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Schwules Coming-out, Ehekrieg und Gitarrengott

Von den Nöten eines jungen Schwulen vor seinem Coming-out erzählt "Love, Simon", von denen eines Ehepaares in den Jahren der Film "Die Wunderübung". Und die Doku "Eric Clapton: Life in 12 Bars" erzählt auf komplexe Weise vom Leben des Ausnahme-Gitarristen.

Von Hartwig Tegeler | 27.06.2018
    Bildnummer: 59840003 Datum: 14.06.2013 Copyright: imago/biky 14.06.2013 Oberhausen Eric Clapton gibt Konzert in der Arena Oberhausen . People Entertainment Musik Aktion xdp x0x 2013 quer Musik Konzert Unterhaltung Show Sänger singen Gitarrist Kultur 59840003 Date 14 06 2013 Copyright Imago biky 14 06 2013 Oberhausen Eric Clapton gives Concert in the Arena Oberhausen Celebrities Entertainment Music Action shot XDP x0x 2013 horizontal Music Concert Entertainment Show Singer Singing Guitarist Culture
    "Gitarrengott" Eric Clapton an seinem Instrument, 14.06.2013 Arena Oberhausen (imago stock&people)
    "Ich bin genau wie du. Im Wesentlichen ist mein Leben völlig normal."
    Mit Greg Berlantis Film "Love, Simon" ist das schwule Coming-out im Mainstream-Kino angekommen. Zugegeben: Als veritabler Hasser des Genres der Teenie-Highschool-Komödie muss man bei diesem Film zunächst tief durchatmen, aber – letztendlich - der liberale und tolerante Geist dieser Geschichte ist so charmant, so überzeugend, dass er die Abwehr gegen das Genre vollkommen wettmacht. Also, Simon, 17 Jahre alt:
    "Also, wie gesagt: Ich bin genau wie du. Nur, dass ich ein riesiges Geheimnis habe."
    Seit er 13 ist, weiß es Simon, aber er traut sich nicht, sich als schwul zu outen. Greg Berlanti nimmt dabei die Klischees der High-School-Komödie und führt sie geschickt auf ihren Kern zurück, die Frage nämlich, wie man in dieser verwirrenden Zeit der Adoleszenz den Durchblick bekommen beziehungsweise eine Identität entwickeln kann. Gar noch eine als junger Schwuler. Das bedeutet dann die richtig harte Übung. Wobei Simon in seiner Phantasie das Thema gegen den Strich bürstet, wenn sich nämlich Mädchen und Jungen in wunderbarer Paradoxie vor den Eltern als "hetero" outen.
    "[Simon:] Ich habe überlegt, warum ich mich noch nicht geoutet habe. Vielleicht, weil ich es unfair finde, dass nur Schwule sich outen müssen. Wieso ist ´hetero´ die Normalität? - [Mädchen:] Ich muss euch unbedingt was sagen: Ich bin hetero! - [Junge:] Ich stehe auf Mädchen. - [Vater des Jungen:] Willst du mich umbringen? - [Mädchen:] Ich stehe auf Männer. - [Mutter des Mädchens:] Oh, Gott, Hilfe Jesus, bitte!"
    Das schwule Outing, das Simon schließlich nicht freiwillig unternimmt - ein Mitschüler postet seine Mails an einen Leidensgenossen, einen schwulen Blogger -, es entwickelt sich in Greg Berlantis Film zum wichtigen Entwicklungsschritt. So wird Simon zu einem jungen, selbstbewussten Mann. Seine Mutter bringt nicht den Anfang, sondern das Ende seines Leidens auf den Punkt:
    "Du kannst jetzt endlich wieder du selbst sein. Mehr, als du es seit sehr langer Zeit warst."
    "Love, Simon" von Greg Berlanti - herausragend.
    Beziehungsschlachtfeld
    "Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wo ich anfangen soll."
    Sie sitzen beim Therapeuten.
    "Meine Frau weiß nicht, wo sie beginnen soll, mir sozusagen den Kopf zu waschen. Das ist nämlich ihr Hauptanliegen."
    Die Ehe von Joana, gespielt von Aglaia Szyszkowitz, und Valentin – Devid Striesow – ist in die Jahre gekommen.
    "Wir sind auch hier nicht hergekommen, um uns sagen zu lassen, dass wir uns trennen könnten. Auf diese Idee kommen wir durchaus auch von selbst."
    "Die Wunderübung" von Michael Kreihsl entfaltet ein Beziehungsschlachtfeld. Die Ehepartner gehen einander vor dem Therapeuten an die Gurgel, suhlen sich in schlechten Erinnerungen. Es entfaltet sich eine nicht sehr überraschende Aussichtslosigkeit, bis eben der Therapeut diese titelgebende "Wunderübung" aus dem Ärmel zaubert, deren Clou an dieser Stelle nicht verraten werden darf. Dieser Film ist toll gespielt, aber auch recht vorhersehbar. Hat dabei aber für die, die noch keine solchen Eheabgründe kennen, durchaus Exotisches. Und die anderen können mit der Selbsterkenntnis aufwarten: "So sind wir Ehemenschen!"
    "Die Wunderübung" von Michael Kreihsl – annehmbar.
    Intensiv und überzeugend
    Ach ja, Clapton, Cream, Layla, Junkie, Säufer, trockener Alkoholiker, vom Landei zum Gitarrengott, und so weiter … Was soll's da noch zu erzählen geben? Vielleicht zu dieser Frage erst einmal Eric Claptons Satz im Bonus-Material der Dokumentation "Eric Clapton: Life in 12 Bars":
    Eric Clapton: "And when I saw it, it's a bit like watching a film about somebody elses life."
    "Es ist fast so, als würde ich einen Film über jemand anders sehen." Lili Fini Zanuck hat ein Clapton-Porträt gedreht, das mit dem großen Musiker tief hinabsteigt in dessen Abgründe, hin zu seinen Dämonen. "Life in 12 Bars" basiert auf Material aus Claptons Privatarchiv und Interviews, die Zanuck mit dem Musiker, mit Weggefährten und Verwandten führte. Doch es gibt in dieser Doku nicht die üblichen Talking Heads, sondern nur die Stimmen zu hören, während wir Fotos oder dokumentarisches Filmmaterial sehen. Dramaturgisch ist das eine brillante Idee. Und es macht auf verblüffende Weise deutlich, wie sehr die ansonsten Doku-handelsüblichen "sprechenden Köpfe" eigentlich fast immer von dem ablenken, um das es geht. In "Life in 12 Bars" entsteht dagegen ein Erinnerungs-, ein Bewusstseinsfluss, der eine großartige Intensität erreicht. Beispielsweise, wenn wir die Stimme des inzwischen trockenen Alkoholikers Eric Clapton von heute hören, während wir Bilder aus der Mitte der 1970er-Jahre sehen, wo er besoffen auf der Bühne torkelt:
    Eric Clapton "I managed to come off heroin, but I just went from one addiction to another."
    "Mit Heroin habe ich aufgehört, aber es folgte gleich die nächste Sucht, für mich war der Alkohol viel gefährlicher als Heroin", resümiert "Slowhand". Es gibt keine Musiker-Dokumentation, die ich kenne, die sich so intensiv und überzeugend auf die Widersprüche und Abgründe eines Künstlerlebens einlässt. Vielleicht hat Eric Clapton den Blues, den er ja so liebt, und dem er so viele Impulse gab, ja doch "ungeheuer" - im wahrsten Sinne des Wortes – gelebt.
    "Eric Clapton: Life in 12 Bars" von Lili Fini Zanuck – auf DVD, Blu-ray und als VideoOnDemand: das Meisterwerk einer Musikerbiographie.