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Neue ICE-Strecke
Freie Fahrt ohne Signale

Die neue ICE-Strecke von Halle/Leipzig nach Erfurt beschreitet in der Signaltechnik Neuland. Zum ersten Mal in Deutschland gibt es keine Signale entlang des Schienenstrangs. Und auch die Brücken der Trasse sind eine Besonderheit.

Von Hartmut Schade | 09.12.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Lokführer Stefan Baumgart im Führerstand des ICEs auf der neu eingeweihten Strecke zwischen Halle/Leipzig und Erfurt.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Lokführer Stefan Baumgart im Führerstand des ICEs auf der neu eingeweihten Strecke zwischen Halle/Leipzig und Erfurt. (picture alliance / dpa / Jens Meyer)
    Konzentriert blickt Lokführer Thomas Franz auf die schnurgerade Strecke vor ihm. Außer Schienen, Wiesen und Feldern ist nichts zu sehen. Kein Signal, kein Schild steht rechts des Schienenstrangs. Und doch weiß Thomas Franz, was ihn auf dem nächsten Streckenabschnitt erwartet. Ein Monitor in der Mitte des ICE-Führerstands zeigt links die aktuelle Geschwindigkeit von 234 Kilometern in der Stunde an, während rechts ein gelber Balken langsam nach unten wandert. Das Zeichen für einen bevorstehenden Stopp.
    "Das ist die Planungsebene, wir haben in 15.000 Metern einen Halt, also 15 Kilometern. Ansonsten würden noch Sonderzeichen, Geschwindigkeitswechsel angezeigt, wir können 30 Kilometer vorausschauen."
    Weitblick dank Balisen
    Möglich ist der Weitblick dank des European Train Control System, kurz ETCS, einem europaweit einheitlichen Sicherungssystem für Hochgeschwindigkeitszüge. Auf der Neubaustrecke zwischen Halle/Leipzig und Erfurt kommt erstmals das ETCS Level 2 ohne Signale zum Einsatz. Stattdessen sind in Kilometerabstand Balisen, eine Art Transponder, zwischen den Gleisen montiert, sagt Olaf Drescher, der den Bau der neuen ICE-Strecke leitete:
    "In den Balisen sind feste Informationen einprogrammiert, zum Beispiel über den Ort, wo befindet sich der Zug gerade und die Geschwindigkeitsinformation. Und diese Information sammelt der Zug auf, und vergleicht die über Funk eingegebenen, die im Stellwerk generiert werden, vergleicht die, stimmt die ab und dann folgt die entsprechende Reaktion."
    Ganz ohne Zutun des Lokführers bremst dann der ICE, weil er dem vorausfahrenden Zug zu nahe gekommen ist, oder er beschleunigt um eine Verspätung aufzuholen.
    Das "Fahren auf elektronische Sicht" ist nicht nur deutlich schneller, so lassen sich auch Züge in kürzeren Abständen auf die Strecke bringen. Der Wegfall der Signale spart Kosten, soll mehr Sicherheit bringen, weil Signale nicht unabsichtlich übersehen werden können.
    Deutschlands größte Eisenbahnbrücke ist integral
    Nicht nur mit dem Verzicht auf Signale rollt die Bahn auf unbekanntes Terrain. Mit der 6465 Meter langen Elster-Saale-Talbrücke ist auf der Strecke Halle/Leipzig-Erfurt auch die größte deutsche Eisenbahnbrücke entstanden. Ebenso wie die anderen fünf Brückenneubauten ist sie eine integrale Brücke.
    "Integrale Brücken bedeutet ... Also bisher war klassischerweise der Pfeiler und der Überbau, der drüber liegt, getrennt, war nur verbunden über ein Lager. Ein Lager, wo der Unterbau draufliegt, und zwar flexibel. Was wir jetzt machen, ist den Pfeiler direkt in die Brücke mit integrieren."
    Die extrem hohen Kräfte, die ein tausend Tonnen schwerer Güterzug oder ein ICE mit Tempo 300 erzeugen, werden also über die Pfeiler abgefangen und das erforderte neuartige Stahlbewehrungen im Pfeilerinneren. Trotz der aufwendigeren Konstruktion sollen die neuartigen Brücken im Unterhalt 20 bis 30 Prozent günstiger sein, weil der teure und komplizierte Tausch der Lager entfällt.
    Brücken in Plattenbauweise
    Die neuen Konstruktionen sorgten im Sommer für Irritationen beim Eisenbahn-Bundesamt, das umfangreiche Beweismessungen verlangte. Jetzt sind die Brücken offiziell freigegeben, ebenso der neuartige Unterbau aus vorgefertigten Betonplatten.
    "Die Plattenbauweise ist dadurch gekennzeichnet, dass ich die Herstellung in einem Werk durchführe, dadurch habe ich die Möglichkeit natürlich, dass ich ganz andere Qualitätsanforderungen umsetzen kann. Die Platten haben eine Länge von ungefähr 5,5 Metern. Diese Platten sind halt normiert und schon angepasst an die entsprechende Trassierung. Das heißt, es gibt für jede Platte genau einen lokalisierten Standort, genau dort wird sie eingepasst."
    Oben hui, unten hui
    Der Untergrund der neuen ICE-Trasse ist anders als bei normalen Zugstrecken. Eine elastische Matte liegt unter den Betonplatten, dazu sollen veränderte Technologien beim Unterbau Schwingungen weitgehend minimieren. Messungen, ob ein mit 300 Stundenkilometern dahinfliegender ICE tatsächlich weniger Erschütterungen auslöst, habe es aber nicht gegeben, sagt Baumanager Drescher, verweist aber auf seine Kaffeetasse:
    "Na ja, das ist jetzt so ein gefühlter Wert. Stellen sie einfach eine Kaffeetasse hin und schauen, wie sich der Spiegel der Oberfläche verändert. Daran merken sie, ob die Vibrationen, die Laufruhe entsprechend vorhanden ist oder nicht."
    Viel Zeit für diesen Test bleibt den Zugreisenden allerdings nicht. Gerade mal 35 Minuten soll die Fahrt von Erfurt nach Halle in Zukunft noch dauern.