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Leidenschaft, Lust und Schrecken

Von den Anfängen des Fußballs in England als Arbeitersport erzählt die Serie "The English Games", von den Abgründen der kleinstädtischen Provinz der Spielfilm "I See You". Und das Werk des französischen Filmemachers Éric Rohmer wurde fürs Heimkino digital neu aufgelegt.

Von Hartwig Tegeler | 01.04.2020
Ein Mann und eine Frau unterhalten sich auf einer Strandpromenade
Pascal Gregory und Rosette in Éric Rohmers Film "Pauline am Strand" aus dem Jahr 1983 (www.imago-images.de (Courtesy Everett Collection))
"Wir werden gewinnen. Wenn wir sie nicht auf ihre Art spielen lassen."
1879 wird Fußball in seiner Wiege, in England, vor allem vom Adel betrieben.
"[Anpfiff.] Gentlemen ..."
Die Serie "The English Game" beginnt 16 Jahre nach der Gründung der FA, des ersten Fußballverbandes der Welt; historisch maßgeblich daran beteiligt, die Regeln des modernen Fußballs zu formulieren. Eine lautet: Die Spieler dürfen an sich nicht bezahlt werden. Doch der Textilfabrikant und Besitzer des Arbeiterclubs Darwen FC heuert die beiden Stars Fergus Suter und Jimmy Love für Geld an. Denn er spürt die Begeisterung seiner Arbeiter für diesen Sport. Die adligen Kicker sind "not amused":
"Das waren noch Zeiten, als Fußball ein Spiel der Gentlemen war."
So ist das Fußballspiel in der sechsteiligen Serie immer auch Klassenkampf.
"Zehn Minuten! Oder der Sieg ist unser."
"Und bei wem wollen Sie das geltend machen?"
"Etwa beim FA-Komitee?"
"Bei der Presse. Dann wird jedermann erfahren, was für faire Gentlemen Sie doch sind."
Doch nur ein historisches Fußballmärchen
Julian Fellowes, Autor von "The English Game", hat auch den Kinofilm "Downton Abbey" geschrieben. Und sich damit als Spezialist des "gediegenen" britischen Gesellschaftsbildes empfohlen. "The English Game" haftet aber die gleiche Idealisierung wie der aristokratischen Soap-Opera "Downton Abbey" an. Soziale Konflikte - …
"Dann schlage ich als Vorsitzender eine weitere Lohnkürzung für die Weber vor. Das ist wohl der beste Weg, um Einsparungen zu machen."
… solche Konflikte sind mit dem nächsten Tor wieder vergessen. So verkommt die Serie zum historischen Fußball-Märchen.
"The English Game" ist als Stream auf Netflix zu sehen.
Adam Randalls Film "I See You" hat den deutschen Untertitel "Das Böse ist näher als du denkst". Durchaus treffend, denn Regisseur Randall zeichnet ein dunkles Bild der amerikanischen Provinz.
"I See You" erzählt mehrere Geschichten gleichzeitig, die am Ende in einer aberwitzigen Volte zusammenlaufen: Da ist einmal das unerklärliche Verschwinden von zwei kleinen Jungen.
"Er fährt ganz allein durch den Wald."
"Er ist zehn, das ist alt genug."
Verblüffende neue Perspektive
Dann ist da die Affäre, die die Ehefrau des ermittelnden Polizisten Greg Harper hatte und die seine Familie zu zerstören droht. Und schließlich entwickelt das Haus, in dem Greg, Jackie und Sohn Connor leben, scheinbar ein Eigenleben. Mit plötzlich zufallenden Türen:
"Wirklich sehr witzig, aber jetzt mach die Tür auf!"
Vorstadt-Pathologie, ein unheimliches Haus, und schließlich kommt noch eine Prise Home-Invasion-Thriller dazu: Denn da sind zwei junge Leute, die sich im Haus einnisten, ohne dass Greggs Familie das merkt. So bekommt die Story von "I See You" eine verblüffende neue Perspektive. Verbunden mit dem dramaturgischen Trick, dass ab Mitte des Films alles quasi aus diesem neuen Blickwinkel noch einmal erzählt wird. Das Böse, sprich: die Psychopathologie des Kleinbürgers, erweist sich nun als sehr irdisch.
"I See You" von Adam Randall ist als Video-on-demand erschienen.
Éric Rohmer, 2010 verstorben, gilt als einer der wichtigsten französischen Filmemacher. 1982 erzählte er die Geschichte der 15-Jährigen Pauline, die mit ihrer älteren Cousine Marion im Ferienhaus der Familie den Sommer verbringen will.
"Willst du nicht an den Strand gehen?"
"Ja, um zu schwimmen. Aber es ist dort nicht so schön, dass man bleiben möchte."
"Ich habe Lust, an den Strand zu gehen."
Wirrungen und Irrungen der Liebe und der Lust
Dort trifft Pauline im Film "Pauline am Strand" Marions ehemaligen Liebhaber. Es entspinnt sich ein Reigen zwischen alten und neuen Bekannten und Liebhabern oder Noch-nicht-Geliebten oder Schon-Geliebten. Souverän und wie immer mit leichter Hand inszeniert Éric Rohmer die Wirrungen und Irrungen der Liebe und Lust. Diesem dritten Teil seines Zyklus´ "Komödien und Sprichwörter" hat er das Sprichwort vorangestellt: "Wer zu viel redet, verliert sich selbst." Davon können die Figuren im Rohmer-Kosmos allerdings ein Lied singen. Auch in "Das grüne Leuchten" von 1986 aus dem Zyklus "Komödien und Sprichwörter". Die einsame Sekretärin in Paris bekommt von ihrer Freundin, die den gemeinsamen Urlaub abgesagt hat, die Leviten gelesen:
"Allein bist du jedenfalls."
"Was gibt’s denn da zu lachen."
"Findest du das komisch, ganz allein zu sein?"
"Ich finde es nicht lustig, aber eine Lösung ist es auch nicht, wenn ich mit einer Gruppe verreise."
"Aber klar ist das eine Lösung, wenn man was unternimmt."
Aura der Improvisation
Éric Rohmers Studie über eine junge Frau, die sich nie dazu gehörig fühlt, lebt – wie viele Rohmer-Filme - von der Aura der Improvisation. Das titelgebende "grüne Leuchten" übrigens könnte das Zeichen dafür sein, dass sich die Sehnsucht der junge Frau nach Liebe erfüllt. Aber weit weg von Hollywood ist nie ausgemacht, ob es ein Happyend wirklich gibt.
Die Éric-Rohmer-Zyklen "Komödien und Sprichwörter", "Moralische Erzählungen" und "Erzählungen der vier Jahreszeiten" sind als DVD-Edition jetzt neu aufgelegt.