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Neue Klimapolitik der Niederlande
Vom Sorgenkind zum Spitzenreiter?

Bisher gehörten die Niederlande beim Klimaschutz eher zu den Schlusslichtern. Die neue Vier-Parteien-Regierung will das ändern. Sie hat ein umfangreiches Maßnahmenpaket geschnürt. Dass der neue Umweltminister Eric Wiebes gleichzeitig auch Wirtschaftsminister ist, klingt widersprüchlich, könnte aber Vorteile haben.

Von Kerstin Schweighöfer | 30.10.2017
    Rotterdamer Hafen mit Wolken am Horizont.
    Die neue niederländische Regierung plant eine Lkw-Maut und ab 2030 sollen nur noch emissionsfreie Neuwagen verkauft werden dürfen. (picture alliance / dpa - Victoria Bonn-Meuser)
    "Dringend gesucht: schizophrener Politiker." So witzelte die niederländische Tageszeitung "Volkskrant" in einer Karikatur, als die Ministerposten für das neue Kabinett verteilt wurden.
    Denn die Niederländer bekommen erstmals einen Klimaminister – aber der ist zugleich auch Wirtschaftsminister. Nicht umsonst gilt die alte Handelsnation hinter den Deichen als extrem pragmatisch. Bisher gab es dort nur einen Umweltminister. Doch der hatte immer so viel mit dem Wirtschaftsministerium zu regeln, dass beschlossen wurde, seinem Nachfolger, dem neuen Klimaminister, auch gleich den Hut des Wirtschaftsministers aufzusetzen.
    Eric Wiebes heißt er, 54 Jahre alt, optimistisch – und schlagfertig:
    Als er gefragt wurde, was für ein Klimaminister er denn nun eigentlich werden wolle, meinte er nur: "ein ökonomischer":

    Wiebes sieht seinen Doppelposten als Herausforderung: Die Kunst sei es, aus dem Klima eine Chance für die Wirtschaft zu machen – und umgekehrt.
    Die Messlatte liegt sehr hoch
    Wobei die Latte hoch liegt, sehr hoch sogar: Um die Ziele des Klimavertrags von Paris umzusetzen, wollen die Niederländer den CO2-Ausstoß bis 2030 im Vergleich zu 1990 um gleich 49 Prozent reduziert haben. Das CO2-Reduktionsziel der EU liegt nur bei 40 Prozent, doch das hält die neue Mitte-Rechts-Regierung in Den Haag für unzureichend. Sie will sich in Brüssel sogar dafür einsetzen, diese 40 Prozent auf 55 Prozent anzuheben.
    Weitreichende Pläne dem Klima zuliebe
    Und damit nicht genug: Darüber hinaus plant das Vierparteienbündnis eine Lkw-Maut und will dafür sorgen, dass ab 2030 nur noch emissionsfreie Autos verkauft werden. 2021 sollen sämtliche Neubauten ohne Erdgas geheizt werden, und wer ins Flugzeug steigt, muss eine Klimasteuer zahlen.
    Sämtliche Maßnahmen werden in einem speziellen "Klimagesetz" festgelegt. Fast vier Milliarden Euro pro Jahr will die neue Regierung dem Umwelt- und Klimaschutz zur Verfügung stellen. Ministerpräsident Mark Rutte:
    "Wir arbeiten hart daran, dass die Niederlande zu einem nachhaltigen Land werden, in dem unsere Kinder und Enkelkinder gesund aufwachsen können."
    Überraschende Maßnahme
    Drastischste und auch überraschendste Maßnahme: Die Schließung der fünf Kohlekraftwerke des Landes bis 2030. Überraschend deshalb, weil die Rechtsliberalen von Rutte zunächst vehement dagegen waren. Schließlich hatten 2014 gerade erst drei neue Kohlekraftwerke den Betrieb aufgenommen.
    Doch die progressiven D66-Demokraten und die calvinistische Splitterpartei Christenunie setzten die Schließung durch – und sorgen nun dafür, dass die Niederländer in Sachen Klimaschutz nicht mehr zu den europäischen Schlusslichtern gehören. Denn anders als sein Ruf, war der Polderstaat in dieser Hinsicht alles andere als mustergültig. Nicht umsonst spricht D66-Fraktionschef Alexander Pechthold vom "grünsten Koalitionsvertrag aller Zeiten".
    "Dieses Kabinett wird die Ziele von Paris erreichen und aus einem zurückgebliebenen Sorgenkind einen europäischen Spitzenreiter machen."
    Umweltschutzorganisationen bleiben kritisch
    Umweltschutzorganisationen reagierten erfreut, bleiben aber kritisch: Die Kohlekraftwerke müssten viel schneller geschlossen und die Klimasteuer für Flüge viel schneller eingeführt werden, fordert Greenpeace.
    Auch Klimaforscher sind skeptisch:
    "Das Problem ist erkannt worden", so Han Dolman von der Freien Universität Amsterdam. "Aber ich glaube nicht, dass die geplanten Maßnahmen ausreichen, um die gewünschte CO2-Reduktion zu erzielen."
    Auf die meisten Bedenken stößt das Vorhaben, die Klimaschutzziele nicht nur durch die Reduktion von Emissionen zu erreichen, sondern zu einem großen Teil durch die unterirdische Speicherung von CO2, etwa in leeren Gasfeldern. "Reine Symptombekämpfung, die uns obendrein Milliarden kostet", so Marjan Minnesma von der Umweltstiftung Urgenda:
    "Dieses Geld können wir besser in die Entwicklung neuer Techniken für eine emissionsfreie Industrie investieren. Stattdessen stopfen wir das CO2 unter die Erde - in der Hoffnung, dass unsere Kinder und Enkelkinder dieses Problem dann lösen. Das ist doch merkwürdig."