "Wer willst du sein? Eartha Fucking Kitt?"
    Wie in vielen seiner Romane variiert Nick Hornby in "Juliet, Naked" sein Lieblingsthema von den Männern mittleren Alters, die einfach nicht erwachsen werden können. Mit dem Unterschied, dass der Autor diesmal mit Annie eine Frauenfigur ins emotionale Zentrum rückt. Rose Byrne spielt sie an der Seite von Chris O´Dowd und Ethan Hawke in einer wunderbar lakonischen Ménage-à-trois.
    "Juliet, Naked": empfehlenswert
    Eine tief gespaltene Stadt
    Mitten im Zentrum von Belgrad liegt sie: die Wohnung von Srbijanka Turajlić, Mathematikprofessorin und Mitglied der ersten demokratischen Regierung Serbiens. Seit ihrer Geburt lebt die heute 72-Jährige in dem Haus. Ein stummer Zeitzeuge der wechselvollen Geschichte einer Stadt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg hielt der Sozialismus auch bei Familie Turajlić Einzug. Ihre Wohnung wurde aufgeteilt.
    Sie selbst, erzählt Srbijanka Turajlić, könne sich nicht mehr an die Zeit erinnern. Sie sei noch zu klein gewesen. Aber ganz Belgrad habe damals einer geteilten Wohnung geähnelt. Eine Stadt – tief gespalten zwischen Bürgertum und Proletariat.
    Blick auf Serbiens Hauptstadt Belgrad.
    Blick auf Serbiens Hauptstadt Belgrad. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Nach ihren Lebenserinnerungen wird Srbijanka Turajlić von ihrer Tochter Mila befragt, der Regisseurin von "Die andere Seite von allem". Klug verwebt diese ihre Gespräche mit Archivmaterial. Auch 2008 lief ihre Kamera, als es in Belgrad zu Massenprotesten gegen die Unabhängigkeit des Kosovo kam.
    Dieses Land sei einfach nicht normal, stellt Mila fest. Während sie Angst hat, will sich ihre Mutter, die den Beginn einer neuen Diktatur fürchtet, wehren und Stellung beziehen.
    "Die andere Seite von allem" verbindet nachhaltig die Geschichte einer politisch engagierten Frau mit der eines zerrissenen Landes. Srbijanka Turajlić mahnt weiterhin, die noch junge Demokratie zu verteidigen.
    "Die andere Seite von allem": empfehlenswert
    Ein Leben in der Warteschleife
    "Hallo, ich bin Alice. Ich bin 39 Jahre alt. Ich bin Freitexterin und Redakteurin, arbeite zurzeit selbstständig für verschiedene Kunden. Ja, das war's."
    Unermüdlich und unbeirrbar versucht Alice seit Jahren, einen Job zu bekommen, von dem sie leben kann. Was sie als "selbstständige Arbeit für verschiedene Kunden" beschreibt, sind prekäre Arbeitsverhältnisse, für die Alice oft nur mit Gutscheinen statt mit Geld entlohnt wird. Wie es wirklich um sie steht, ahnen aber weder ihre Eltern noch ihre Freunde, denen Alice die erfolgreiche Freiberuflerin vorspielt.
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    Eva Löbau in Lucia Chiarlas Film "Reise nach Jerusalem" (Filmperlen)
    "Mensch, ich habe dich ewig nicht mehr gesehen. Wo hast denn du dich versteckt?"
    "Ich hatte einfach viel zu tun in letzter Zeit."
    Das Leben von Alice ist ein Leben in der Warteschleife oder - wie es schon der Titel des Films von Lucia Chiarla deutlich macht - eine "Reise nach Jerusalem". Bislang ist für Alice kein Stuhl übriggeblieben.
    "Bitte warten! Bitte warten!"
    Ob im Jobcenter, beim Bewerbungstraining oder während des Abendessens mit den Eltern: Die bitteren Momente fügen sich hier zu einer tragikomischen Charakterstudie zusammen. Das hat oft etwas von Realsatire. Für Alice-Darstellerin Eva Löbau, die praktisch in jeder Szene zu sehen ist, eine Tour de Force. Kaum ein Filmcharakter in letzter Zeit hat mehr Empathie wecken können als Alice auf der Suche nach dem Wunderland namens Arbeitsplatz.
    "Reise nach Jerusalem": empfehlenswert