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Neue Jeanne-d’Arc-Biografie
Seherin, Kriegerin, Heilige

Jeanne d'Arc ging als Jungfrau von Orléans in die Geschichte ein und wird in Frankreich bis heute als Heilige verehrt. Immer öfter wird sie aber auch als Nationalheldin für politische Zwecke instrumentalisiert, wie der Historiker Gerd Krumeich in einer neuen Biografie über Jeanne d'Arc aufzeigt.

Von Alfried Schmitz | 03.02.2021
Eine Statue von Jeanne d'Arc, der Nationalheldin Frankreichs.
Eine Statue von Jeanne d'Arc, der Nationalheldin Frankreichs. (picture alliance / dpa)
Gerd Krumeich ist Historiker. Seit seiner Habilitation 1989 beschäftigt er sich intensiv mit der historischen Figur der Jeanne d’Arc - aber auch mit ihrer Wirkung heute:
"Jeanne muss alle Franzosen einigen. Aber die Linke winkt da ab und die Rechte schreit seit 1900 immer wieder in verschiedenen Tonlagen: Jeanne gehört uns, Jeanne muss Frankreich befreien. Am besten von allen Juden, von allen Islamisten, von allen, die nicht französisch sind."
Krumeich gilt als profunder Kenner und Beobachter der französischen Politszene: "Eigentlich sollte sie über den Parteien stehen, als ein gemeinsames Ideal in ihrer Geschichte, aber es ist in Wirklichkeit praktisch doch eine Figur geworden, die nur noch von der Rechten gefeiert wird. Leider!"

Jeanne d'Arc als politische Projektionsfläche

Besonders Marine Le Pen, Parteichefin des "Rassemblement National", bis 2018 als "Front National" bekannt, versucht immer wieder, Jeanne d’Arc vor den Karren ihrer rechtspopulistischen Ideologie zu spannen. Immer wieder muss die Nationalheldin, die vor rund 600 Jahren entscheidend dazu beitrug, Frankreich von der englischen Besatzung zu befreien, für Le Pens Oppositionspolitik herhalten.
Porträt der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen während einer Rede vor einem Mikrofon.
Marine Le Pen greift in ihrer Rhetorik gerne auf Jeanne d'Arc zurück (picture alliance / dpa / MAXPPP / Pierre Teyssot)
Mehr noch: Die Politikerin sähe sich selbst gerne in der Rolle der Befreierin Frankreichs und setzt dabei auf die Parole: "Jeanne d’Arc, c’est la France, et la France, c’est Jeanne d’Arc". Auf solche Vereinnahmungsversuche, reagierte Emmanuel Macron vor gut fünf Jahren in einer vielbeachteten Rede mit markigen Worten: "Sie haben Jeanne verraten, sie gehört keiner politischen Gruppe, sondern nur Frankreich."
Das war am 8. Mai 2016. Macron, damals noch Frankreichs Wirtschaftsminister und heute Präsident, war als Ehrengast nach Orléans geladen. Dort wird jährlich der Heldin und ihres ruhmreichen Sieges gedacht – und zwar seit 1431, dem Todesjahr Jeanne d’Arcs, die die Stadt 1429 von der Belagerung durch die Engländer befreite. Seitdem finden dort große Feierlichkeiten zum Gedenken an die Heldin und ihren ruhmreichen Sieg statt. Macron wusste die Gunst der Stunde für sich zu nutzen und hielt vor der Kathedrale von Orléans eine flammende Rede, in der er die Nationalheldin rhetorisch geschickt als links-liberale Ikone präsentierte.
"Jeanne d’Arc zeigt, dass eine Ordnung nicht hält, wenn sie ungerecht ist. Sie gibt denen, die nichts haben, die Hoffnung, über die triumphieren zu können, die alles tun, damit die etablierte Ordnung bestehen bleibt."
Bei seiner Rede in Orléans konnte sich Macron, der sich im Alter von 12 Jahren auf eigenen Wunsch katholisch taufen ließ und die Jesuitenschule in seiner Heimatstadt Amiens besuchte, einen Seitenhieb auf die Rolle der katholischen Kirche im Zusammenhang mit Jeanne d’Arcs tragischem Schicksal nicht verkneifen: "Erst haben sie sie verbrannt, dann heilig gesprochen."

Ein Mädchen hört Stimmen

Vom Aufstieg zur Kriegsheldin bis zu ihrer Hinrichtung als Ketzerin auf dem Scheiterhaufen dauerte es knapp drei Jahre. Vom Rehabilitationsprozess, der kurz nach ihrem Todesurteil angestrengt wurde, bis zur Heiligsprechung Jeanne d’Arcs vergingen mehrere Jahrhunderte. Wer war diese junge Frau, die zur Legende, zum Mythos, zur Märtyrerin und zur französischen Nationalikone wurde und die bis heute mal von der einen, mal von der anderen Seite instrumentalisiert wurde und wird?
Der Historiker Gerd Krumeich
Gerd Krumeich beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Jeanne d'Arc (Picture Alliance / dpa / Soeren Stache)
Geboren wird Jeanne d’Arc um 1412 im lothringischen Dorf Domrémy, als eines von fünf Kindern einer recht wohlhabenden Bauernfamilie. Mit 13 beginnt Jeanne, Stimmen zu hören: göttliche Eingebungen und Visionen, wie sie später sagen wird. Diese Stimmen geben ihr schließlich einen konkreten Auftrag, den sie zu ihrer Mission macht.
"Der Auftrag lautete, zum König nach Chinon zu gehen, wo sich Karl VII. aufhielt und ihn dazu bewegen, ihr Soldaten zu geben, damit sie mit diesen Orléans von der englischen Belagerung befreien konnte und dann anschließend den König zu seiner Weihe nach Reims zu bringen. Der war nämlich zwar schon im Amt, König Karl der VII., aber er war noch nicht geweiht."

"Die Frau hatte ein militärisches Genie"

Obwohl Jeanne kaum lesen und schreiben kann, wird ihre rhetorische Begabung, ihre Fähigkeit zur Kommunikation mit den Menschen zu einer wichtigen Waffe im Kampf gegen die englische Besatzung. Gerd Krumeich, der seine jahrzehntelangen Forschungen zur Jungfrau von Orléans mit seiner neuen 400 Seiten starken Biografie krönt, nennt einen weiteren Grund, warum sich diese junge Frau durchsetzen konnte:
"Diese Begeisterungsfähigkeit, die sie hatte, die sich auf die Soldaten, auf die Ritter, sogar auf die Söldnerheere und auf die Stadtbürger von Chinon, von Orléans und den anderen Städten, die sie dann einnahm, übertrug."
Doch nicht nur das. Die junge Frau, die in Rüstung und auf einem Schimmel reitend die französischen Truppen von Sieg zu Sieg führt, beweist auch Mut und Geschick auf dem Schlachtfeld.
"Sie ist auch deshalb oft in der Forschungsliteratur und in der populären Literatur mit Napoleon verglichen worden. Weil sie einen sehr, sehr klaren strategischen und taktischen Blick hatte und extrem gut mit Soldatengruppen umgehen und diese führen konnte. Die Frau hatte ein, wie man sagt, militärisches Genie."
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Ein Ende als Ketzerin

Als Jeanne d’Arc in der Schlacht um Compiègne in Gefangenschaft gerät, bietet sich den Engländern die Gelegenheit, sich an der jungen Frau zu rächen. Sie aber einfach nur hinzurichten, würde sie zur Märtyrerin machen. Sie entscheiden sich dafür, ihren Kriegsruhm herunterzuspielen, sie zu entglorifizieren, sie als verrückte Lügnerin, Hexe und Gotteslästerin zu diskreditieren und zu verurteilen – dies halten die Engländer für den besseren Schachzug. Sie setzen ein Tribunal ein – mit Bischöfen aus dem anglo-burgundischen Lager, die ihnen wohlgesonnen sind.
"Es war also quasi eine Symbiose von englischem Interesse und theologischem Interesse. Man wollte beweisen, dass der Sieg von Orléans, die Weihe des Königs in Reims, die ganzen anderen Schlachtenerfolge der Jungfrau eben nicht Gott zu verdanken waren, sondern dem Teufel."
Eine Illustration von Paul de Semant (1855-1915) zeigt die Verbrennung der Jeanne d'Arc auf einem Scheiterhaufen in Rouen am 30 Mai 1431
Am 30. Mai 1431 starb Jeanne d'Arc auf dem Scheiterhaufen (imago stock&people / Paul de Semant (1855-1915))
Am 30. Mai 1431 wird Jeanne d’Arc auf dem Marktplatz von Rouen als Ketzerin öffentlich verbrannt. Doch die Niederlage Englands ist nicht mehr aufzuhalten. 1450 ist der Krieg um die französische Krone gewonnen; die englischen Truppen sind fast komplett aus Frankreich vertrieben.
Karl der VII., der Jeanne d’Arc während ihrer Gefangenschaft im Stich gelassen hatte, strengt noch im gleichen Jahr einen Revisionsprozess an. Der französische König will es nicht auf sich sitzen lassen, im Kampf gegen die Engländer durch eine Frau unterstützt worden zu sein, die mit dem Teufel im Bunde war. Der Ausgang des Prozesses steht wohl schon von Beginn an fest: Jeanne d’Arc wird rehabilitiert. Doch ihr Ruhm beginnt über die Jahrhunderte zu verblassen. Mehr noch, die Aufklärer verachten und verspotten sie….
"…als eine Königsdienerin, als eine, die den König zu seinen Würden befördert hat und eine Monarchistin war. Und das besonders bei Voltaire."

Die Wiederentdeckung der Jungfrau

Diese Sichtweise ändert sich erst im 19. Jahrhundert. Besonders Schillers Drama um die Jungfrau von Orleans, 1801 uraufgeführt und auch in Frankreich ein Bühnenerfolg, trägt dazu bei, dass die linken Republikaner Jeanne d’Arc neu entdecken und zu ihrer Volksheldin machen. Schiller präsentiert seine Johanna nämlich in erster Linie als Kämpferin fürs Vaterland und weniger als Interessenvertreterin des Königs.
An dem damals neu aufkeimenden Personenkult um Jeanne d‘Arc möchte auch die katholische Kirche in Frankreich teilhaben. Und so reicht Ende der 1860er-Jahre der Bischof von Orléans beim Papst einen offiziellen Antrag zur Heiligsprechung ein. Die Zustimmung wird vom Vatikan auf die lange Bank geschoben. Letztlich ist sie als diplomatische Geste zu werten. Rom will Paris eine Art Versöhnungsgeschenk machen. Denn Ende des 19. Jahrhunderts war es zum Zerwürfnis zwischen Vatikan und französischer Regierung gekommen - wegen der strikten Trennung von Staat und Kirche in Frankreich.
"Das Ganze hat sich dann über 50 Jahre hingezogen und so ist sie dann 1920 heiliggesprochen worden und ihr Feiertag ist der 30. Mai, der Tag, an dem sie verbrannt worden ist in Rouen."
An ihrer Hinrichtungsstätte in Rouen, aber auch in Paris und Orléans und in den Kathedralen von Reims und Straßburg erinnern heute prachtvolle Denkmäler und Statuen an die Nationalheldin Frankreichs. Ihr Geburtshaus in Domrémy-la-Pucelle hat sich zu einer wahren Wallfahrtsstätte der Jeanne-d’Arc-Verehrung entwickelt.
Gerd Krumeich: "Jeanne d'Arc - Seherin, Kriegerin, Heilige - eine Biographie"
Verlag C.H.Beck 2021, 399 Seiten, 28 Euro