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Vom Rand des Universums an den Rand der Gesellschaft

"Rogue One" dürfte Millionen Fans die Wartezeit auf den nächsten echten Teil der "Star Wars"-Saga verkürzen. Spannender ist in dieser Woche aber das Sozialdrama "Das unbekannte Mädchen" von Jean-Pierre und Luc Dardenne, eine fast dokumentarische Geschichte über Würde, Gewissen und Solidarität.

Von Jörg Albrecht | 14.12.2016
    Ein Stormtrooper geht vor der Premiere von "Rogue One: A Star Wars Story" in London über den roten Teppich.
    Ein Stormtrooper geht vor der Premiere von "Rogue One: A Star Wars Story" in London über den roten Teppich. (dpa picture alliance/ Andy Rain)
    "Paula" von Christian Schwochow
    "Münder wie Wunden, Nasen wie Kolben, Hände wie Löffel, Ausdruck wie Kretins. So wird nichts aus dir."
    Mit dieser Ansicht steht der Maler Otto Modersohn nicht allein da. Die Gemälde seiner Frau Paula werden in der Künstlerkolonie in Worpswede belächelt. Schließlich herrscht zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die Meinung vor, dass Frauen in der Kunstwelt nichts verloren haben. Paula aber glaubt an sich und ihren Erfolg als Malerin.
    "Du traust es mir nicht zu, aber ich."
    Paula Modersohn-Becker wird von der Schweizerin Carla Juri gespielt. Die burschikosen und trotzigen Züge, die sie der Figur gibt, erinnern ein wenig an ihre berühmte Landsmännin Liselotte Pulver. Überhaupt ist es Juris charismatisches Spiel, das der zwar hübsch fotografierten, aber doch recht brav erzählten Filmbiographie Konturen verleiht. Ein wenig mehr vom Unkonventionellen der Titelheldin hätte man sich auch von Drehbuch und Regie gewünscht.
    "Paula": akzeptabel
    "Agonie" von David Clay Diaz
    "Du untreue Schlampe, du dreckiges Flittchen, du Miststück, yeah, du bist so dreckig"
    Vulgär und frauenfeindlich sind die Textzeilen, die Alex rappt. Dampf lässt der 17-Jährige auch ab, wenn er seinen Körper stählt oder mit dem Auto über einen leeren Parkplatz brettert. Alex ist ständig kurz davor zu explodieren. Warum er einen auf dicken Max macht? Das Spielfilmdebüt von David Clay Diaz gibt darauf keine direkte Antwort, lässt nur Raum für Spekulationen. So könnte Alex einen Kampf gegen seine Homosexualität führen.
    Diffus ist auch das Verhalten von Christian, der zweiten Hauptfigur des Films. Der 24-jährige Jurastudent scheint kurz vor der Implosion zu stehen. Er glaubt, dem Druck von außen nicht standhalten zu können.
    "Und nach dem Studium - was magst du da machen? Weißt du das schon? - Ja, das weiß ich schon lange. Ich werde mich fürs Richteramt bewerben. -... Das schaffen nur die Wenigsten."
    Von zwei gegensätzlichen Charakteren erzählt also "Agonie" und über allem steht das wahre Geschehen einer Bluttat. Im Jahr 2010 hat ein Wiener Student seine Freundin erstochen. Im Film ist das der Handlungsstrang mit Christian. So richtig erschließen lässt sich allerdings nicht, warum die andere Hälfte von "Agonie" um Alex kreist, denn beide Figuren werden sich nicht begegnen. Formal erinnert diese Milieustudie, die sich psychologischen Erklärungsmustern verweigert, an Gus Van Sants Film "Elephant" über zwei jugendliche Amokschützen. Das ist so reizvoll wie undurchsichtig.
    "Agonie": akzeptabel
    "Das unbekannte Mädchen" von Jean-Pierre und Luc Dardenne
    "Ein guter Arzt muss seine Gefühle im Griff behalten."
    An ihren Worten wird sich die von Adèle Haenel gespielte Ärztin selbst messen lassen müssen. Ein anfangs bedeutungsloser Vorfall geht ihr nicht mehr aus dem Kopf. Nach dem Ende der Sprechstunde hatte es an der Praxistür geklingelt.
    "Nicht! Wir haben seit einer Stunde zu. ... - Vielleicht war es ein Notfall. - Dann hätte derjenige es bestimmt noch einmal versucht."
    Vor der Tür stand eine junge Afrikanerin, die wenig später in der Nähe der Praxis tot aufgefunden wird. Die Ärztin macht sich daraufhin schwere Vorwürfe. Weil die Polizei die Identität der Toten nicht herausfindet, begibt sie sich selbst auf Spurensuche.
    "Das hier ist sie. … - Was wollen Sie mir hier unterstellen? - Ich beschuldige Sie nicht. - ... Ihr Vorgehen gefällt mir nicht. … - Helfen Sie mir den Namen herauszufinden! - Gehen Sie!"
    Obwohl eine junge Ärztin im Mittelpunkt von "Das unbekannte Mädchen" steht, sind es auch in ihrem zehnten Spielfilm wieder die Menschen am Rand der Gesellschaft, denen das Interesse von Jean-Pierre und Luc Dardenne gilt. Wie gewohnt erzählen die Brüder die Geschichte, die von Würde, Gewissen und Solidarität handelt, fast dokumentarisch, sind nah mit der Kamera an ihren Figuren. Neu allerdings ist, dass die Dardennes ihr Sozialdrama dieses Mal mit Elementen verknüpfen, die dem Krimigenre entliehen sind, und so für dezente Spannung sorgen.
    "Das unbekannte Mädchen": empfehlenswert
    "Rogue One: A Star Wars Story"
    "Man verlangt nach unserem Codenamen. - Es ist Rogue - Rogue One."
    Schurke und Einzelgänger: Das bedeutet das englische Wort "rogue" und das macht es zum perfekten Titel des neuen "Star Wars"-Abenteuers, das man auch als "Episode 3 1/2" bezeichnen könnte, spielt es doch zwischen dem dritten und vierten Teil der Weltraumsaga und ist als einzelner, in sich abgeschlossener Film konzipiert.
    Ein Einzelgänger ist auch die Hauptfigur in "Rogue One". Es ist eine Sie. Ihr Name: Jyn Erso. Felicity Jones spielt die Schurkin, die für die Rebellen die Baupläne des Todessterns, die sich in den Händen der dunklen Seite der Macht befinden, stehlen soll.
    "Wenn ihr das Feld einem Feind überlasst, der so böse und mächtig ist, dann verdammt ihr die Galaxis zu ewiger Unterwerfung. Die Zeit zu kämpfen ist gekommen."
    Ihre Motivationsrede stammt aus "Braveheart", die Truppe, mit der Jyn loszieht, ist "Das dreckige Dutzend", die ganze Rebellion erinnert an "Die Tribute von Panem" und der Showdown ist eine weichgespülte Version von "Der Soldat James Ryan". "Rogue One" ist in erster Linie also ein Kriegsfilm, der selbst viel geklaut hat und dabei wenig inszenatorische Finesse zeigt. Aber die muss er auch gar nicht haben, denn Millionen "Star Wars"-Fans werden ihn so oder so bejubeln.
    "Die Macht, mit der wir es hier zu tun haben, ist unermesslich."
    "Rogue One: A Star Wars Story": zwiespältig