Donnerstag, 18. April 2024

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Neue Herausforderungen für Gewerkschaften

Heuer: Die Bänder im Bochumer Opelwerk laufen wieder. Nach den wilden Streiks wird jetzt intensiv verhandelt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer wollen die deutschen Opelwerke über 2010 hinaus erhalten und Stellen sozialverträglich abbauen. Sie wollen, sagen die GM-Manager. Dass es wirklich so kommt, steht allerdings keinesfalls fest. Haben die Streiks in Bochum den Interessen der Beschäftigten also eher genutzt oder geschadet? Darüber wird gegenwärtig heftig gestritten. Ebenso über die Mitbestimmung, ein typisch deutsches Instrument, das Arbeitnehmern und Gewerkschaften in den Aufsichtsräten der Unternehmen die Hälfte der Sitze und erhebliche Mitspracherechte sichert. Sind Mitbestimmung oder Streiks in der Globalisierung noch schlagkräftige Instrumente zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen? Wie groß kann der Einfluss nationaler Gewerkschaften auf international agierende Konzerne überhaupt sein? Wir fragen den Münchner Soziologen Ulrich Beck. Haben denn die Streiks in Bochum den Arbeitnehmern eher genutzt oder geschadet?

Moderation: Christine Heuer | 22.10.2004
    Beck: Das ist natürlich so einfach schwer zu beurteilen. Zunächst einmal, ich meine, uns allen schlug ja das Herz auch auf der Seite der Streikenden. Aber man muss sehen, dass trotzdem in den Streiks ein Element der historischen Tragik lag. Denn gegen wen haben sich die Streiks eigentlich gerichtet, gegen das örtliche Management oder gegen die eigentliche Zentrale in Amerika? Und dann ging es doch im Kern darum, das Werk stillzulegen, also insgesamt Arbeitsplätze abzubauen. Wie kann man gegen den Abbau von Arbeitsplätzen sinnvoll streiken? Ist es nicht gerade umgekehrt so, dass man dadurch die Arbeitplätze abbaut und eben sich selbst outsourct. Es liegt eine Tragik in den Streiks.

    Heuer: Die IG Metall feiert diese Streiks in Bochum aber als Erfolg, Herr Beck, weil GM danach Zugeständnisse gemacht habe. Täuscht sich die IG Metall?

    Beck: Die Situation ist kompliziert. Zunächst einmal ist es so, dass die transnationalen Konzerne ganz neue Machtchancen haben. Man muss sich erstmal darauf konzentrieren und sehen, wo eigentlich diese liegen. Sie liegen darin, dass sie nicht mehr und das scheint ganz trivial zu sein, aber es ist außerordentlich bedeutungsvoll, in einem besonderem Land oder in einem Standort investieren müssen, sondern dass sie diese Investitionen eben auch in anderen Ländern vollziehen können. Das heißt, sie können einfach Nein sagen zu den Arbeitsplätzen in einem bestimmten Land, und dieses Nein ist eigentlich nicht rechtfertigungspflichtig. Deswegen haben sie eine neue transnationale Handlungssphäre sich eröffnet, gegenüber denen die Gewerkschaften zunächst mal relativ stumpf sind, auch die Waffen der Gewerkschaften relativ stumpf sind. Das ändert sich in dem Maße und das lernen die Gewerkschaften und haben sie ja auch teilweise schon gelernt, indem sie sich ihrerseits auch transnational organisieren. Also beispielsweise auch transnational so etwas wie Mitbestimmung organisieren, transnational so etwas wie einen Betriebsrat organisieren, sodass sie nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden können, jedenfalls nicht mehr in demselben Maße. Davon sind Elemente auch im jetzigen Streik erkennbar. Beispielsweise die interessante Frage, inwieweit gelingt es tatsächlich, so etwas wie eine europäische Strategie der Gewerkschaften oder der Arbeitnehmer gegen den Versuch, einzelne europäische Standorte als Gewinner und Verlierer auszuspielen, wie weit gelingt dagegen eine gewerkschaftliche Strategie.

    Heuer: Aber bei Opel, Sie sagen es richtig, gab es Ansätze dazu, aber so richtig schlagkräftig war das nicht. Wie realistisch ist es denn, davon auszugehen, dass Gewerkschaften transnational streiken für eine Sache, von der möglicherweise wie im Fall von Bochum nur die Deutschen betroffen sind?

    Beck: Ja, das kann nur dadurch geschehen, dass man sozusagen langfristig auch über die eigenen Machtchancen im globalen Kontext nachdenkt. Wir haben ja plötzlich ganz unterschiedliche Spieler. Auf der einen Seite nationalstaatliche Spieler, natürlich die Staaten, die territorial gebunden sind, auch die Gewerkschaften und Arbeitnehmer, die alle sozusagen an ihren eigenen Ort gebunden sind. Man sollte auch an die Gemeinden denken, an die Bürgermeister, die auch enorm betroffen sind von solchen Umstellungen und Arbeitsplatzexporten, und auf der anderen Seite eben transnational agierende Unternehmen und Wirtschaftsverbände und ähnliches mehr. Man muss sich langfristig auf diese Situation einstellen.

    Ich finde ganz interessant, wenn man sich mal einen anderen Spieler anguckt, dem es in der Tat gelungen ist, eine Gegenmacht zum Kapital aufzubauen, das sind nämlich die Konsumenten, die Verbraucher, die ihrerseits transnational organisiert sind, jedenfalls dann, wenn sie Boykottbewegungen organisieren, und die deswegen so wirkungsvoll sind, weil sie im Grunde genommen etwas ganz ähnliches wie die Kapitalseite auch vollziehen können. Sie müssen nämlich nicht das, sondern können auch jenes kaufen. Sie müssen nicht unbedingt bei Shell tanken, sondern sie können auch bei Aral tanken. Und wenn das sozusagen kollektiv und weltweit geschieht, ist das eine enorme Waffe. Das heißt, der Verbraucher hat im Grunde genommen die Möglichkeit, durch seinen Kaufakt immer auch einen Stimmzettel auszufüllen, eine Stimme abzugeben, eine demokratische Stimme abzugeben, über die Politik der Unternehmen, und dem sind die ziemlich hilflos ausgeliefert. Das heißt, es käme darauf an, dass die bisher territorial fixierten Akteure wie Staaten, aber eben auch Gewerkschaften und Arbeitnehmer einsehen, dass sie langfristig nur in der Lage sind, ihre schwache Position zu überwinden, wenn sie in Europa kooperieren. Europa ist sozusagen das Modell, wo man so etwas praktizieren kann.

    Heuer: Ja aber wie könnte es funktionieren? Das, was sie mit den Konsumenten sagen, das hat ja bei Opel gerade nicht funktioniert, im Gegenteil nimmt der Absatz bei Opel offenbar nach den Streiks in Bochum sogar zu. Man stellt es sich ja auch schwierig vor, Konsumenteninteressen transnational zu organisieren. Es müsste eine Organisation geben, die das tut. Wäre Attac eine mögliche Organisation?

    Beck: Ja. Das haben wir, das dringt bloß in die deutsche Diskussion nicht so vor. Seit einigen Jahren gibt es eben Attac, aber viele andere Organisation, die tatsächlich aufgrund aktueller Boykottbewegungen, aber auch eben aufgrund Androhung von Boykott zu interessanten Verhandlungspartnern auch der Konzernspitzen geworden sind. Denen ist es durchaus gelungen, Menschenrechte durchzusetzen, auch bestimmte Arbeitsrechte oder soziale Sicherheit in direkter Interaktion mit den Unternehmen, mit den großen Konzernen. Das scheint schon eine Perspektive zu sein, die man bisher auch stärker in die Auseinandersetzung mit hereinholen sollte.

    Heuer: Sollten sich die Gewerkschaften dann international besser zusammentun mit Attac oder sollten sie tatsächlich eine eigene schlagkräftige Organisation gründen, die von Fall zu Fall aktiv werden kann.

    Beck: Ich glaube, beides. Auf der einen Seite ist es unverzichtbar, beispielsweise auf der Ebene von General Motors eine generelle Arbeiterbewegung zu organisieren. Wie weit das geht, muss man abwarten, weil in der Tat natürlich hier erhebliche kulturelle Unterschiede wirksam werden. Die Amerikaner halten ja überhaupt nichts von Mitbestimmung und sind auch gar nicht daran gewöhnt, dass es so etwas in der Auseinandersetzung gibt. Aber dennoch werden sie sich daran gewöhnen müssen, dass möglicherweise in Europa so etwas existiert. Und warum sollte man nicht noch einen Schritt weiter gehen und sagen: Auch Konsumenten, auch Verbraucherorganisationen gehören beispielsweise Mitbestimmungsrechte in Konzernen und Betrieben. Sie müssen ihrerseits sozusagen die Perspektive des Verbrauchers einbringen. Ich halte den Verbraucher für einen schlafenden Riesen in diesen Auseinandersetzungen.

    Heuer: Herr Beck, jetzt sind wir ganz beim Konsum und bei den Beteiligten im Konsum. Was ist eigentlich mit der Politik, welche Chance hat in der globalisierten Moderne die Politik überhaupt noch?

    Beck: Ich habe in meinem Buch "Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter" versucht darzustellen, dass die Vorstellung, die bisher dominiert, nämlich dass die Staaten nur in einzelstaatlichen Aktionen, die Deutschen als deutsche Regierung oder dann auch die Landesregierung darauf reagieren können, der zentrale Irrtum ist, der die Politik dazu verdammt, in diesen Auseinandersetzungen eine Zuschauerrolle einzunehmen. Erst in dem Maße, in dem es gelingt - und ich glaube, man kann das ganz konkret zeigen, ich zeige das in diesem Buch mit einer Fülle von Strategien -, in denen es gelingt, Kooperationen zwischen Staaten aufzubauen, ihrerseits staatliche Politik auch transnational neu zu beleben, neue Arten von Souveränität, eben grenzenübergreifende Souveränität durch Kooperation zu erzeugen, - und da gibt es eine Fülle solcher Strategien -, können die Staaten auch wieder auf dies neue globale Machtspiel neue Einflussmöglichkeiten gewinnen. Und genau darauf käme es an. Der entscheidende Ort dafür, wo das eigentlich praktiziert wird, ist die Europäisierung, ist die Europäische Union. Deswegen frage ich mich, warum wir auch angesichts dieses Arbeitsplatzexportes, der ja alle Menschen sehr stark beunruhigt, nicht stärker auch eine politische Diskussion entfachen, inwieweit darauf nicht nur einzelstaatliche Antworten, sondern eben eine europäische Antwort möglich ist.

    Heuer: Könnte daran liegen, dass die Einzelstaaten vielleicht nicht so viele Souveränitätsrechte aufgeben wollen.

    Beck: Aber dahinter liegt eine Paradoxie, denn fast in allen Bereichen haben wir es damit zu tun, dass die Einzelstaaten nicht mehr in der Lage sind, auf diese Probleme angemessen zu reagieren. Das können wir augenblicklich erleben und der Arbeitsplatzexport ist ja ganz evident, der betrifft ja viele Staaten. Erst in dem Maße, in dem sie sich zusammenschließen, also scheinbar ihre Souveränität abgeben, gewinnen sie neue Souveränität, gewinnen sie auch neue Handlungschancen im Umgang mit ihren nationalen Problemen.