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Neue Heimat Triest (5/5)
Bleiben oder gehen?

Innenminister Matteo Salvini von der rechtsgerichteten Lega fährt in der Migrationspolitik einen rigorosen Kurs: Er hetzt gegen Flüchtlinge, stoppt Rettungsschiffe und will staatliche Ausgaben kürzen. Integrationshelfern stehen schwierige Zeiten bevor.

Von Kirstin Hausen | 03.08.2018
    Porträt Mefehnja Tatcheu
    Mefehnja Tatcheu kam selbst als Flüchtling nach Italien - doch die Zeiten haben sich geändert (Deutschlandradio / Kirstin Hausen)
    Dia Via Rossetti liegt im Osten Triests. In einem Wohnviertel. Vier- bis fünfstöckige Häuser, im Erdgeschoss Ladenlokale, ein Bäcker, Straßencafés. Vor der Hausnummer 17 steht Tariq. Er blinzelt in die Morgensonne und wartet auf seinen Betreuer, in der Hand eine Tasse Tee, mit Milch und Kardamom gewürzt. Der etwa 40-jährige Mann aus der Konfliktregion Kaschmir im Himalaja, um die sich Indien und Pakistan seit Jahrzehnten streiten, möchte seinen Nachnamen nicht nennen. Sein Asylverfahren läuft noch.
    Er habe alles gemacht, was ihm das Flüchtlingshilfswerk ICS angeboten habe: einen Sprachkurs, eine Maurerausbildung. Und er habe sich eine Arbeit gesucht. Auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in der Toskana. Nächsten Monat kann er dort anfangen. Darüber will er mit seinem Betreuer Mefehnja Tatcheu sprechen.
    "Hast Du einen Arbeitsvertrag?", fragt der 34-jährige Kameruner, der vor zehn Jahren selbst als Flüchtling nach Italien kam. Tariq nickt.
    Warten auf den Ausgang des Asylverfahrens
    Gemeinsam gehen die Männer in die Wohnung im ersten Stock, die Tariq mit acht weiteren Männern aus Afghanistan, Nigeria, dem Tschad und Gambia bewohnt. Zu dritt teilen sie sich jeweils ein Zimmer.
    Im Eingangsbereich steht ein Wäscheständer mit T-Shirts zum Trocknen. Es riecht nach Putzmittel, die Küche ist sauber und aufgeräumt. Mefehnja kontrolliert, ob der Müll getrennt wurde. Er grinst.
    "Wir stammen aus einer Kultur, in der Männer nicht kochen. Aber wenn du in eine andere Gesellschaft übersiedelst, was machst du? Du musst dich anpassen. Das heißt, du kochst, du spülst das Geschirr ab, du wäschst deine Wäsche. Wer soll es denn sonst machen? Das hier ist kein Hotel. Das hier ist eine Wohnung. Wer hier einzieht, lernt, wie das Leben hier funktioniert."
    Und genau darum geht es. Kochen, waschen, einkaufen – Alltag. So hat der Tag Struktur und ist nicht nur ausgefüllt mit Warten. Warten auf den Ausgang des Asylverfahrens oder die Aufenthaltsgenehmigung. Monatelanges Warten.
    Ein Lächeln hilft oft weiter
    Mefehnja geht von Zimmer zu Zimmer, bespricht mit jedem, was ansteht. Manchmal reicht sein aufmunterndes Lächeln, damit sich das Gesicht des Gegenübers etwas aufhellt. Mefehnja kann sich in die Männer hineinfühlen.
    "Vieles hat sich verändert, seitdem ich nach Italien gekommen bin. Vor allem die Art und Weise, wie manche Leute uns auf der Straße anschauen. Sie denken, wir seien gekommen, um ihnen den Arbeitsplatz wegzunehmen. Sie denken, wir hätten gar keinen Grund gehabt, unser Heimatland zu verlassen. Früher war die Lega, die immer schon gegen die Flüchtlinge gewettert hat, eine Minderheitspartei. Heute ist das nicht mehr, aber nicht alle sagen dir offen ihre Meinung. Ich merke dann an den Kommentaren auf Facebook, wie Menschen aus meinem Umfeld ihre Meinung ändern."
    Bevor Mefehnja die Halbtagsstelle beim Flüchtlingshilfswerk ICS bekam, war er Lagerarbeiter bei einem bekannten italienischen Schuhhersteller. Auch auf dem Bau hat er gejobbt, und in einer Lederfabrik. Dort lernte er seine jetzige Frau kennen, ebenfalls aus dem Kamerun. Die beiden haben zwei Söhne und möchten in Italien bleiben. Die politische Entwicklung macht ihnen jedoch Sorge. Das Schlimmste wäre für Mefehnja, wenn seine Kinder wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert werden würden.
    "Ich versuche, nicht daran zu denken, weil mir das meinen inneren Frieden rauben würde. Aber das könnte passieren. Italien ist ein wunderbares Land und hat durchaus kulturelle Gemeinsamkeiten mit Afrika, deshalb fühlen sich viele Afrikaner grundsätzlich wohl hier. Rassisten gibt es überall, aber wenn sie zahlenmäßig zunehmen und nicht mehr nur eine kleine Minderheit darstellen, dann wird es ungemütlich. Ich kann mir nicht vorstellen, an einem Ort zu leben, der mir gegenüber feindlich gesonnen ist. Wenn ich sehe, dass es in diese Richtung weiter geht, dann werde ich von hier weggehen."
    Italiens Innenminister Matteo Salvini in einer Fernsehdiskussion in Rom vor einem Bildschirm mit Schlauchboot und Flüchtingen, Juni 2018
    Italiens Innenminister Matteo Salvini plant die Ausgaben für Flüchtlinge zu kürzen (imago / Samantha Zucchi)
    Viele der Flüchtlinge, die Mefehnja betreut, wollen nicht in Italien bleiben. Nordeuropa, insbesondere Deutschland, ist das eigentliche Ziel. Trotzdem stellen sie ihren Asylantrag in Italien. Sie müssen es, weil sie sonst aufgrund des Dubliner Abkommens an der Grenze postwendend zurückgeschickt werden. Mefehnja hält die Regeln, dass ein Asylantrag im ersten Land der Ankunft in Europa gestellt werden muss für falsch.
    "Ich finde, das muss jeder selbst entscheiden. Viele Flüchtlinge sind keine Kinder mehr. Wir können doch keinem 38- oder 39-Jährigen vorschreiben, wo und wie er sein Leben gestalten soll. Das muss er selbst wissen."
    Gerechtere Verteilung auf alle EU-Länder hat nicht funktioniert
    Ein weiteres Argument: Viele Flüchtlinge haben Verwandte in einem anderen Land, könnten sich dort leichter integrieren und wären weniger lange auf finanzielle Hilfe angewiesen. Aber die Europäische Union will die individuellen Bewegungen von Flüchtlingen innerhalb der Mitgliedsstaaten verhindern und stattdessen eine kontrollierte Umverteilung. Die "Relocation"-Programme von 2015 sollten die Zahl der Flüchtlinge gerechter auf alle EU-Länder verteilen. Geklappt hat das nicht. Länder wie Ungarn und Polen weigerten sich, teilzunehmen. Laut der EU-Asyl-Agentur EASO sind aus Italien nur 20.000 Asylbewerber in andere Staaten umgesiedelt worden, weit weniger als ursprünglich vereinbart worden war. Die EU-Kommission empfiehlt, bis Oktober 2019 50.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umzusiedeln.
    Mefehnja Tatcheu hat Tariqs Arbeitsvertrag eingescannt und ans Büro geschickt, um den Austritt des Pakistaners aus dem Betreuungsprogramm vorzubereiten. Dann macht er sich auf den Weg zur nächsten Wohnung.
    "Mich erfüllt diese Arbeit. Wenn ich jemanden dabei unterstützen kann, sich ein neues Leben aufzubauen, dann bin ich zufrieden. Mit vielen, die inzwischen Arbeit und eine Wohnung gefunden haben, bin ich auf facebook befreundet. Manche rufen auch regelmäßig an, um mich etwas zu fragen, manche wollen einfach nur wissen, wie es mir geht."