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Neue Fraktionsspitze
"Die Linke ist nicht mehr einig"

Spricht das neue Führungsduo der Linken im Bundestag mit einer Stimme? Der Politologe Gero Neugebauer sagte im Deutschlandfunk, es gebe schon jetzt genügend Differenzen in der Partei. Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch müssten aufpassen, dass sie bis zur Bundestagswahl nicht das Bild einer Partei vermitteln, die eigentlich aus zwei Parteien bestehe.

Gero Neugebauer im Gespräch mit Doris Simon | 13.10.2015
    Die neu gewählten Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch
    Die neu gewählten Fraktionsvorsitzenden der Partei Die Linke im Bundestag, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch (dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Doris Simon: Stabwechsel heute in der Fraktion der Linken. Nach 21 Jahren räumt Gregor Gysi den Sessel des Fraktionsvorsitzenden. In dem hat er die letzten zehn Jahre allein gesessen. Die Fraktionsmitglieder wählten heute Sarah Wagenknecht vom linken Flügel und den Reformer-Realo Dietmar Bartsch zu Gysis Nachfolgern. Wagenknecht erhielt 78 Prozent und Bartsch 92 Prozent der Stimmen.
    Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben heute keinen Hehl daraus gemacht, dass sie keineswegs immer einer Meinung sind, aber angeblich bei 90 Prozent stimmen sie überein. Gregor Gysi hatte es da allein mit sich selbst noch leichter. - Gero Neugebauer ist Parteienforscher und jetzt am Telefon. Guten Abend!
    Gero Neugebauer: Guten Abend, Frau Simon.
    "Blass ist eine Maske bei Bartsch"
    Simon: Herr Neugebauer, Wagenknecht und Bartsch: sie eine tolle Rhetorikerin, Kommunistin; er ein eher blasser Realo-Pragmatiker. Was muss da passieren, damit dieses Führungsduo funktioniert?
    Neugebauer: Blass ist eine Maske bei Bartsch. In der Tat ist er nicht blass. Er ist durchaus ein energischer Politiker, der seine Interessen gut verstehen kann, der nur blass wird wie in solchen Fällen, als beispielsweise Gregor Gysi ihm die Beine weghaute, nämlich als Lafontaine Bartsch beschuldigt hat, seine Affäre mit Wagenknecht bekanntzugeben. Aber, um auf den Ausgang zurückzukommen: 90 Prozent sind nicht 100 Prozent und worin, bitte schön, denn 90 Prozent: In der Frage der Sitzordnung in der Fraktion, in der Farbe der Aktendeckel, oder in der Frage, wie beispielsweise die Flüchtlingsfrage beurteilt werden soll. Aber da fange ich schon an zu stocken, und bei anderen Sachen, Einsatz von Militär, hat sich gezeigt, ist Die Linke nicht mehr einig. Im Verhältnis zu Russland ist sie sich nicht einig. Es gibt genügend Punkte und vielleicht sind die zehn Prozent dann doch das Entscheidende.
    Simon: Und deswegen noch mal die Frage: Es gibt genügend Punkte und was muss da passieren, damit das Führungsduo trotzdem funktioniert?
    Neugebauer: Es muss Außendruck da sein. Die Linke muss wissen, dass in 2017 eine Wahl ansteht und dass sie ihre Anhänger nicht enttäuschen darf. Das heißt, dass sie in dieser Zeit nicht das Bild einer Partei, die eigentlich aus zwei Parteien besteht, so in die Öffentlichkeit transportiert, dass die Wählerinnen und Wähler glauben, dass die Partei nicht handlungsfähig ist, dass es dauernde Kontroversen innerhalb der Führung gibt, dass es Kontroversen und Konflikte zwischen Führung und Mitgliedschaft gibt und dass die Themen, die Die Linke auf die Tagesordnung setzt, nicht die relevanten sind, die die Anhänger interessieren.
    Vielen ist "egal, was die Partei sagt"
    Simon: Ist es so wichtig, dass die Wähler den Eindruck haben, dass die Partei handlungsfähig ist? Ist da nicht auch Überzeugung wichtig?
    Neugebauer: Es gibt eine Reihe von Wählerinnen und Wählern, denen ist egal, was die Partei sagt, weil sie sie als Protestpartei wählen, nämlich als Ausdruck ihres Unmuts über die Parteien, die sie sonst wählen. Aber es gibt eine Reihe von Wählern, die legen schon Wert darauf, dass sie mit einer linken Partei im Parlament vertreten sein wollen, die dort Positionen auf die Tagesordnung setzt, oder Beiträge liefert, in denen die sich wiederfinden. Denen ist das Personal eigentlich relativ egal. Das Personal ist eher, denke ich, doch dann Objekt der Begierde der Medien, die daran Konflikte aufhängen können. Aber diese Konflikte zu diskutieren, die programmatischen Differenzen zu diskutieren, das ist wiederum reichlich aufwendig und entzieht sich meistens der Tagesberichterstattung.
    Simon: Aber stehen denn die Personen Wagenknecht und Bartsch nicht auch für Inhalte?
    Neugebauer: Sie stehen erst mal hinter Schildern, auf denen Etiketten sind. Bei Bartsch steht "Regierungsbeteiligung", Position als, freundlich betrachtet, linker Sozialdemokrat in den ostdeutschen Ländern. Bei Frau Wagenknecht steht drauf "Kommunistin", zwar auch DDR-sozialisiert, lange Zeit freundliches Verhältnis gegenüber dem politischen System DDR und auch mal eine positive Aussage gegenüber Stalinismus, aber eher Systemopposition. Der eine könnte sich als Reformer, die andere könnte sich als Systemoppositionelle darstellen. Aber Frau Wagenknecht weiß, dass sie damit eigentlich nur Aufmerksamkeit erntet, aber keine Meriten. Das heißt, dass sie dann in der politischen Szene nicht so ernst genommen wird, wie sie eigentlich gerne ernst genommen werden möchte.
    Wagenknechts Themen "weniger relevant"
    Simon: Sehen Sie eigentlich jetzt schon einen der beiden mit seiner Linie und Überzeugung deutlich stärker?
    Neugebauer: Es gibt deutlich mehr Aufmerksamkeit für Frau Wagenknecht, aber die Themen, die sie behandelt, sind weniger relevant für die Innenpolitik in der Bundesrepublik. Und da innenpolitische Sachen in der Regel für die Wählerinnen und Wähler interessanter sind, denke ich, dass Bartsch mit seinen Positionen und seinen Politikfeldern stärker das Profil der Linken bestimmen wird als Frau Wagenknecht, zumindest in der Wahrnehmung derer, die die Politik der Linken beobachten.
    Weiterhin Ost-West-Unterschied
    Simon: Spielt eigentlich heute noch für die Partei eine Rolle, für die Fraktion in diesem Fall auch, ob eine Politik stärker westdeutsch oder ostdeutsch verankert ist?
    Neugebauer: Das ist eine gute Frage. In der Tat hat der innerdeutsche Ost-West-Konflikt eine lange Zeit die PDS, und Die Linke dann noch nicht mehr, am Leben erhalten. Die Linke ist ja entstanden, als die Vorgängerpartei PdS gemerkt hat, dass sie mit ihrer ostdeutschen Thematik im Westen keinen Stich bekommt. Es gibt eine Reihe von Eliten, die sind immer noch ostdeutsch geprägt, aber die Mitglieder und die Wählerschaft im Osten reduziert sich permanent auf biologischem Wege, während sie im Westen relativ stabil und auch jünger ist. Und es gibt weiterhin einen Unterschied, der ganz deutlich ist. In den ostdeutschen Landesverbänden oder auf der ostdeutschen Parteienebene ist Die Linke ernsthafter Konkurrent der Sozialdemokratie. Meist schiebt sie die sogar auf Platz drei. In westdeutschen Ländern ist Die Linke unter ferner liefen in der Regel zu verbuchen, in manchen Parlamenten gar nicht vorhanden. Da sind auch unterschiedliche Stärkeverhältnisse und wenn danach die Partei beurteilt wird, dann hat Die Linke im Osten noch die Nase vorn.
    Simon: Heute haben die beiden an der Spitze der Fraktion Rot-Rot-Grün - das ist ja immer eine der spannenden Fragen - nicht ausgeschlossen. Aber Wagenknecht hat gleich mal die Hürden für so ein Bündnis hochgelegt. Wie weit weg ist denn eine solche Regierungskoalition mit diesem neuen Duo?
    Neugebauer: Weit weg, und zwar weit weg, weil die Positionen sehr unterschiedlich sind. Frau Wagenknecht sagt zwar, es könnte so etwas geben, aber dann zu unseren Bedingungen, und diese Bedingungen formuliert sie wahrscheinlich erst in dem Moment, in dem so etwas möglich wird, während Herr Bartsch sagt, wir haben die Erfahrungen in ostdeutschen Ländern. Vor den Wahlen sind wir rhetorisch sehr stark, aber nach den Wahlen verhalten wir uns sehr pragmatisch, und das hat sich bisher auch immer bewahrheitet. Man sieht es auch jetzt daran, dass der Ministerpräsident in Thüringen, Ramelow von der Partei Die Linke, durchaus nicht bereit ist, die Politik der Linken über den Bundesrat zu transportieren, und insofern denke ich, dass bei vielen nachher, sagen wir so, die Positionen, die Frau Wagenknecht vertritt, eher als eine rhetorische Position, die Aufmerksamkeit auf Die Linke lenken soll, gesehen werden kann, während es bei Bartsch eher eine Position ist, in der er sagt, na ja, ich will eine Regierung machen, das ist mein Selbstverständnis. Aber da müssen ja auch noch die Grünen mitreden und bei den Grünen gibt es Leute, die orientieren sich eher an der Union. Da muss die SPD noch mitreden, in der es eine Reihe Vorbehalte gibt, in ost- wie in westdeutschen Landesverbänden. Deshalb denke ich, dass die rot-rot-grüne Perspektive etwas ist, was manche schon für 2017 gedacht haben, aber ich schiebe es auf die Zeit danach.
    Simon: Die Einschätzung des Parteienforschers Gero Neugebauer. Herr Neugebauer, vielen Dank!
    Neugebauer: Bitte schön, Frau Simon.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.