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Wenig neu erfunden

Auf den Spuren eines Alkoholikers, eines großen Jungen und des sowjetrussischen Regisseurs Sergej Eisenstein wandeln die Neustarts der Woche. Mit dabei sind bekannte Regisseure wie Woody Allen und Peter Greenaway, sowie der deutsche Regisseur und Schauspieler Axel Ranisch.

Von Jörg Albrecht | 11.11.2015
    Szene aus "Irrational Man" von Woody Allen: Abe (Joaquin Phoenix) fasst einen Mordplan, und seine Lebensgeister erwachen völlig neu – auch beim Sex.
    Szene aus "Irrational Man" von Woody Allen: Abe (Joaquin Phoenix) fasst einen Mordplan, und seine Lebensgeister erwachen völlig neu – auch beim Sex. (picture alliance / dpa)
    "Alki Alki"
    Was macht der Mann mit der Bierflasche in der Hand im Schlafzimmer von Tobias und Anika, während die beiden Sex miteinander haben? Er beobachtet nicht nur das Paar, das schon lange zusammen ist und drei Kinder hat. Er kriecht sogar zu den Zweien ins Bett. Im Gegensatz zu Tobias scheint Anika den Mann überhaupt nicht wahrzunehmen. Als sie wenig später den Raum verlässt, bleiben die beiden Männer eng umschlungen im Ehebett zurück.
    " Ich habe dich lieb."
    "Ich auch."
    "Schlaf schön!"
    Mit dieser seltsamen Szene eröffnet Axel Ranisch seinen Film "Alki Alki". Auch danach wird der Mann Tobias nie von der Seite weichen. Wer dieser ständige Begleiter ist, den offenbar nur Tobias sieht und hört, verrät ein Troubadour mit Gitarre.
    "Tobias und Flasche haben sich gern. Wo Tobias ist, ist Flasche niemals fern. Der Eine ist des Anderen Bruder. Ernie und Bert. Vier Fäuste für ein Halleluja. ... Tobias braucht Flasche so wie Kirk seinen Spock."
    Seit ihrer Jugend sind Tobias und Flasche – großartig gespielt von Heiko Pinkowski und Peter Trabner – unzertrennlich. In "Alki Alki" hat Axel Ranisch Tobias' Alkoholsucht personifiziert. Doch die innige Beziehung zu Flasche ist in Gefahr. Denn als Tobias sternhagelvoll mit seinen Kindern im Auto einen Unfall baut, zieht Ehefrau Anika die Reißleine und wirft ihn raus. Auch sein Geschäftspartner ist nicht länger bereit, Tobias' Saufeskapaden zu tolerieren.
    "Es geht einfach darum: Man muss nicht morgens um zehn schon sufen."
    "Muss man wirklich nicht."
    "Wir können doch 30 Tage mal Pause machen. Ich kann ja eine Zeitlang einfach nicht mehr trinken."
    Die Idee, Flasche einen menschlichen Körper und eine Stimme zu geben, legt die ganze Tragik eines Säuferschicksals an den Tag. Trotz der komischen Momente, die durch diesen Kunstgriff entstehen, läuft Axel Ranisch nicht Gefahr, die traurige Geschichte von einem, der sich selbst zerstört, zu verharmlosen. Verblüffend aber ist die Leichtigkeit, die an den Briten Ken Loach und seine Trinkerstudie "Mein Name ist Joe" erinnert. Wie Loach ist auch Ranisch ein bekennender Improvisateur, was seinem Film Frische und Unangepasstheit verleiht.
    "Alki Alki": herausragend
    "Virgin Mountain"
    "Warum bist du schon groß und hast trotzdem keine Frau?"
    Das wird Fúsi, der mit Mitte 40 immer noch bei seiner Mutter lebt, von dem kleinen Mädchen aus der Nachbarwohnung gefragt.
    " Weiß ich nicht"
    "Aber du bist nicht eigenartig, was?"
    Den Eindruck kann man leicht bekommen, denn der stark übergewichtige Eigenbrötler, verbringt seine Freizeit mit Spielzeugsoldaten, mit denen er Schlachten des Zweiten Weltkrieges nachstellt. Dabei ist Fúsi, der noch nie eine Freundin gehabt hat, ein gutmütiger Kerl. Damit er endlich einmal unter Leute kommt, schenkt ihm der Freund seiner Mutter einen Tanzkurs. Dort trifft Fúsi die lebenslustige Sjöfn die unter einer bipolaren Störung leidet. .
    "Kommst du mit rauf? Noch einen Tee?"
    "Ich trinke keinen Tee."
    "Kaffee?"
    "Nein danke."
    "Geht schon. Ich hab´s versucht."
    Noch ist es für Fúsi nicht zu spät, die Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Und so nimmt er all seinen Mut zusammen:
    "Hi! – Hättest du Milch im Haus?"
    "Ja."
    In der Ruhe liegt hier die Kraft. Dem isländischen Filmemacher Dagur Kári ist mit "Virgin Mountain" eine sensible und lakonische Charakterstudie gelungen. Dass sie von einem scheuen und einsamen Mann erzählt, der mit ungefähr 30 Jahren Verspätung erwachsen wird und seine erste Liebe trifft, schafft berührende Momente.
    "Virigin Mountain": empfehlenswert
    "Irrational Man"
    "Und wie läuft es?"
    "Ich bin blockiert. Kann nicht schreiben."
    Zum Jubiläum ein Déjà-vu: "Irrational Man" ist Woody Allens 50. Regiearbeit – zählt man die Kurzfilme mit. In - zumindest gefühlt - der Hälfte seiner Arbeiten ist der Protagonist von einer Schreibblockade heimgesucht worden. Natürlich muss sich auch ein Woody Allen nicht von Film zu Film neu erfinden, aber das, was er sich für den von Joaquin Phoenix gespielten Philosophieprofessor ausgedacht hat, damit der seine Blockade lösen kann, ist eher ein arrangiertes Gedankenspiel als ein funktionierender Film.
    "Irrational Man": enttäuschend
    "Eisenstein in Guanajuato"
    "Was wollen Sie bei uns?"
    "Iich bin nach Mexiko gekommen, um einen Film zu drehen. Ich bin nach Mexiko gekommen, weil Sie eine erfolgreiche Revolution hatten. Fünf Jahre vor uns. ..."
    Das Kino möchte auch der Brite Peter Greenaway mit seinen 73 Jahren noch revolutionieren. Somit ist Greenaways berühmter Kollege Sergej Eisenstein der ideale Komplize. Für seine Filmbiographie über den berühmten sowjetrussischen Regisseur hat sich Greenaway eine zehntägige Episode aus dem Jahr 1931 herausgegriffen: die Reise Eisensteins nach Mexiko.
    Wie üblich ist Greenaway kein klassischer Erzähler. Sein Film ist eine geschwätzige Reflexion über das Leben und den Tod, das Kino und die Weltgeschichte und vor allem über Sex. Erst die Montage aus einer Flut von Bildern – manchmal sind es gleich drei gleichzeitig wie bei einem Triptychon – erst diese Montage prägt den Film, der etwas unentschlossen zwischen Experimentierfreude und schwülstigem Altherrenkino changiert.
    "Eisenstein in Guanajuato": zwiespältig