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Schwere Zeiten für alle

Wie ein Schriftsteller mit den Worten kämpft, davon erzählt "Rebel in the Rye". Wie ein Diktator auch nach seinem Tod ein System der Gewalt, das er erschaffen hat, hinterlässt, davon handelt "The Death of Stalin". Wie eine Familie zerfällt, das betrachtet der Film "1000 Arten Regen zu beschreiben."

Von Hartwig Tegeler | 28.03.2018
    Szene aus "The Death of Stalin" von Armando Iannucci, im Vordergrund der britische Schauspieler Jason Isaacs als Georgi Schukow
    Szene aus "The Death of Stalin" von Armando Iannucci, im Vordergrund der britische Schauspieler Jason Isaacs als Georgi Schukow (© 2017 Concorde Filmverleih GmbH)
    "Rebel in the Rye" von Danny Strong
    "Ich möchte eine neue Literaturform erschaffen. Ich will die Schmerzen unseres Daseins zeigen. Schonungslos, wahrhaftig und ehrlich."
    Vielleicht ist es ja ein Missverständnis, Danny Strongs Film "Rebel in the Rye" als Biopic über J. D. Salinger zu sehen, diesen Schriftsteller, der mit "Der Fänger im Roggen" Literaturgeschichte schrieb.
    "Während meines ganzen, so aufregend langweiligen Lebens fand ich die Fiktion immer echter und realer als die Wirklichkeit. Und ja, ich bin mir der Ironie darin bewusst."
    Regisseur Strong schildert das Leben von Salinger, gespielt von Nicholas Hoult, im Umfeld des Zweiten Weltkrieges, erzählt von Kriegstraumata, gescheiterten Ehen, dem Wunsch, Ruhm zu erlangen - und dem Ruhm zu entkommen, als "Der Fänger im Roggen" 1951 zum Bestseller geworden war. Aber das ist nur das Futter für die Story von "Rebel in the Rye". Vor allem geht es darum, wie einer getrieben ist davon, die Welt in Worte zu bringen. Und dabei Gefahr läuft zu scheitern, sich neu an die Worte macht und wieder scheitert. Oder auch nicht.
    "Ich habe nichts mehr zu erzählen. - Mit freundlichen Grüßen. Jerry Salinger."
    Wenn Film etwas über die Entstehung von Literatur erzählen kann, mit seinen Mitteln, seinen Bildern, ohne sie auf die Biografie des Schriftstellers zu verkürzen, dann dieser Film "Rebel in the Rye" von Danny Strong. Am Ende sitzt J. D. Salinger in dieser zum Schreibbüro umgebauten Scheune mitten im Wald an seiner Schreibmaschine und schreibt und schreibt. Veröffentlichungen interessieren ihn nicht mehr. Ein sehr schönes Bild.
    "Rebel in the Rye" - bei uns erschienen als DVD, Blu-ray und VideoOnDemand – empfehlenswert.
    "The Death of Stalin" von Armando Iannucci
    "Genosse Stalin hatte einen schweren Schlaganfall."
    Aus dem einen ...
    "Seine rechte Körperhälfte ist komplett gelähmt."
    … ergibt sich das andere, das Entscheidende. Also fragt Nikita Chruschtschow, der Stalin später an der Spitze der UdSSR nachfolgen wird, aber jetzt noch Gleicher unter Gleichen, er fragt im Politbüro:
    "Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit auf Genesung?"
    Antwortet der Arzt, nicht der Leibarzt, der war vor kurzem per Geheimdienst-Kopfschuss erledigt worden.
    "Singen Sie uns was vor? Oder warum stehen sie da so aufgereiht?"
    Also Antwort des Ersatz-Arztes:
    "Das ist schwer zu sagen." - "Wird er wieder gesund werden? Ja oder Nein?" - "Nein!" - "Nein?" - "Nein!"
    März 1953. Noch während die Herren aus dem Führungszirkel zitternd um Stalins Fast-Leiche herumstehen, jedem Röcheln Bedeutung beimessen,
    "Was ist, Chef?"- "Vielleicht bestimmt er, wer sein Nachfolger sein soll."
    da beginnen,
    "Vielleicht doch nicht."
    - da beginnen schon die Diadochenkämpfe. Feige. Hinterhältig. Gnadenlos. Kurz darauf ist Stalin dann richtig tot.
    Das Verhaltens der Nomenklatura aus dem Führungszirkel um Stalin ist eine Mischung aus Lächerlich- und Dämlichkeit, vermischt mit brutaler Machtgier.
    "Verflucht noch mal, wir müssen handeln."
    Der Italo-Schotte Armando Iannucci schafft in "The Death of Stalin" das Kunststück, zu der Posse vom Anfang immer mehr grausame Tragödie zu mischen. Vielleicht hätte Shakespeare heute so ein Drehbuch geschrieben. Das wunderbare Ensemble des Films – Steve Buscemi, Michael Palin, Andrea Riseborough, Paddy Considine und Olga Kurylenko –, dieses Ensemble betreibt das fulminante Spiel eines "Game of Thrones" in den 1950ern.
    "The Death of Stalin" – herausragend.
    "1000 Arten Regen zu beschreiben" von Isa Prahl
    "Mach auf, mach die Scheiß-Tür auf. Und komm da raus jetzt. Kannst froh sein, dass du Beine hast und rauskommen kannst. Du kannst dich nicht einfach verdrücken."
    Aber das hat Mike, 18, getan. Nun sitzen seine Mutter, sein hier wütender Vater und die jüngere Schwester vor der Tür, versorgt mit Zetteln, auf denen kryptische Meldungen über den Regen auf dem Planeten stehen.
    "17:06 Uhr. Griechenland. Länger anhaltender Frontregen."
    Bibiana Beglau als Mutter, Bjarne Mädel als Vater und Emma Bading als Schwester spielen in Isa Prahls Film "1000 Arten Regen zu beschreiben" eine Familie während des Nervenzusammenbruchs. Mike macht das, was in Japan "Hikikomori" genannt wird, ein Phänomen, das sich auch in Westeuropa angeblich verbreiten soll: Junge Menschen schotten sich von der Gesellschaft vollkommen ab.
    "Er ist ganz normal. Eigentlich." - "Ganz normal? Also, ich kenne sonst niemanden, der sich freiwillig in seinem Zimmer einsperrt. Das nennen Sie dann 'ganz normal'?"
    In "1000 Arten Regen zu beschreiben" bleiben wir – wie die Familie – immer vor der Tür von Mikes Zimmer, den wir im Film nie zu sehen bekommen. Sein Verhalten aber wird zum psycho-emotionalen Brandbeschleuniger, der die Konflikte in der Familie zum Kochen bringt.
    "Drehen alle durch hier!"
    So begeben sich der Vater, die Mutter und die pubertierende Tochter im Laufe des Films immer konsequenter auf die Suche nach sich selbst, aber die Ausgangsidee – Mike, der sich eingesperrt hat – verblasst zusehends, wird nebensächlich. Damit bricht die Geschichte, die spektakulär mit einem starken Bild begann, zu einem konventionellen Familiendrama, in dem es an sich vollkommen egal ist, ob Mike in seinem Zimmer hockt oder nicht.
    "1000 Arten Regen zu beschreiben" – annehmbar.