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Neue Filme
Listig, manisch-depressiv und dysfunktional

Seit seinem ersten Spielfilm "I Killed my Mother" wird der Kanadier Xavier Dolan gern als Wunderkind des Kinos bezeichnet. Dolans neuer Film "Einfach das Ende der Welt" kommt diese Woche in die deutschen Kinos. Außerdem starten die italienische Tragikomödie "Die Überglücklichen" sowie die Jane-Austen-Verfilmung "Love & Friendship".

Von Jörg Albrecht | 28.12.2016
    Kate Bekinsdale (r) als Lady Susan Vernon und Chloe Sevigny als Mrs. Alicia Johnson in einer Szene des Films "Love & Friendship"
    Kate Bekinsdale (r) als Lady Susan Vernon und Chloe Sevigny als Mrs. Alicia Johnson in einer Szene des Films "Love & Friendship" (BLINDER FILMS CHIC FILMS REVOLVE / France Cinema/dpa)
    "Love & Friendship": empfehlenswert
    "Ich gebe zu neugierig zu sein, diese Dame und ihre legendären Verzauberungskünste kennenzulernen."
    Eine Neugierde, die man von Lady Susans erstem Auftritt an nachvollziehen kann. Und was sind das für Auftritte, wenn die schöne Witwe die Räume betritt!
    "Lady Susan Vernon! – Wie können Sie es wagen mich anzusprechen, Sir? – Aber Lady Susan! – Gehen Sie, Sir! Sonst lasse ich sie auspeitschen. – Ungeheuerlich! Hast du ihn schon mal gesehen? – Ja, ich kenne ihn gut. Ich würde nie mit einem Fremden so sprechen."
    Lady Susan ist eine Frau mit spitzer Zunge und einem Plan. Der hat – wie so oft in den um 1800 in England spielenden Gesellschaftsromanen Jane Austens – mit der Suche nach einem geeigneten Ehemann zu tun. Geeignet heißt vermögend. Für Tochter Frederica glaubt sie diesen Mann bereits gefunden zu haben. Doch der Reichtum des Auserwählten wird noch überstrahlt von seinem schlichten Wesen, über das Frederica nicht so leicht hinwegsehen kann wie ihre Mutter.
    "Wäre meine Tochter nicht der größte Einfaltspinsel der Welt, dann wäre sie jetzt mit ihm verlobt. Sie hat ihn abgewiesen."
    Das Treiben der Personen in "Love & Friendship" von US-Regisseur Whit Stillman erinnert an eine Partie Schach – nur dass bei dieser Partie sämtliche Figuren von Lady Susan gezogen werden. Auch für sich selbst hat die Witwe, die bei allen Spielzügen stets auf ihren guten Ruf bedacht ist, mit dem blendend aussehenden Bruder ihrer Schwägerin bereits einen neuen Ehemann ins Visier genommen.
    "Ist es nicht recht eindeutig, dass wir entschlusskräftigen Frauen die Trümpfe in der Hand halten?"
    "Love & Friendship" kombiniert das Gediegene vieler Jane-Austen-Verfilmungen mit dem Wortwitz und Tempo einer Shakespeare-Komödie. Kate Beckinsale glänzt als listige Strippenzieherin in einem überaus launigen Gesellschaftsporträt.
    "Die Überglücklichen": akzeptabel
    Entschlusskräftig wie Lady Susan ist auch Gräfin Beatrice. Ob sie allerdings wirklich eine Adlige ist, weiß keiner so genau – wie überhaupt bei allem, was Beatrice sagt – und das ist ziemlich viel – Dichtung und Wahrheit nah beieinander liegen.
    Beatrice befindet sich in einer psychiatrischen Einrichtung. Die Gründe für ihren Aufenthalt werden anfangs nicht näher erläutert, haben aber offensichtlich mit ihrem polizeibekannten Ehemann zu tun. Gegenüber den anderen Patientinnen, aber auch dem Pflegepersonal verhält sich Beatrice wie die Hausbesitzerin. Sie erteilt Anweisungen, schnüffelt herum und gibt sich auch schon mal als jemand anderes aus.
    "Linda, nicht! So zerstörst du die Wurzeln. Du musst den Wurzelstock auflockern. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja, ich war im königlichen Palast für den G7-Gipfel. Aber nein! Was macht ihr denn da?!
    So überschwänglich sich Beatrice verhält, so verschlossen ist Donatella, die gerade eingewiesen wurde. Auch ihre Geschichte bleibt zunächst im Unklaren. Die manische Beatrice wird die depressive Donatella unter ihre Fittiche nehmen und beide werden – als sich die Gelegenheit bietet – aus der Psychiatrie ausbüxen.
    "Was machst du da? Was hast du vor? Kannst du Autofahren?"
    Da ihr Verhalten so unberechenbar ist, haben bipolare Charaktere in Literatur und Film schon immer einen ganz besonderen Reiz ausgeübt. Vor allem aber hat der italienische Regisseur Paolo Virzì ihr tragikomisches Potenzial erkannt und so lässt er die beiden Frauen in seinem Film "Die Überglücklichen" ein wenig wie "Thelma & Louise" im gleichnamigen Road Movie durch die Gegend streifen.
    Der Wechsel von Komik und Dramatik wirkt nicht immer ganz durchdacht und so sind es vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen Micaela Ramazzotti und vor allem Valeria Bruni Tedeschi, die hier überzeugen.
    "Einfach das Ende der Welt": ärgerlich
    "Ich bin sehr froh Sie kennenzulernen. – Wieso reicht ihr euch die Hand? Seid ihr Minister. Seid ihr Fremde? – Sie sind Fremde. Was redest du? – Das ist nicht wahr. Gib ihr einen Kuss, Louis!"
    Schon die Unterhaltung gleich zu Beginn von "Einfach das Ende der Welt" macht deutlich: Hier haben sich fünf Menschen versammelt, die sich und auch uns nichts zu sagen haben. Nach zwölf Jahren, in denen er sich nicht hat blicken lassen, kehrt der Schriftsteller Louis in sein Elternhaus zurück, weil er seiner Familie eine wichtige Mitteilung machen will. Er hat nicht mehr lange zu leben.
    "Ich bin vor einer Stunde angekommen. Ich werde ihnen das nicht einfach so an den Kopf werfen."
    Da hat man als Regisseur Nathalie Baye, Marion Cotillard, Vincent Cassel, Léa Seydoux und Gaspard Ulliel vor der Kamera vereint, also fünf französische Stars – und dann lässt man sie ein Stück spielen, das ein Familiendrama sein soll und am Ende so relevant ist wie der berühmte Sack Reis, der in China umfällt.
    Der kanadische Regisseur Xavier Dolan hat einen Film gedreht, der einem einfach nur auf die Nerven geht: inhaltlich aufgrund der Sinnfreiheit und verqueren Dialoge, aber auch formal wegen seiner eitlen Inszenierung, die vor allem aus Großaufnahmen der Köpfe besteht.
    "Was ist das für eine Farce?!"