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Kampf gegen die inneren Dämonen

Von musikalischen Genies und ihrer Selbstzerstörung erzählen gleich zwei Filme, die in dieser Woche ins Kino kommen: Der Spielfilm "Born to be Blue" ist ein Porträt des Jazztrompeters Chet Baker und "Whitney - Can I be me" dokumentiert das Leben der Sängerin Whitney Houston.

Von Jörg Albrecht | 07.06.2017
    Ethan Hawke als Jazztrompeter Chet Baker, mit Sonnenbrille und schwarzem Anzug im spärlichen Licht eines einzelnen Scheinwerfers (Bild: Alamode Film / Born to be Blue)
    Ethan Hawke spielt Chet Baker mit großer Empathie (Alamode Film / Born to be Blue)
    "Willst Du wahre Liebe spüren? Willst Du mit mir high werden?" - "Nein, ich will nicht mit Dir high werden." - "War nur ein Scherz." - "Wie konntest Du nur damit anfangen?"
    Was bleibt noch, wenn es nicht einmal die große Liebe schaffen kann, dass man den Drogen abschwört? Für den Jazztrompeter Chet Baker gehört Heroin zum Alltag - zunächst auf dem Höhepunkt seiner Karriere, um die Sinne zu erweitern, später dann, um seine körperlichen und seelischen Schmerzen zu betäuben. Auf diese Zeit - Mitte der 1960er-Jahre - konzentriert sich "Born to be Blue" von Robert Budreau.
    "Es gibt nur die Trompete oder nichts"
    Baker sitzt in der Badewanne. Während er versucht, Töne aus seinem Instrument herauszupressen, spuckt er Blut. Kurz vorher ist er zusammengeschlagen worden und hat alle seine Zähne verloren. Für einen Trompeter das Ende.
    "Wolltest du dich umbringen, weil du nicht mehr Trompete spielen kannst?" - "Ja." - "Du kannst doch viel mehr." - "Mein Name ist Chet Baker. Ich bin einer der größten Trompeter meiner Generation." - "Es gibt nur die Trompete oder nichts?" - "Ja."
    Regisseur und Drehbuchautor Budreau erlaubt sich in seiner Chet-Baker-Story durchaus eine Reihe künstlerischer Freiheiten mit fiktiven Personen und erfundenen Handlungssträngen. Das ist nicht nur völlig legitim, es schärft auch - im Stil einer Paraphrase - den Blick auf einen Künstler, der, selbst in seinen dunkelsten Stunden, dem Leben mit einer erstaunlichen Lässigkeit begegnet ist. Ethan Hawke spielt diese Momente mit großer Empathie.
    "Born to be Blue" erzählt die Ballade von einem großen Jungen, der doch nur Musik machen wollte und dabei seinen Halt verloren hat. Robert Budreau ist ein lebendiges, intimes Porträt gelungen, das seinem Protagonisten keinen Heiligenschein aufsetzt.
    Die Sängerin Whitney Houston, fotografiert während eines Konzertes in Hannover am 16.05.2010. Foto: Holger Hollemann / dpa
    Pathologie und Pathos - nur einen Wimpernschlag entfernt (dpa / Holger Hollemann)
    Es beginnt mit dem Ende. Der Mitschnitt eines Telefonats ist zu hören. Ein Angestellter des "Beverly Hilton"-Hotels in Beverly Hills teilt der Rettungsstelle mit, dass die Frau, die in der Badewanne ihrer Suite liegt, nicht mehr atmet. Die Tote ist Whitney Houston. Als Todesursache wird zwar Ertrinken festgestellt, aber auch der Missbrauch von Drogen soll - das ergibt die Autopsie - dabei eine Rolle gespielt haben.
    "People say Whitney died from overdose of drugs. Whitney Houston was drugged out. I know Whitney Houston actually died from a broken heart. She died from a broken heart."
    Für Kevin Ammons, einem Freund der Sängerin, sei es keine Überdosis gewesen, die Whitney Houston umgebracht hat. Er glaube fest daran, dass sie an einem gebrochenen Herzen gestorben ist.
    "Oh my god, they're booing me"
    Wenn kurz darauf die Kamera das Gesicht der Sängerin bei einem Konzert 1999 in Frankfurt am Main in den Fokus nimmt, während sie ihren Hit "I will always love you" performt, wird schnell klar: Pathologie und Pathos sind im Dokumentarfilm "Whitney - Can I be me" nur einen Wimpernschlag voneinander entfernt. Die Montage der Bilder und Töne entfaltet von Anfang an eine Sogwirkung. Informatives und Spekulatives über die Künstlerin wechseln sich ab. Mithilfe von Interviews mit Weggefährten und Familienmitgliedern sowie Archivmaterial setzt sich ein Puzzle zusammen, das die eine Frage zu beantworten versucht: Woran ist Whitney Houston zerbrochen?
    "It is horrible. It's kind of funny, you go, 'Are they booing me?' You have to sit there and be, like, cordial, and be smiling like everything's okay, and you're feeling like, 'Oh my God, they're not booing me, are they?'"
    Wir hören die Sängerin, wie sie davon berichtet, dass die schwarze Community sie ausgebuht und als Verräterin gebrandmarkt hat, weil sie eine Verräterin und ihre Musik weißgewaschen sei. Wir erfahren über ihre angebliche lesbische Beziehung zu ihrer Assistentin Robyn Craword und Details zu ihrer verhängnisvollen Ehe mit dem Musiker Bobby Brown. Immer wieder sind auch Drogen ein Thema.
    "Is it marijuana? It is cocaine? Is it pills?" - "It has been, at times"
    "Whitney - Can I be me" ist ein Film über den Kampf gegen die inneren Dämonen und die selbstzerstörerischen Kräfte: fesselnd und traurig, sehr traurig. Und dem sehenswerten Dokumentarfilm "Amy", über die Sängerin Amy Winehouse, ebenbürtig.
    "Whitney – Can I be me" und "Born to be Blue": beide empfehlenswert.