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Von guten Mamas, bösen Clowns und einer Flamenco-Legende

Kann eine Drogenabhängige eine gute Mutter sein? Diese Frage stellt das österreichische Familiendrama "Die beste aller Welten". Gänsehaut verspricht "Es", die Verfilmung von Stephen Kings gleichnamigem Buch. Die spanische Flamenco-Tänzerin La Chana porträtiert der Dokumentarfilm "Mein Leben – Ein Tanz".

Von Jörg Albrecht | 27.09.2017
    Regisseur Andy Muschietti bei der Weltpremiere von "Es", der Neuverfilmung des Stephen King Klassikers, am TCL Chinese Theatre in Hollywood, Kalifornien.
    Regisseur Andy Muschietti bei der Weltpremiere von "Es", der Neuverfilmung des Stephen King Klassikers, am TCL Chinese Theatre in Hollywood, Kalifornien. (Robyn Beck / AFP)
    "Mein Leben – Ein Tanz" von Lucija Stojevic
    In atemberaubender Geschwindigkeit stampft sie ihre Füße auf den Boden und tanzt sich regelrecht in Ekstase. Die Spanierin Antonia Santiago Amador, genannt La Chana, galt in den 1960er- und 70er-Jahren als eine der besten Flamencotänzerinnen der Welt. 30 Jahre, nachdem sie sich – auf dem Höhepunkt ihrer Karriere – aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, plant La Chana ihre Rückkehr auf die Bühne.
    Für die österreichische Regisseurin Lucija Stojevic der perfekte Anlass, in einem Dokumentarfilm an die Tanzlegende zu erinnern. Die hat auch mit ihren mittlerweile 70 Jahren nichts von ihrem Temperament und ihrer Leidenschaft für den Flamenco eingebüßt.
    "Tanz, tanz, sonst sind wir verloren!" Die Aufforderung eines 12-jährigen griechischen Mädchens an die 2009 verstorbene Choreographin Pina Bausch, mit ihrer Roma-Familie mitzutanzen, könnte auch La Chanas Motto sein. Auch sie stamme – wie sie selbst sagt – aus einer Zigeunerfamilie. Egal was sie spüre, es sei ihre Seele, die ihre Beine steuere, ihre Füße und Fingerspitzen. Sie wisse, dass sie all das tun kann, weil ihre Emotionen im Takt verwurzelt sind.
    Aus dem Takt kommt auch Filmemacherin Lucija Stojevic nicht in ihrer energiegeladenen, mitunter auch ein klein wenig wehmütigen Doku. Aber wie sollte das auch anders sein bei einer Protagonistin, die einer Naturgewalt gleicht und die den Takt vorgibt.
    "Mein Leben – Ein Tanz": empfehlenswert
    "Die beste aller Welten" von Adrian Goiginger
    "Mama, schau mal, was ich gefunden habe!"
    "Eine Pfeilspitze."
    "Hat die mal einem Abenteurer gehört?"
    "Dein Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Urgroßvater war ein Abenteurer. Und in unseren Adern fließt das gleiche Abenteurerblut wie bei ihm."
    Sie sind ein Herz und eine Seele: Adrian, sieben Jahre alt, und seine Mutter Helga. Der Vater ist noch vor Adrians Geburt gestorben, aber auch mit Helgas Lebensgefährten Günter versteht sich der aufgeweckte Junge gut. Auf den ersten Blick also eine glückliche kleine Familie.
    Regisseur Adrian Goiginger, der in seinem zweiten Spielfilm "Die beste aller Welten" die eigenen Kindheitserinnerungen aus den 1990er-Jahren verarbeitet hat, reißt den Zuschauer aber schnell heraus aus dem Familienidyll vom Anfang. Denn Helga und Günter sind drogenabhängig, spritzen sich Heroin. Das Jugendamt hat Helga schon lange im Blick.
    "Ich meine, es ist ja sicherlich sehr schwer für Sie."
    "Warum?"
    "Wegen Ihrer Sucht."
    "Ich bin nicht süchtig."
    Erst als ein Bekannter in ihrer Wohnung an einer Überdosis stirbt, gibt es für Helga nur einen Ausweg: Will sie Adrian nicht verlieren, muss sie sich eingestehen, dass sie abhängig ist und sich dringend professionelle Hilfe suchen.
    Wer würde hier nicht eine Gefährdung des Kindeswohls erkennen? Wer würde sich nicht dafür aussprechen, dass die Behörden auf der Stelle eingreifen müssen? Doch für Adrian Goiginger, der die Geschichte ganz aus der eigenen Perspektive erzählt, stellen sich die Dinge ganz anders dar. Für ihn steht fest, dass seine Mutter trotz ihrer Sucht die beste Mutter der Welt gewesen ist. Sein mit Verena Altenberger und Jeremy Miliker in den Rollen von Mutter und Sohn glänzend besetzter Film, dessen Wahrhaftigkeit oft schmerzt, ist keine Anklage. Es ist eine postume Liebeserklärung. Vor fünf Jahren ist Adrians Mutter an Krebs gestorben.
    "Die beste aller Welten": empfehlenswert
    "Es" von Andy Muschietti
    "Wir alle haben vor irgendwas Angst."
    "Wieso? Wovor hast du denn Angst?"
    "Vor Clowns."
    Auch diese Angst kennt einen wissenschaftlichen Namen: Coulrophobie. Zwar reichen die ersten Geschichten von gruseligen Clowns bis ins 19. Jahrhundert zurück, aber populär gemacht hat sie letztlich der Roman Es von Stephen King aus dem Jahr 1986. Dabei ist der böse Zwilling des lustigen Clowns nur eines von vielen Gesichtern des Gestaltwandlers, der alle 27 Jahre aus der Kanalisation der US-amerikanischen Kleinstadt Derry heraufsteigt.
    "Mein Großvater denkt, die Stadt ist verflucht. Er sagt, der Grund für all das Schlimme, das in der Stadt passiert, wäre ein Ding."
    Eine Gruppe von sieben Außenseitern, die sich selbst "Klub der Verlierer" nennt, will das Geheimnis um das Monster in ihrer Stadt lüften. Dabei muss sich jeder der Sieben seinen ganz eigenen Ängsten stellen.
    "Es ist, als wären das Albträume."
    Finde ich nicht. Ich kenne den Unterschied zwischen einem Albtraum und dem wirklichen Leben, okay?"
    Oft – und das ist die faszinierende Doppelbödigkeit von Kings Geschichte – scheinen das Leben in der Kleinstadt und der unausweichliche Abschied von der Kindheit hier der eigentliche Horror zu sein. Regisseur Andy Muschietti zieht mit seinen beeindruckenden Jungdarstellern gekonnt alle Register, um zwei Stunden lang für Gänsehaut zu sorgen. Damit reiht sich sein "Es" – anders als "Der Dunkle Turm" vor einigen Wochen – in die Liste der wenigen wirklich gelungenen King-Verfilmungen ein.
    "Es": empfehlenswert