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Männer-, Fußballprobleme und der Schlamm des Südens

Jan Henrik Stahlbergs satirischer Film "Fikkefuchs" verstößt in Zeiten des Hollywood- und Anderswo-Missbrauchsskandals gehörig gegen politische Korrektheit. Peter Luisi feiert in "Flitzer" die befreiende Wirkung der Nacktheit. Und Dee Rees liefert mit "Mudbound" ein Südstaatendrama im Schlamm.

Von Hartwig Tegeler | 15.11.2017
    Szenenbild aus Fikkefuchs: Thorben (Franz Rogowski) und Rocky (Jan Henrik Stahlberg) gehen mit dem Hund im Park spazieren
    Die Idylle trügt - unter der Oberfläche der Protagonisten von "Fikkefuchs" lauern Abgründe (Fikkefuchs / Alamode Film)
    "Ich mag junge Frauen, ich bin mir da treu geblieben."
    Männerlyrik von Rocky. Der ist 49 Jahre alt und denkt sich immer noch als Frauenheld. Jetzt hat der ehemals "größte Stecher von Wuppertal" Prostatakrebs, was er, wie vieles, nicht wahrhaben will. Dann steht da dieser junge Typ vor seiner Tür.
    "Was wollen Sie?" / "Ich bin Ihr Sohn. Ich bin Torben." / "Ich habe keinen Sohn, Thorsten." / "Ich heiße Torben."
    Eine schmerzhafte Demaskierung
    Torben war wegen eines Vergewaltigungsversuchs in der Psychiatrie, ansonsten beziehen sich seine Sex-Erfahrungen auf Internet-Pornos. Jetzt will er lernen.
    "Bin auf den Spuren meines Vaters."
    Rocky und Torben sind ziemlich widerliche Kotzbrocken, und Jan Henrik Stahlbergs Film "Fikkefuchs" möchte so gar nicht in heutige Zeiten passen, in denen Tag für Tag männliche wie weibliche Missbrauchsopfer ihre Peiniger outen. Will da jemand solche Typen auf der Leinwand anschauen, die zudem noch veritable Looser sind? Man sollte schauen! Rocky und Torben beim Flirt-Seminar, auf Berlin-Kneipentour, am Ende auf einer griechischen Insel. Jan Henrik Stahlberg inszeniert eine präzise und schmerzhafte Demaskierung männlicher Wünsche und männlichen Begehrens. Das Besondere aber ist, dass der Filmemacher seine männlichen Figuren lächerlich macht, ohne sie zu verraten. Keine Distanzierung, nur Zeigen, Beschreiben, Sezieren. Das ist ein Kunststück, das wir allerdings aushalten müssen. Weil: Politisch korrekt ist das mit der fehlenden Distanzierung nicht.
    "Fikkefuchs" von Jan Henrick Stahlberg - herausragend.
    Filmszene aus Flitzer: Ein nackter Mann (Dani Mangisch) steht mit dem Rücken zur Kamera vor dem Stadionpublikum und bildet mit den Fingern ein Siegeszeichen 
    In "Flitzer" gibt es viel nackte Haut zu sehen (Flitzer / X Verleih)
    Peter Luisis Film zeigt viele nackte Körper, aber es geht in "Flitzer" weniger um Sex. Der spießige Lehrer Balz Näf, gespielt vom Schweizer Komiker und Schauspieler Beat Schlatter, verzockt das Geld für den neuen Schul-Sportplatz. Nun steht ihm das Wasser bis zum Hals. Deswegen überzeugt er Frisör und Wettbüro-Inhaber Kushtrim von einem ganz besonderen Geschäft: Man solle doch auf diese Nackten wetten, die übers Fußballfeld rasen und Spieler wie Torwart irritieren.
    "Du hast doch nicht ganz verstanden, was ich da mache: Sportwetten." / "Flitzen ist Sport." / "Wieso sollen wir auf einen Flitzer wetten, wenn wir doch aufs Spiel wetten können?" / "Weil es was Neues ist."
    Der Rubel rollt
    Kushtrim ist nun überzeugt; also bildet Lehrer Näf eine geheime Flitzer-Truppe aus. Vom Obdachlosen oder der Sex-Arbeiterin bis zum Migranten.
    "Manuel Scharrer. Ich habe 30 Jahre und keine Arbeitsbewilligung." / "Das ist kein Problem. Willkommen in der Schweiz."
    Fortan rollt der Rubel. "Flitzer" von Schweizer Filmemacher Peter Luisi singt das Hohe Lied auf die befreiende Wirkung der Nacktheit, mit dem dieser Lehrer und seine Umgebung den Panzer ihrer Spießigkeit abwerfen dürfen. Das ist sehr sympathisch und nebenbei saukomisch.
    "Flitzer" von Peter Luisi - empfehlenswert.
    Mudbound
    "Wenn ich an die Farm denke, denke ich an Schlamm. An dreckverkrustete Knie und Haare."
    Kein fließendes Wasser, kein Strom. Mississippi. Auf dem Land. Wenn es regnet, sitzen die Familien tagelang auf ihren Farmen fest. Im Schlamm. Laura, die Frau des weißen Farmers, gespielt von Carey Mulligan:
    "Ich träumte in Braun."
    "Mudbound" von Dee Rees spielt 1946 im Süden der USA, auf dem Land, und entfaltet ein Panorama der Nachkriegsgesellschaft, das der afroamerikanische Kriegsheimkehrer Ronsel so charakterisiert:
    "Ich hatte für mein Land gekämpft und kam zurück um festzustellen: Es hatte sich nichts geändert."
    In Europa war Ronsel der Befreier, hier ist er der, wie die weißen Rassisten ihn titulieren, der "Nigger".
    "Ich weiß nicht, was man Ihnen da drüben erlaubt hat. Aber Sie sind hier in Mississippi, Sie gehen durch die Hintertür."
    Gewalt, Rassismus und Schlamm
    Das sagt der weiße MacAllan-Vater zu Ronsel. Sein Sohn Jamie - Garrett Hedlund spielt ihn - kommt traumatisiert aus dem Krieg. Der einzige, der ihn versteht, ist der andere Veteran, der Schwarze Ronsel - Jason Mitchell. Dass sich ein Weißer und ein Schwarzer anfreunden, das ist im Mississippi des Jahres 1946 hochgradig gefährlich, lebensgefährlich. Laura, die Frau von Jamies Bruder Henry:
    "Gewalt ist ein wesentlicher Teil des Landlebens. Ich habe gelernt, eine blutende Wunde zu nähen, eine Schrotflinte zu laden und zu schießen. Meine Hände haben all das getan. Aber in meinem Kopf war es nie leicht."
    "Mudbound" ist ein grandioser Film, weil er mit dem Erzählen aus den jeweiligen Blickwinkeln der weißen und der afroamerikanischen Figuren das komplexe Bild einer rassistischen Gesellschaft zeichnet. Und der Schlamm, durch den die Menschen im Film waten, wird zur Metapher für den Ur-Grund, den Ur-Schleim einer Gesellschaft, deren Spaltung heute immer noch größte politische Sprengkraft hat. Wenn dann die Brüder am Ende den rassistischen Vater zu Grabe tragen, dann kriegen sie ihn nur mithilfe ihrer afroamerikanischen Nachbarn unter die Erde. Diese Metapher kann man sich gerne auf der Zunge zergehen lassen.
    "Mudbound" von Dee Rees - von diesem Freitag an als Stream auf Netflix - ein Meisterwerk.