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Neue Hotspots im Meer

Biologie. - Die größte Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten ist rund um den Äquator zu finden, auch im Meer. Viele tropische Korallenriffe sind sogenannte Hotspots der Biodiversität, weil dort Hunderte unterschiedlicher Riff-Fischarten vorkommen. Allerdings wird die Qualität eines Ökosystems nicht nur von der schieren Zahl der vorhandenen Arten bestimmt. Ein internationales Team von Meeresbiologen hat jetzt erstmals weltweit die biologische Vielfalt an Fels- und Korallenriffen nach etwas anderen Kriterien bestimmt. Ihre Studie im Fachmagazin Nature zeigt: Hotspots gibt es auch abseits der Tropen.

Von Lucian Haas | 26.09.2013
    Die Arten Vielfalt in der Natur kann man auf verschiedene Weisen messen und vergleichen. Die simpelste Form besteht darin, einfach nur die Anzahl unterschiedlicher Arten in einem Gebiet aufzuaddieren. Jene Regionen, wo unterm Strich die größten Zahlen stehen, werden üblicherweise als Hotspots der Arten Vielfalt bezeichnet. Der australische Meeresbiologe Rick Stuart-Smith von der Universität von Tasmanien bevorzugt allerdings einen anderen Ansatz,

    "Stellen Sie sich zwei Wasserbecken vor. In einem befinden sich ein Fisch, eine Krabbe und eine Schnecke. Im anderen sind drei unterschiedliche Fische. Wenn wir nun die Artenvielfalt in klassischer Weise anhand der Zahl der Arten messen würden, wäre die Vielfalt in beiden Becken gleich. Aber wenn man sich die funktionelle Vielfalt, anschaut, also wie unterschiedlich die Arten fressen, wie sie agieren, wo sie sich aufhalten, dann weist das Becken mit dem Fisch, der Krabbe und der Schnecke eine höhere Vielfalt .auf. Wir sehen in dieser funktionellen Vielfalt aus ökologischer Sicht das relevantere Maß im Vergleich zur blanken Anzahl an Arten, die in einem bestimmten Gebiet zu finden sind."

    Bisher gingen die meisten Biologen davon aus, dass in der freien Natur diese Unterscheidung gar nicht so wichtig ist. Man rechnete damit, dass in den Hotspots mit Tausenden verschiedener Arten, typischerweise in den Tropen, zwangsläufig auch die höchste funktionelle Vielfalt zu finden ist, Rick Stuart-Smith und internationale Forscherkollegen haben das jetzt genauer untersucht, und zwar am Beispiel der Vielfalt der Fische, die an Fels- und Korallenriffen leben. Für die Studie stützten sie sich auf Daten des "Reef Life Survey". Das ist ein Forschungsprogramm, bei dem Taucher weltweit an Riffen nach einem einheitlichen Muster die dort lebenden Arten erfassen. In die Auswertung flossen Beobachtungen an mehr als 1800 verschiedenen Standorten ein - von den Küsten Großbritanniens im Norden über Riffe in tropischen Gewässern bis hin nach Australien im Süden, Die Ergebnisse sind überraschend, Rick Stuart-Smith:

    "Für viele Gebiete, von denen wir wussten, dass sie eine enorme Biodiversität im Sinne hoher Artenzahlen haben, stellte sich heraus, dass sie gar nicht die höchste funktionelle Vielfalt aufweisen. Ein Grund liegt darin, dass die Populationen verschiedener Arten dort ungleich stark präsent sind. Häufig dominieren die Tiere von nur einer oder zwei Arten einen Standort, neben einer großen Zahl seltenerer Spezies."

    Viele der selteneren Arten fallen allerdings von der Zahl der Individuen her so wenig ins Gewicht, dass sie keine prägende Funktion für das Ökosystem haben. Rick Stuart-Smith fand aber in den gemäßigteren Breiten Gebiete, in denen zwar die Artenvielfalt nicht so hoch ist, die Populationsgrößen der einzelnen Arten aber viel gleichmäßiger verteilt sind. Daraus ergibt sich eine größere funktionelle Vielfalt. Mit anderen Worten: Auch abseits tropischer Riffe gibt es bedeutende Hotspots der Diversität im Meer. Interessant sind solche Erkenntnisse für den Naturschutz - wenn es um die Frage geht, wo in den Weltmeeren am besten Schutzgebiete ausgewiesen werden sollten. Der Biologe Derek Tittensor arbeitet für das World Conservation Monitoring Centre des UN-Umweltprogramms:

    "Die Studie macht uns das Leben schwerer. Wenn die Ergebnisse gezeigt hätten, dass die Hotspots der funktionellen Vielfalt mit den bereits bekannten Hotspots der Vielfalt der Arten übereinstimmen, wären wir fein raus. Dann könnten wir genau diese Gebiete schützen und hätten damit beide Elemente der Biodiversität auf einen Streich abgedeckt. Aber es gibt Regionen mit sehr hoher funktioneller Vielfalt, die keine klassischen Hotspots der Artenvielfalt sind. Das zwingt uns dazu, viel weiter gefasst darüber nachzudenken, wo wir uns für den Schutz der Ozeane einsetzen."

    Derek Tittensor hält noch weitere Forschungen für notwendig. Die aktuelle Studie bezieht sich ja nur auf Riff-Fische. Solange nicht ähnliche Erhebungen auch für andere Arten gemacht würden, sei es schwer einzuschätzen, inwieweit die Ergebnisse allgemein übertragbar sind.