Freitag, 19. April 2024

Archiv


Neue Lust auf die Heimat

Ulrich Grothus vom Deutschen Akademischen Austauschdienst entdeckt bei deutschen Forscher in den USA ein steigendes Interesse an einer Rückkehr nach Deutschland. Entscheidend für einen Wechsel nach Europa sei eine gesicherte oder zumindest "einigermaßen überschaubare Karriereperspektive", sagte Grothus. In diesem Punkt seien US-Forschungseinrichtungen deutlich attraktiver.

Moderation: Jörg Biesler | 24.09.2007
    Jörg Biesler: Drei Tage lang gaben sich die Spitzen der deutschen Wissenschaftsverbände am Wochenende in San Francisco die Klinke in die Hand, denn es galt, deutschen Forschern in den USA die Rückkehr schmackhaft zu machen. Wenn nicht nächste Woche, dann aber doch auf lange Sicht. Mit dabei war auch Ulrich Grothus, der Leiter des New Yorker Büros des Deutschen Akademischen Austauschdienstes. Guten Tag, Herr Grothus!

    Ulrich Grothus: Guten Tag, Herr Biesler!

    Biesler: Mehr als 200 Wissenschaftsauswanderer haben sich angemeldet zur Tagung, das sind viele. Heißt das, deutsche Wissenschaftler im Ausland interessieren sich verstärkt für eine Rückkehr?

    Grothus: Definitiv. Wir machen diese Sorte Tagung jetzt insgesamt zum siebten Mal. Ich habe die letzten vier Mal mitgemacht, und die Stimmung, das Interesse, der Optimismus, dass es in Deutschland Chancen gibt, sind ganz deutlich gestiegen.

    Biesler: In San Francisco waren jetzt unter anderem die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, die Alexander von Humboldt-Stiftung und der DAAD, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und das Bildungsministerium natürlich auch, das Bundesbildungsministerium. Was haben die den im Ausland lebenden Wissenschaftlern denn verkündet, was haben die mitgeteilt, wie haben die Deutschland dargestellt?

    Grothus: Die bloße Tatsache, dass die Spitzen der für die Wissenschafts- und Hochschulpolitik entscheidenden Organisationen und Ministerien da sind, ist natürlich als solches ein Signal, was auch von den Wissenschaftlern wahrgenommen wird, als ein Signal, wir wollen euch, wir sind interessiert an euch. Zweitens, die Botschaft war, Frau Wintermantel, die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz hat es so formuliert : Es gibt mehr Chancen für junge Wissenschaftler als je in Deutschland, als je seit langer Zeit. Und das spricht natürlich auch die Wissenschaftler selber an, die ja nicht abstrakt normalerweise eine Entscheidung treffen - entweder hier oder dort -, sondern die gucken, was ist jetzt für sie konkret interessant. Und die Botschaft war von allen Seiten: Es gibt viele interessante Chancen, und die Wissenschaftler können und sollen sich die angucken, die für sie jeweils individuell die spannenden sind.

    Biesler: Die Spitzenvertreter der deutschen Wissenschaft, die bilden ja sozusagen die staatstragende Ebene dieser ganzen Veranstaltung, aber untendrunter gibt es eine, sozusagen eine Arbeitsebene, auf der auch vielleicht schon konkret angebahnt wird - hat man sich das so vorzustellen? Hochschulen stellen sich dar, und junge Wissenschaftler, die in den USA leben, informieren sich, an welcher Hochschule sie vielleicht in Zukunft arbeiten werden?

    Grothus: Wir hatten diesmal eine sehr viel stärkere Präsenz einzelner Hochschulen und nicht nur der Wissenschaftsorganisationen, insgesamt war über ein Dutzend einzelne Hochschulen präsent, auch mit Informationsständen, dazu einige Unternehmen. Wir sind, glaube ich, noch nicht so weit, obwohl wir dahin kommen müssen, dass die Hochschulen sozusagen mit einem Menü angekommen, für welche Positionen sie denn jetzt als nächstes Leute suchen, das wird sich noch entwickeln. Aber es haben schon eine ganze Reihe sehr konkreter Gespräche stattgefunden: Wo gibt es denn Möglichkeiten, die weiter verfolgt werden können und in den nächsten Wochen und Monaten sicher auch weiter verfolgt werden.

    Biesler: Wie sieht es denn eigentlich bei den im Ausland lebenden Wissenschaftlern aus? Sie haben gesagt, sie wollen zurück, aber was sind deren Sorgen, was sind deren Nöte, worum machen die sich Gedanken, wo brauchen die Beratung?

    Grothus: Was die Wissenschaftler bewegt und zum Teil auch immer noch ein bisschen beunruhigt, wenn auch nicht mehr so stark wie in den letzten Jahren, ist: Haben wir eine gesicherte oder eine einigermaßen überschaubare Karriereperspektive? In Amerika steigt man halt nach der Promotion, also ungefähr in demselben Alter wie bei uns auch, Anfang 30, Ende 20, in eine assistent professorship ein und hat normalerweise dann eine Chance von über 50 Prozent, von dieser Position in eine Lebenszeitposition zu wachsen. Und deshalb gibt es nach wie vor den starken Ruf, lasst uns auch in Deutschland solche Möglichkeiten machen, keine 100-Prozent-Garantien, aber doch eine sehr große Chance, wenn man sich wirklich bewährt, von einer befristeten Position in eine Lebenszeitposition zu wechseln. Und dieser Anspruch, diese Erwartung nach dem, was man hier in Amerika tenure track nennt, also ein Pfad in die Lebenszeitposition, das ist nach wie vor eine sehr starke Erwartung und auch manchmal eine skeptische Frage an unser System.

    Biesler: Gibt es auch so ganz praktische Fragen nach Rente, Gesundheitssystem, und wie das alles in Deutschland ist, wenn man wieder zurückkommt?

    Grothus: Ehrlich gesagt, relativ wenig. Ich habe den Eindruck, viele Wissenschaftler, deutsche Wissenschaftler, die hier leben und arbeiten, finden die allgemeinen Lebensbedingungen in Deutschland und Europa durchaus attraktiv und machen sich da eigentlich relativ wenig Sorgen, auch die Gehaltsfrage macht - vielleicht abgesehen von einigen Disziplinen wie Jura oder Betriebswirtschaft, wo hier in Amerika sehr hohe Gehälter bezahlt werden an Hochschulen - nicht so viel aus. Das Wichtigere sind attraktive Forschungsumfelder, und da sind halt einige amerikanische Spitzeninstitutionen natürlich eine sehr starke Konkurrenz für uns, und noch mehr vielleicht einigermaßen überschaubare Perspektiven. Und Selbstständigkeit, wenn ich das hinzufügen kann: Wissenschaftler wollen in ihren produktivsten Jahren zwischen 30 und 40 keine Koffer schleppen, sondern selbstständig und produktiv arbeiten.

    Biesler: Ulrich Grothus vom Deutschen Akademischen Austauschdienst über die Jahrestagung deutscher Wissenschaftler in den USA, wo sich abzeichnete, dass es mehr rückkehrwillige Wissenschaftler gibt.