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Neue Griechische Literatur in deutscher Übersetzung. Ein Radioessay

Griechenland will in diesem Jahr hoch hinaus. Zumindest in der Welt der Literatur. Seit der griechische Literaturfürst Nikos Kazantzakis in den 40er und 50er Jahren griechische Literatur auf der ganzen Welt berühmt machte, haben es nach ihm nur Wenige geschafft, seinen Platz auf dem internationalen Literaturmarkt streitig zu machen. In diesem Jahr wird ein erneuter Versuch gestartet. Auf der Frankfurter Buchmesse soll Griechenland den Literaturschwerpunkt setzen, mit neuen teilweise jungen Literaten, die mit viel Ehrgeiz von einer neuen Ära der griechischen Literatur sprechen. Ihre Romane kündigen diese neue Literaturepoche an, z.B. durch Lesestoffe, die im Westen Europas besser verstanden werden können. Oder sie wollen die europäische Geschichte aus der Sicht Griechenlands darstellen. Eine der vielversprechenden Hoffnungen unter den griechischen Nachwuchsautoren ist Soti Triandafyllou:

Marianthi Milona | 31.07.2001
    Wir sind nicht so bekannt, weil wir nicht gut genug sind. Können es auch gar nicht, denn wir haben keine Tradition, wir haben keine Kultur, wir haben kein System, um zu schreiben, halten kein Werkzeug des Schriftstellers in unseren Händen. Wir tappen noch ziemlich im Dunkeln. Das zweite ist, wir haben keine guten Themen. Im Jahre 2001 schreiben wir meistens nur über die eigenen Kindheitserinnerungen aus einem entfernten Dorf. Die griechische Literatur bleibt in einer Nostalgie über das verlorene bäuerliche Dasein, hängen. Da geht es immer um weite Berge und einer Oma am Kamin - keine wahren Stoffe für interessante Romane.

    Die 1957 in Athen geborene Triandafylou ist auf dem besten Weg eine Kultautorin zu werden. Man schreibt ihr einen exzentrischen Schreibstil, eine Kindlichkeit mit einer melodiös rockigen Aufsässigkeit, eine postmoderne Art zu erzählen, zu. Sie hat in Paris und New York amerikanische Geschichte studiert und ihr zweiter erfolgreicher Roman "Unterirdischer Himmel", der Anfang August im Zsolnay Verlag erscheint, handelt und spielt deshalb nicht ohne Grund in Amerika. Der Held, Billy, ist ein junger Grieche, Sohn von Emigranten der 60er und 70er Jahre. Er ist 20 Jahre alt. Wir haben das Jahr 1990 und Billy will mit Griechenland nichts zu tun haben. So spielt die gesamte Handlung in Amerika, in einer von Autoindustrie und Wohnwagennostalgie bestimmenden Landschaft im Nordwesten des Landes. Dort lebt die Familie Billys in einem abgeschirmten Milieu europäischer Emigranten, die schon längst entwurzelt sind. Und das Griechenland das sie einmal kannten, gibt es längst nicht mehr. Der junge Billy hat die amerikanische Kultur internalisiert und gerät damit in Konflikt mit seiner Familie, die ihn nicht mehr verstehen kann. So entschließt sich Billy eines Tages mit seinen Freunden weg zu gehen. Weit weg mit dem Auto nach Kalifornien. Er macht sich an einem Samstag morgen in der Eiseskälte auf, wohlwissend, dass er die Strassen seiner Heimatstadt nie wieder befahren wird. Mit einem Gefühl von Freiheit in der Brust, bricht er auf, der kalifornischen Sonne und dem Meer entgegen. Das Einzige was ihm jetzt noch gehört, sind die Ereignisse seines Lebens. Und Griechenland ist darin ein dunkles Kapitel.

    In seinem Versuch, den kulturellen Umbruch eines jungen Menschen in Amerika zu beschreiben, gelingt es Triandafyllou eine neue Erzählstruktur zu schaffen. Im "Unterirdischer Himmel" interessieren sie keine überladenen emotionalen Situationen, sie bleibt nüchtern und sachlich. Manchmal schockiert und entlastet sie den Leser zugleich, wenn sie in kritischen Augenblicken die Erzählung durch Einschübe aufbricht. Dies können Stadtpläne der USA sein, die dem Leser zeigen sollen, wo sich der Held des Romans gerade befindet. Hier und da erscheint dann das Photo eines bekanntes Jazz-Musikers, den Billy verehrt. Oder sie wirft enzyklopädieartig lexikographische Einschübe ins Romangeschehen ein: Was sind Wohnwagensiedlungen, Autoindustrie oder die Route 66?

    Auch das zweite Buch ist von Soti Triandafyllou. "Die Bleistiftfabrik" gehört zu den meist gelesenen Büchern des vergangenen Jahres in Griechenland. Die Geschichte ist ein mutiges Unterfangen, dass man als späte Abrechnung mit dem Kommunismus bezeichnen könnte. Für Triandafyllou selbst war die Bleistiftfabrik, wie sie sagt, der Versuch gegen ihre eigene Zwangspolitisierung anzuschreiben und alle Revolutionäre dieser Welt zu ehren, die, wenn es darauf ankäme für die wahren Ideale sterben würden, wie der Held in ihrem Roman "Vangalis". Mit einem Band Majakowski in der Tasche nach dem er vorher ein herrliches Leben geführt hatte.

    Die Geschichte beginnt im Jahre 1866 in Kairo als der Suez Kanal errichtet wird und endet in Athen in den letzten Tagen vor Ausbruch des 2. Weltkrieges. Im Mittelpunkt stehen die Schicksale zweier Freunde, Stefanos und Vangalis, die sich in Zürich kennen lernen und sich in den bewegten Städten jener Zeit, in Berlin und St. Petersburg immer wieder treffen, weil sie an den politischen Auseinandersetzungen beteiligt sind. Im Strudel der Ereignisse von den blutigen Auseinandersetzungen um Arbeit und Brot bis zur Oktoberrevolution schildern die beiden Helden ihr Schicksal, das sich bis ins nachrevolutionäre Russland erstreckt. Dazu Soti Triandafyllou:

    Die Bleistiftfabrik ist ein historischer Roman, der wie eine Familiensaga beginnt. Er umfasst 80 Jahre. Es werden die gesellschaftlichen Verhältnisse ab der Mitte des 19.Jhds dargestellt, mit dem Ziel eine persönliche Geschichte über die damaligen Verhältnisse einiger Griechen, der Revolution und die Jagd nach dem Glück zu erzählen. Ebenso wichtig war mir die Verwirklichung der Ideen in dieser Zeit. Sagen wir also es geht, um die Geschichte von Ideen und die Kritik der Ideen, die sich innerhalb dieser 80 Jahre erhalten konnten oder verloren gingen.

    Die Bleistiftfabrik ist ein spannender Roman über das 19.Jhd, aus griechischer Sicht dargestellt. Er lässt nichts wichtiges aus, selbst Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht lernen die beiden Helden kennen. Aber für Triandafyllou ist auch wichtig, deutlich zu machen, dass alle ihre Romane mit ein und demselben Motiv arbeiten: Den menschlichen Lebensumständen, mögen sie politischer oder rein persönlicher emotionaler Natur sein. Triandafyllous Romanhelden revoltieren gegen bestehende Normen, aus denen sie mit allen Mitteln ausbrechen wollen. "Die Bleistiftfabrik" von Soti Triandafyllou erscheint im Hanser Verlag.

    Eine griechische Autorin ganz anderer literarischer Farbgebung ist Ioanna Karistiani. Die 1952 auf Kreta geborene, von kleinasiatischen Eltern abstammende Karistiani, wählte die Inseln Andros und Kreta als die Schauplätze ihrer Romane, die sie in Griechenland über Nacht berühmt machten. Anders als bei Soti Triandafyllou interessieren Karistiani die kleinen unscheinbaren Orte Griechenlands mit den unauffälligen einfachen Menschen. Karistiani:

    Als Autoren können wir uns nicht fragen, welches Thema könnte einen Leser aus Hannover mitreißen. Wir müssen uns und unseren eigenen Geschichten treu bleiben. Ich persönlich glaube, wenn ich einen kleinen Ort in Griechenland hervorhebe und ihn ehrlich und fair in meinen Geschichten behandele, ist dies etwas, dass jeder zu spüren vermag.

    Dass ihre Methode nicht bloße Floskel ist, beweist Karistiani mit ihrem Roman "Kleines England", für das sie den griechischen Staatspreis für Literatur erhielt. Der Titel konnte im Deutschen so nicht bleiben. Der Suhrkamp Verlag der den Roman in deutscher Übersetzung Anfang Mai herausbringen will, hat sich für "Die Frauen von Andros" entschieden:

    Der griechische Titel sagt den Deutschen nicht viel. In Griechenland nannte man die Insel Andros "Kleines England", weil es die große Seemacht England nachahmen wollte. Im vergangenen Jahrhundert hatten die Reeder einen Traum: Als die Schifffahrt durch große Tanker revolutioniert wurde, schickten sie ihre besten Leute nach England, damit sie dort modernen Schiffsbau lernen konnten. Es gab für sie also ein Vorbild, nach dem sie ihre kleine Insel benannten.

    Der deutsche Titel Die Frauen von Andros macht dennoch Sinn. Denn ihr Roman handelt, wie Kariandrou immer gerne selber meint, um "die 4, 5, 7, 10 ertrunkenen Männer, die jede Familie auf Andros hat. Und um eine Bettmatratze im Doppelbett, die nur auf der linken Hälfte durchgelegen ist." Die Frauen von Andros verbringen ihr Leben alleine, ziehen die Kinder groß und verwalten das Vermögen, denn Andros ist die Heimat bedeutender griechischer Reeder und Kapitänsfamilien der griechischen Handelsmarine, bekanntlich eine der größten der Welt, und die Männer von Andros beherrschen als Seefahrer und Schiffseigner die Ozeane. Deshalb nennen Sie ihre Insel "Kleines England". "Kleines England" heißt aber auch ein Schiff, der Frachter von Spyros Maltambés. Spyros Maltambés liebt Òrsa und Órsa liebt ihn. In dieser engen traditionsbewussten Welt beginnt eine tragische Liebesgeschichte, denn Òrsa muss einen anderen heiraten und Maltambés nimmt dafür ihre Schwester zur Frau. Als dieses Geheimnis dann offenbart wird, weil Maltambés während des Krieges fällt, beginnt eine Beziehung zwischen den beiden Schwestern, die zu den schönsten Momenten dieses Buches gehört. Der Roman "Die Frauen von Andros" überzeugt durch seine Leichtigkeit, Erotik, Anmut, Dramatik und tiefgründigen Humor.

    Auch für die Griechen bieten Karistianis Erzählstoffe Neues und Unbekanntes. Die Geschichten der griechischen Inselbewohner sind so zahlreich und unterschiedlich wie die Inseln selbst. Auch dass Griechenland bis heute die größten Reederfamilien hervorbringt, ist nur Wenigen bekannt. Und umgekehrt kennen nur wenige Insulaner, die Traditionen der Festlandgriechen. Als Karistiani 1989 in Steniés einem kleinen Dorf auf Andros ankam, entstand ihre neue Romanidee bei einer Tasse Kaffee:

    Mein Blick wurde plötzlich von 5 Gesichtern ergriffen, die in einem Bilderrahmen zusammen an der Wand hingen. Ich fragte wer diese Leute sind und man erklärte es mir. Ich bekam einen Schock. Dasselbe erlebte ich in den folgenden Tagen in vielen Häusern. Ich fragte mich, wie so ein kleiner Ort so viele Opfer haben konnte. Und man muss sich vorstellen, es sind Opfer ohne Leichen. Da die Schiffsleute ins Meer geworfen wurden, konnten sich die Familien gar nicht von ihren Männern verabschieden.

    Karistiani ließ sich auf Andros nieder und versuchte sich noch tiefer und eingehender mit dem Thema zu beschäftigen. Sie suchte nach entsprechenden Geschichten in der Bibliothek der Insel, durchforstete alte Zeitungen aus den 30er und 40er Jahren. Doch das allerwichtigste, war an die alten Kapitänsfrauen heranzukommen:

    Meine Strategie war, erst einmal das Vertrauen der alten Kapitäne zu gewinnen. D.h. um 6:00 Uhr morgens einen doppelten Kaffee mit ihnen zu trinken und Gespräche über Häfen, den 2. Weltkrieg, über Argentinierinnen, Japanerinnen und über ihre Sehnsüchte zu führen. Erst dann hatte ich eine Chance bei den Frauen, die den Mut fanden mit mir zu sprechen.

    Die Heldinnen in ihrem Roman stellt Karistiani realistisch dar. Sie leben und handeln wie die wirklichen Frauen von Andros, die in abgeschiedenem Kreis nach strengen Regeln leben. Ihre Kinder groß zu ziehen und in einem Haus mit allen Schwägerinnen, Schwestern und Müttern zurecht zu kommen, ist kein leichtes Unterfangen. Ihre Männer kamen oft erst nach 3 Jahren zurück. Das eine Gesicht hatte das andere vergessen. Der eine Körper hatte den anderen vergessen. Bis zur ersten Berührung musste ein weiter Weg zurückgelegt werden. Und dann war es meistens wieder Zeit die Sachen zu packen und in See zu stechen:

    Ich wollte von beiden Seiten erzählen. Von den Frauen und den Männern. "Die Frauen von Andros" ist auch ein Roman über das Leben auf See. Ohne die Männergeschichten würde das Leben der Frauen zu konstruiert wirken. Die fehlenden Männer sind bei meinen Heldinnen auch in ihren täglichen Gedanken verankert.

    Karistiani erzählt in ihrem Roman von einem unbekannten Griechenland, von Schicksalen hinter den sonnendurchfluteten Jalousien weißgetünchter Häuser. Man muss erst hinter den Fassaden schauen, um zu erkennen, dass manche Dinge sich bis heute nicht geändert haben, also noch sehr real sind. Auf Andros ist das stimmungsvolle Aroma der Insel unverändert geblieben. Die verschlossenen Fensterläden, die stummen alten Kapitäne, die braven Frauen, die Gedenktage an die Ertrunkenen. Auf den Friedhöfen die Grabstein-Schiffe aus Marmor. All diese Eindrücke sind da und dennoch entdeckt man sie eher zufällig. Karistiani ist es mit ihrem Roman "Die Frauen von Andros" gelungen, den deutschen Lesern einen Einblick zu verschaffen, in diesen verborgenen, unbekannten Teil Europas. "Unterirdischer Himmel", "Die Bleistiftfabrik", "Die Frauen von Andros". Im Rahmen des diesjährigen griechischen Programms auf der Frankfurter Buchmesse, werfen diese drei Romane ein ganz frisches Licht auf die jüngste griechische Literatur.