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"Neue Industrielle Revolution"

Biologie. - Am Beginn der synthetischen Biologie steht ein Mann, der polarisiert, seit er in das Rennen um die Entschlüsselung des menschlichen Genoms eingriff. Craig Venter hat sich nach seinem Sieg über das staatlich finanzierte Humangenom-Projekt an die Entwicklung von künstlichen Organismen gegeben. Und jetzt einen Durchbruch vorgestellt.

Von Michael Lange | 21.05.2010
    "We have been digitizing biology."

    Craig Venter war von Anfang an dabei, beim Wettlauf darum, den Code des Lebens zu entziffern, - die Biologie zu digitalisieren, wie er sagt. Ende der neunziger Jahre entwickelt er Methoden, mit denen er diesen Code deutlich schneller entziffern kann als seine Konkurrenz. Die Basen der DNA: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin – tausendfach, millionenfach, milliardenfach. Bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 spielt er eine Hauptrolle und avanciert zum umjubelten und umstrittenen Superstar der Biotechnologie. Craig Venter galt und gilt als Dickkopf, der sich gegen alle Widerstände durchsetzt.

    "Our experiments over the last fifteen years has shown that DNA is in fact the software of life."

    Das Erbmolekül DNA sei die Software des Lebens. Das hätten die Experimente der letzten 15 Jahre gezeigt. Ausgehend von dieser Erkenntnis setzt sich Venter neue Ziele. Er will den Code des Lebens, die Reihenfolge der Basen im Erbmolekül, nicht nur lesen, sondern selbst schreiben.

    "We actually start with digitized biology in the computer, four bottles of chemicals and we create new pieces of DNA that can lead to new engineered cells."

    Die Digitale Biologie beginnt mit einer Buchstabenfolge im Computer. Aus vier Flaschen mit Chemikalien entstehen dann im Labor neue Erbmoleküle. Aus Information wird Biochemie. Immer schneller, immer genauer lassen sich natürliche Erbmoleküle nachbauen. 2007 gelingt es einem Team am Venter-Institut, das Erbgut eines Bakteriums auf ein anderes zu übertragen. Die Forscher verwandeln eine Bakterienart in eine andere.

    "That is how biology actually works. We can write the chemical software, put it into a living cell and that cell would morph into a new species."

    So arbeite die Biologie. Man nehme eine chemische Software, stecke sie in eine lebende Zelle, und diese verwandelt sich in eine neue Art. Craig Venter hatte bewiesen, dass die DNA die Herrscherin in der Zelle ist. Nun ging es "nur" noch darum, diese DNA nicht mehr aus der Natur zu entnehmen sondern selbst zu schreiben.

    "And now we are trying to form that digital code into a new phase of biology with designing and digitizing life."

    Mit diesem digitalen Code soll laut Craig Venter eine neue Phase der Biologie beginnen, in der Leben gestaltet und künstlich synthetisiert werden kann. Der Mensch als Schöpfer. Für Craig Venter ist das keine Horrorvorstellung sondern der Beginn einer biotechnologischen Revolution, mit der sich Umweltprobleme lösen und Krankheiten bekämpfen lassen.

    "It will be – what many of us think - a new industrial revolution."

    Eine neue industrielle Revolution.


    "We are here today to announce the first synthetic cell."

    Craig Venter, gestern Mittag um 1.00 Uhr Washingtoner Zeit. Auf einer Pressekonferenz stellte er zusammen mit Kollegen seine neuesten Forschungsergebnisse vor: den ersten Organismus mit synthetischem Erbgut. Der Wissenschaftsjournalist Michael Lange bewertet das Projekt im Gespräch mit Katrin Zöfel:

    Zöfel: Herr Lange, handelt es sich bei diesem neuen Bakterium nun um ein künstliches Wesen oder doch eher um fast ein Naturprodukt?

    Lange: Ja, das ist schwierig zu sagen. Eigentlich beides. Ich möchte mal so sagen, es ist ein künstliches Naturprodukt. Es sieht aus wie in der Natur, aber ein wichtiger Teil dieses Bakteriums ist künstlich im Labor hergestellt: das Genom, das Erbgut. Und das ist für Venter und die Biologen ganz generell der Kern des Lebens, die Information des Lebens. Und die ist in der Tat künstlich zusammengesetzt worden, erstmalig.

    Zöfel: Und wie haben die Forscher das gemacht?

    Lange: Ja, sie mussten die Hilfe der Natur zu Hilfe nehmen. Also ohne die Natur ging es bei Craig Venter und seinem Team definitiv nicht. Sie haben sich zunächst ein Bakterium genau angeschaut und zwar das natürliche Bakterium Mycoplasma mycoides, haben die Erbgut-Sequenz bestimmt. Das ist schon vor einigen Jahren geschehen, sie wussten also genau die Reihenfolge der einzelnen Buchstaben im Erbgut, der Basen A,C,G und T, und haben diese Reihenfolge dann nachgeschrieben. Sie kannten diese eine Million Basenpaare und haben sie dann chemisch synthetisiert. Das war relativ schwierig, man muss erst einmal ganz kleine Abschnitte machen, 40 bis 50 Basenpaare, und die muss man dann zu einem eine Million großen Erbmoleküle zusammensetzen. Dabei hatten sie Hilfe, wieder aus der Natur, diesmal von Hefezellen. Die Hefezellen haben diese kleinen Schnipsel zusammengesetzt, aber da war dieses Erbgut sozusagen noch immer reine Chemie, es lebte nicht. Also musste es in eine Empfängerzelle verpflanzt werden. Da kommt wieder ein Naturprodukt, oder ein natürlicher Organismus, ins Spiel und zwar Mycoplasma capricolum, ein Verwandter des Bakteriums. Und der hat sozusagen, dieses Bakterium hat diese künstliche DNA aufgenommen, und die künstliche DNA wurde angeschaltet und hat die Kontrolle über dieses andere Bakterium gewonnen. Und dann ist tatsächlich aus diesem M. Capricolum ein M. Mycoides geworden, also wieder der, den die Wissenschaftler reingeschrieben haben. Und sie konnte nachher beweisen, dass das Erbmaterial in diesen Zellen, in diesem kleinen blauen Zellen, die sie sah vor sich hatten, tatsächlich künstlich war.

    Zöfel: Können die Forscher tatsächlich von außen betrachtet die Bakterien mit künstlichem Genoms von Bakterien mit natürliche Genom überhaupt noch voneinander unterscheiden?

    Lange: Das ist sehr schwierig. Also, auch ein Wissenschaftler muss genau hinschauen, aber es ist mit wissenschaftlichen Methoden möglich. Und zwar muss man sich das Erbgut des Bakteriums genauer anschauen. Zunächst einmal sind einige Fehler passiert. Da fehlen 16 Gene, naja, das kann passieren. Es ist trotzdem lebensfähig, das Bakterium. Aber sie haben noch etwas anderes gemacht, mit dem der Nachweis der Künstlichkeit relativ einfach möglich ist. Sie haben ihre Unterschrift ins Erbgut geschrieben, oder ein Wasserzeichen. Sie haben einfach den Code, den wir kennen, die Sprache, die Buchstaben des Alphabets umcodiert sozusagen in biologische Buchstaben, haben sich etwas ausgedacht, wie man das chiffrieren kann, und dann haben sie die Namen der Wissenschaftler ins Erbgut dieses Bakteriums einprogrammiert. Ja, und da, diese Bausteine werden immer wieder kopiert von dem Bakterium, da stehen jetzt völlig biologisch sinnlose Buchstaben, das sind die Namen der Forscher, das kann man nachkontrollieren.

    Zöfel: Craig Venter hat diesen Durchbruch schon mehrfach angekündigt seit 2008. Aber dann hat es doch immer wieder länger gedauert. Warum?

    Lange: Da gab es sehr viele Gründe. Craig Venter ist einfach der Typ, der sich Ziele setzt, die andere für unerreichbar halten, das hat er auch diesmal wieder gemacht. Es war aber in der Tat sehr schwierig, erst einmal wuchsen die Bakterien, die er machen wollte, sehr langsam. Er musste mehrfach den Bakterienstamm wechseln. Am Anfang wollte er mit menschlichen Bakterien, also mit Bakterien, die Menschen befallen, Mycoplasma genitalium, der wuchs aber zu langsam. Da musste auf dieses Zielbakterium M. Mycoides, wechseln, dann musste er seinen Traum aufgeben, ein Minimal-Genom herzustellen. Er wollte eigentlich den Code des Lebens selber schreiben und mit möglichst wenig Genen auskommen, und so einen Organismus schaffen, wie ihn die Natur überhaupt nicht kennt. Das war aber auch schwieriger als gedacht, also musste er wieder umdenken: Naja, ich baue was nach, was es schon gibt, da kann ich einfach abschreiben, das kann ich kopieren. Und mit dieser Idee hat es dann letztlich funktioniert, aber es ging wirklich nur Schritt für Schritt vorwärts. Und insgesamt haben diese Forschungen sage und schreibe 15 Jahre gedauert und 40 Millionen Dollar gekostet.

    Zöfel: Lebt denn die erste Kolonie, mit der es geklappt hat, noch?

    Lange: Ja, die lebt in der Tat noch. Aber man muss sagen, sie lebt im Moment nicht aktiv, die ist eingefroren, also wirklich in flüssigem Stickstoff, das machen Wissenschaftler wenn sie Bakterien wirklich in dem Zustand halten wollen, in dem sie jetzt sind. Die können auch einfach in Kultur wachsen, die bilden dann diese schönen kleinen blauen Kolonien, aber wenn ein Bakterium wächst, dann ändert es sich. Und wenn es tiefgefroren ist, da bleibt es so, wie es ist. Und Venter wünscht sich natürlich, dass sein besonderes Bakterium irgendwann einmal in einem Museum landet. Aber zu sehen wird da wenig sein. Das ist nur ein kleines Gefäß mit ein paar Zellen drin.

    Zöfel: Das war jetzt ein Schritt weiter auf dem Weg zu künstlichem Leben. Wie geht es jetzt weiter, wie will Craig Venter diese Erkenntnisse nutzen?

    Lange: Er will natürlich weitermachen. Craig Venter ist einer, der sich mit 68 nicht zur Ruhe setzt. Er will natürlich sein Minimal-Genom schaffen, seinen eigentlichen Traum. Den will er verwirklichen, den hat er noch nicht erreicht, auch wenn er sagt, das ist jetzt der erste künstliche Organismus. Und er will auch etwas praktisches schaffen, er will Zellen schaffen, die zum Beispiel Öl produzieren, denn einer seiner Geldgeber ist der Ölkonzern Exxon, da setzt er auf Algen. Er will aber auch CO2 aus der Luft holen, Impfstoffe herstellen, er hat sehr hohe Ziele, aber ob die alle erreichbar sind, da wird sicherlich noch drüber diskutiert werden. Es wird sicherlich noch sehr viele Jahre dauern.