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Weibliche Spione und die Schattenseite der IT-Industrie

Visuell aufregend und spannend erzählt "Vollblüter" von zwei jungen Frauen, die jemand aus dem Weg räumen wollen. "Aus nächster Distanz" handelt zwei weiblichen Spionen, die nicht wissen, ob sie einander trauen können. Und die Doku "Death by Design" zeigt die Schattenseiten der IT-Industrie.

Von Hartwig Tegeler | 08.08.2018
    Eine Outdoor Art Installation aus Elektroschrott im Yucca Valley in den USA.
    In diesem Fall ist es Kunst, die Doku "Death by Design" hingegen zeigt, wie gefährlich Elektroschrott ist (Unsplash / Camille Villanueva)
    "Immer geht es nur ums Bluffen und ums Täuschen", sagt Mona in Eran Riklis Film "Aus nächster Distanz" zu Naomi.
    "Darüber kann ich sicher viel von dir lernen."
    Die Libanesin hat eine Gesichts-OP hinter sich.
    "Nach einer plastischen Operation wird sie anders aussehen."
    Die Hisbollah will diese Informantin der Israelis töten. Naomi, israelische Geheimdienstagentin, ist in der Hamburger Wohnung zu Monas Schutz abgestellt.
    "Wir verbringen die beiden kommenden Wochen miteinander."
    Ein Kammerspiel, das fast nur in der vermeintlich sicheren deutschen Wohnung spielt. "Aus nächster Distanz" ist eine Geschichte, die in der Tradition der Spionage-Romane von John le Carré die Themen von Vertrauen, Zuverlässigkeit, Verrat und Identität verhandelt.
    Doch das Beziehungsdrama zwischen den beiden Frauen in der Wohnung - Wer bist Du? Lügst Du? - und der parallel erzählte Spionagethriller – Beirut, Tel Aviv -: Sie wollen nicht zusammen kommen.
    Was am Ende daran liegt, dass Eran Riklis das radikale Misstrauen über die Welt, das die Geschichten eines John le Carré ausmacht, abgeht. Soll man wirklich glauben, dass schließlich alles wieder gut wird? Ach bitte
    "Aus nächster Distanz" von Eran Riklis - annehmbar.
    Eine unheimliche Freundin
    "Vielleicht ist es gar nicht gespielt."
    In dieser Szene ist schon alles enthalten über die abgrundtiefe Boshaftigkeit der Welt, die "Vollblüter" entwirft: Zwei Freundinnen in der Villa vorm Riesenfernseher. Ein Schwarzweiß-Film. Liebesszene. Lily: tief bewegt. Amanda zieht ihr den Zahn: klar sei das gespielt.
    Lily: "Nein, guck mal, das sind echte Tränen." - Amanda: "Sie beherrscht die Technik." - "Die was?"
    Dann atmet Amanda tief und Tränen fließen. Echte! Lily schaut fasziniert.
    Lily: "Ach du Scheiße. Einfach so auf Knopfdruck?" - Amanda: "Jahrelange Übung!" - "Kannst du es mir zeigen?"
    Man könnte mit Fug und Recht behaupten, dass Amanda, die Freundin, die von sich sagt, dass sie keine Gefühle empfinden kann, bei Lily die Ventile zu der dunklen Seite ihrer Persönlichkeit öffnet, wenn sie die Freundin – Freundin? … Fragezeichen! - fragt:
    "Hast du mal dran gedacht, ihn umzubringen?"
    Lilys Stiefvater will sie ins Internat stecken.
    "Nein, bisher nicht!"
    Betonung auf "bisher". Tim, der kleine Drogendealer - der früh verstorbene Anton Yelchin hier in einer seiner letzten Rollen -, stellt nur fest:
    "Du hast eine unheimliche Freundin! - Ich weiß!"
    Das folgende Mordkomplott ist zwar nicht sonderlich originell - zig Mal gesehen im Kino -, doch das ändert aber nichts daran, das Cory Finley Regiedebüt ein herrlich böser Film ist, den man gut und gerne als Metapher auf Glamour und Dekadenz lesen darf. Eine aktuelle Variante der "Gefährlichen Liebschaften".
    "Vollblüter" ist ein sehr visueller und stilsicherer Film, in dem sich die Luxusvilla in Connecticut in einen abgrundtiefen Höllenort wandelt. Olivia Cooke und Anya Taylor-Joy spielen die "eiskalten Engel" wunderbar. Und so dürfen wir verstört einer Selbstermächtigung zuschauen, jenseits von Moral, aber auch jenseits von Freundschaft. Was am Ende der Clou der Geschichte ist:
    "Du hast eine unheimliche Freundin!"
    Wer jetzt ist die unheimlichere?
    "Vollblüter" von Corey Finley - empfehlenswert.
    Der Schrott der Wohlstandsgesellschaften
    "We have little relationship to our garbage here."
    "Wir haben wenig Beziehung zu unserem Abfall," sagt der Umweltgeograph Darin Magee im Film "Death by Design". "Wir werfen ihn weg, und meine Frage ist: Was heißt 'weg'? 'Weg' bedeutet für jemand anderen 'hier#."
    "Where is 'away'? 'Away' is 'here' for someone."
    Ein "hier" ist bei den chinesischen Tagelöhnern, die die wertvollen Rohstoffe aus den alten Platinen unserer Computer über offenem Feuer herausschmelzen. Ganze Landstriche in der Volksrepublik leben vom Ausschlachten unseres Elektroschrotts, der so wieder den Weg zurückfindet, dahin, woher die Geräte stammen.
    Denn unsere Smartphones, Tablets und Laptops werden in China zusammengeschraubt, nachdem die IT-Industrie aus dem Silicon Valley in den 1980er-Jahren quasi umgezogen ist nach Asien. Die Arbeitsverhältnisse dort "Ausbeutung" zu nennen: ein Euphemismus. Die Dokumentarfilmerin Sue Williams führt am Anfang von "Death by Design" Interviews mit jungen Consumern über die Zahl der Geräte, die sie besitzen. Viele!
    Die sie schnellstens austauschen und so den Verdienst von Apple und Co. sichern. "Death by Design" - im Doppel-Feature anzuschauen mit der Doku "Welcome to Sodom" über die Elektromüll-Entsorgung in Afrika, seit letzter Woche im Kino, – erzählt von einem Industriezweig, von dem wir gerne denken wollen, dass er grün und natürlich ist.
    Die Bilder der Flüsse neben den chinesischen Elektronikfabriken mit eingeleitetem Kupfer, Zyanid und Lösungsmitteln, sprechen eine andere Sprache. "Real life". Sue Williams Doku ist ein Versuch, einen Kontrapunkt zu setzten zu "Aus dem Auge, aus dem Sinn!" Was wir, das liegt in der Natur der Sache, nicht gerne sehen oder wahrhaben wollen.
    "Death by Design", Untertitel "Die dunkle Seite der IT-Industrie" von Sue Williams - empfehlenswert.