Archiv


Neue Männer, alte Muster

Stefan Barthmann arbeitet im Key Account Management bei der Commerzbank. Er berät Kollegen in der Bank, wie sie Geschäftsprozesse professionalisieren können. Barthmann trägt Anzug und Schlips, er hat Termine und Besprechungen, ein Büro und Kollegen. Aber er hat auch eine vierjährige Tochter.

Von Annegret Böhme | 19.10.2005
    " Wir wurden mit unserer Tochter überrascht… und meine Lebensgefährtin und ich wir haben uns halt überlegt, wie wollen wir es gestalten. Und da sind wir relativ schnell übereingekommen, dass wir es nicht traditionell machen wollen, sondern eher den Spielraum, der uns gegeben ist nutzen. …Wir machen es partnerschaftlich. Das heißt jeder verzichtet nicht auf Job und möchte da drin bleiben, aber jeder möchte auch die Beziehung zur Tochter haben. … Ein wesentlicher Punkt war letztendlich auch das Wissen um die Tatsache, wie wichtig Väter für die Entwicklung der eigenen Kinder sind. Und wenn ich das weiß, kann ich nicht sagen: Jetzt kannst du dich aus der Verantwortung stehlen. "

    Stefan Barthmann macht von seinem Recht auf Teilzeit Gebrauch. Er arbeitet nur noch 64 Prozent seiner bisherigen Beschäftigungszeit - ebenso viel wie seine Lebensgefährtin - und teilt sich sein Jahresarbeitzeitkonto selbst ein. Wenn er zu Hause ist, bringt er die Tochter in den Kindergarten und kümmert sich um Haushalt, Einkauf, Abwasch oder um Termine beim Kinderarzt. Damit ist Barthmann fast ein Einzelfall. Nicht viele Männer leben wie er.

    Die rot-grüne, jetzt geschäftsführende Bundesregierung hat 2001 jedem Arbeitnehmer ein Recht auf Teilzeit eingeräumt. Im gleichen Jahr trat auch das neue Gesetz zum Erziehungsgeld in Kraft. Erziehungsurlaub heißt seitdem Elternzeit und soll beide Eltern ansprechen. In den ersten drei Jahren können sich Mutter und Vater Familien- und Erwerbstätigkeit teilen. Nach Angaben des Bundesfamilienministeriums nehmen inzwischen knapp 5 Prozent der berechtigten Männer Elternzeit, statt 1,5 Prozent vor der Gesetzesnovelle.

    Väter wünschen sich mehr Zeit für ihre Familie. Nach einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung wollen Dreiviertel der Männer mit Kindern ihre Arbeitszeit reduzieren. Doch gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was Väter wollen, und dem, was sie tun. Denn tatsächlich arbeiten sie im Durchschnitt 40 Wochenstunden und mehr.

    " Männer müssen erstmal den ersten Schritt tun. Der scheint offensichtlich sehr hoch zu sein. Wenn ich die Mails lese, die wir in unserer Beratungsstelle Vater und Beruf kriegen, dann gibt es einen Tenor der da lautet: Sie schreiben das immer so schön, aber in Wirklichkeit ist es doch viel komplizierter. "

    Walter Lochmann leitet ehrenamtlich die Internet-Beratungsstelle Vater und Beruf, eine Initiative der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Sie informiert und berät Väter, die nach familienfreundlichen Lösungen suchen. Freilich können sich Männer auch an ihre Personalabteilung, an Gleichstellungsbeauftragte oder Betriebs- und Personalräte wenden. Doch die wenigsten tun das. Eine im Auftrag von Verdi erstellte Studie zeigt: Selbst Personalvertreter interessieren sich kaum für das Thema. Für zwei Drittel der befragten Betriebsräte ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Sache für bessere Zeiten. Fast alle waren stattdessen mit Personalabbau beschäftigt

    Die befragten Väter konnten zwar relativ unkompliziert in Eltern- oder Teilzeit gehen. Ihre direkten Vorgesetzten und die Kollegen aber begannen zu mobben. Die Ursache liegt laut Studie in einer Arbeitskultur, die physische Präsenz am Arbeitsplatz betont. In der jetzigen wirtschaftlichen Krise spitze sich dies zu, meint Walter Lochmann.
    " Heute machen die Leute Karriere, die nach 17 Uhr da sind und permanente Verfügbarkeit signalisieren. ... Es geht darum, dass man offensichtlich als nicht leistungsbereit diskreditiert wird. Das ist eigentlich unser Hauptproblem in der Umsetzung. … Wir haben gerade angesichts der ökonomischen Krise wieder so einen Trend: Die Leute sollen die Ärmel hochkrempeln, mehr arbeiten und alles was außerhalb des Arbeitslebens geschieht, wird offensichtlich abgewertet. Der zweite Trend ist, dass es offensichtlich schwierig ist, für Männer in solchen ökonomischen Krisenzeiten sich zu bekennen als Vater und zu sagen ich habe außerberufliche, außerbetriebliche Interessen. Und der dritte Punkt ist …, dass in der Phase, in der Familien gegründet werden, oftmals die Schwierigkeit einen Beruf zu ergreifen - oder wenn man das Studium abgeschlossen hat, sich zu verorten - sehr erschwert ist durch befristete Arbeitsverhältnisse, hohe Ansprüche an Mobilität, Flexibilität. "

    Tatsächlich arbeiten Vollzeitbeschäftigte erheblich länger als vertraglich vereinbart. Das zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, DIW. Je höher die Qualifikation, desto mehr zusätzliche, unbezahlte Arbeit wird geleistet. Dabei geht es nicht nur um Karriere, es geht auch um die Sicherung des Jobs. Eine Auswertung der DIW-Daten zeigt: westdeutsche Vollzeitangestellte leisten mehr unbezahlte Überstunden, wenn die Arbeitslosigkeit in ihrer Region hoch ist. Dieser Effekt ist nur bei Männern zu beobachten.

    Arbeitgebervertreter nutzen dennoch diverse Anlässe, um eine längere Wochenarbeitszeit zu fordern. Pikanterweise zeigten sie sich aber auch gern mit der scheidenden Bundesfamilienministerin Renate Schmidt, um den familienfreundlichen Betrieb zu propagieren. Im Jahr 2003 hat das Ministerium zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft und den Gewerkschaften die "Allianz für Familie" ausgerufen. Ziel dieser Allianz ist es, die Arbeitswelt familien- und frauenfreundlich zu gestalten. Die Ministerin wollte das nicht per Gesetz verordnen. Sie setzte auf freiwillige Bündnisse:

    " Wir wollen ein familienfreundliches Klima in Deutschland für eine Zukunft mit mehr Kindern. Und dafür brauchen wir das Engagement der Unternehmen, denn sie kennen die speziellen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten und können individuelle Angebote zur Verfügung stellen. … Ich setze nicht auf zusätzliche Gesetze, ich setze auf die Überzeugungskraft … Ich setze darauf, dass die Einsicht Platz greift, dass dieses etwas ist, wo alle Beteiligten nur gewinnen können, die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, das Unternehmen und nicht zuletzt auch der Staat. "

    Renate Schmidt fand damit durchaus Anklang. Einige der größten deutschen Unternehmen, Versicherungen, Banken, Automobilhersteller, werben inzwischen mit familienfreundlicher Personalpolitik. Nicht immer ist es der teure Betriebskindergarten. Teilzeitangebote, flexible Arbeitszeiten und -orte entlasten oft enorm. Sinnvoll ist auch, Kontakte zu den Mitarbeitern auch während der Elternzeit aufrecht zu halten, sie weiterzubilden und den Wiedereinstieg zu erleichtern.
    Eine solche Unternehmensstrategie kann sich lohnen. Familienfreundliche Arbeitgeber genießen einen guten Ruf. Sie binden Personal an sich. Schon jetzt fehlen in einigen Branchen und Regionen Fachkräfte. Diese Entwicklung wird sich in ein paar Jahren noch verstärken. Nach Berechnungen der Prognos AG - einem auf Wirtschaftsforschung spezialisierten Unternehmen - zahlen sich familienfreundliche Maßnahmen in Betrieben auch ökonomisch aus. Wenn ein mittelständisches Unternehmen in flexible Arbeitszeiten, Telearbeit oder betriebliche Kinderbetreuung investiert, kann das bis zu 25 Prozent Rendite im Jahr bringen. Immer wieder neues Personal anwerben und einarbeiten kommt letzten Endes teurer, als Arbeitnehmer mit Kindern weiter zu beschäftigen. Doch obwohl Manager das durchaus begreifen, sei die Umsetzung oft problematisch, sagt Heidrun Czock von Prognos.
    " Die Erfahrung hat gezeigt, dass es … unternehmerische Leitmotive gibt, … Familien- und Väterfreundlichkeit zu gewährleisten, dass aber die Umsetzung manchmal in den Niederungen des Betriebsalltags hängen bleibt, und man auch fairerweise sagen muss, dass diejenigen, die in der mittleren Führungsebene mit der Umsetzung betraut sind, ja dann auch die Arbeit haben. … Es lässt sich abhängig von den Spezifika des Unternehmens sehr viel mit Hinblick auf Arbeitszeit machen, auch Arbeitsort, also Telearbeit. Und wenn der Wille da ist, lassen sich sehr große Flexibilisierungsmöglichkeiten finden. Nur es muss eben auch umgesetzt werden, es muss gepasst werden, es müssen Arbeitszeiten aufgeteilt werden, es müssen die Gegenschichten gefunden werden. Also das kann schon bei einer großen Vielfalt von Arbeitszeitwünschen eine ziemliche Arbeit bedeuten. "

    Mittlere Führungskräfte sind in der Regel Männer, zu rund 90 Prozent. Es ist meist zweifelhaft, ob sie den Balanceakt selbst kennen. Denn Väter, die sich entscheiden, zugunsten der Familie im Beruf kürzer zu treten, machen oft die gleiche Erfahrung wie Frauen: Sie müssen unfreiwillig auf Karriere verzichten. Stefan Barthmann von der Commerzbank hat das erlebt:

    " Vor drei Jahren, als ich damit anfing, war das für mich schlimm. Ich war auch immer einer, der stetig die Karriereleiter weiter nach oben gegangen ist. Das war für mich ein schwieriger Lernprozess. Ich habe mich damals verletzt gefühlt, weil dann, wenn neue Führungspositionen zu besetzen waren, ja der Kelch an mir vorüber ging. Im Nachhinein, heute bin ich drei Jahre weiter, bin ich drei Jahre reifer, sage ich: Na ja, ist manchmal auch gut, dass man nicht jeden Job kriegt, den man unbedingt haben will. "

    Heute zählt für Barthmann nicht der Preis, den er gezahlt hat, sondern das, was er durch seine Entscheidung gewonnen hat.

    " Ich habe noch nie soviel Wertschätzung in meinem Leben erfahren, wie wenn ich nach Hause komme und eine gute Beziehung zu meiner Tochter habe. Also wenn ich da die Tür aufschließe und die Kleine springt mir entgegen und zwar mit einem lachenden Herzen: das ist echt, das ist ehrlich und das ist ein wahnsinniger Gewinn. Und das ist ein guter Ausgleich, dafür, dass vielleicht momentan in der schwierigen wirtschaftlichen Lage vielleicht nicht so viel Anerkennung aus der Berufswelt kommt. "

    Gesellschaftspolitisch wäre zu wünschen, dass mehr Männer so handeln. Denn die traditionelle Arbeitsteilung führt dazu, dass die berufliche Qualifikation vieler Frauen nicht genutzt wird. Auch entscheiden sich viele Paare ganz gegen Kinder - weil Beruf und Erziehung für Männer wie Frauen nicht kompatibel erscheinen. Dass dies so ist, liegt nicht nur an der Kultur der Arbeitswelt. Auf der politischen Agenda von Renate Schmidt stehen bis zuletzt zwei Punkte ganz oben: die Kinderbetreuung ausbauen und ein lohnabhängiges Elterngeld einführen.

    Die öffentliche Kinderbetreuung ist in Deutschland jahrzehntelang vernachlässigt worden. Nur ein Drittel der Gelder, die der Staat für Familien ausgibt, fließen in Dienstleistungen - etwa in den Ausbau der Kindertagesstätten. Das Angebot ist dementsprechend schlecht. Anfang des Jahres verpflichtete Rot-Grün die Länder und Gemeinden noch per Gesetz, die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren mittelfristig auszubauen - finanziert aus Einsparungen durch die Hartz-IV-Reform. Ob diese Einsparungen wirklich zustande kommen, ist allerdings nicht sicher.

    Mit der Idee vom Elterngeldes ist die SPD im Sommer in den Wahlkampf gezogen. Es soll Berufstätige mit Kindern zielgenauer unterstützen und das bisherige Erziehungsgeld ersetzen. Heute bekommt, wer Anspruch auf Erziehungsgeld hat, maximal zwei Jahre lang rund 300 Euro im Monat. Das ist zwar teuer für den Staat, aber kein Ausgleich für die Einkommensverluste derjenigen, die wegen der Kinder zu Hause bleiben müssen.

    Das Elterngeld - wenn es denn kommt - würde nur ein Jahr lang gezahlt. Es könnte 67 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens betragen - höchstens 1800 Euro, mindestens 300. Die Eltern dürften entscheiden, wer von ihnen lieber zu Hause bleibt und die Lohnfortzahlung erhält. Ein Monat aber wäre verbindlich für Mutter oder Vater. In diesem Monat müssten beide die Rollen tauschen - oder der Anspruch verfiele. Das soll Anreize schaffen: Frauen sollen schneller in den Beruf zurückkehren und Väter öfter als bisher in Elternzeit gehen. Nach einer Umfrage im Auftrag des Bundesfamilienministeriums findet die Mehrheit der Männer das Elterngeld gut.

    Die Idee gefällt auch der designierten Familienministerin der CDU Ursula von der Leyen, selbst berufstätig und siebenfache Mutter. Sie kann dem Elterngeld-Vorstoß der SPD durchaus etwas abgewinnen und nennt es ein Recht der Väter, Vater sein zu können, statt nur Ernährer. Doch in ihrem Regierungsprogramm setzt die Union auf die steuerliche Entlastung von Familien. Sie will den Grundfreibetrag nach der Anzahl der Kinder ausrichten und die Erziehungsleistung mit einem Rentenbonus belohnen. In den Koalitionsverhandlungen werden Union und SPD über die Finanzierung ihrer Konzepte streiten. Das Elterngeld ist auch deshalb umstritten, weil besser verdienende Paare davon stärker profitieren. Diese Kritik leuchtet der scheidenden Familienministerin jedoch nicht ein.

    " Wenn zwei Menschen mit unterschiedlichem Einkommen eine Hüftoperation haben und über mehrere Wochen oder wenn es Komplikationen gibt Monate ausfallen, ... dann kriegt der oder diejenige, die mehr verdient haben eine höhere Lohnfortzahlung und der oder diejenige, die geringer verdient haben, kriegen eine geringerer Lohnfortzahlung. Niemand regt sich darüber auf und hält das für ungerecht, obwohl wir alle dieselben Hüften haben und von Krankheit alle gleichermaßen bedroht sind. Und ich frage mich, wieso die Erziehungsleistung eigentlich anders behandelt werden soll in der Lohnfortzahlung als Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bei Arbeitslosigkeit oder ähnlichen Dingen. "

    In Norwegen, Finnland, Schweden oder Estland gibt es solche Lohnersatzleistungen für Eltern bereits. In Schweden bekommen Arbeitnehmer über ein Jahr lang - bis zu einer gewissen Höchstgrenze - monatlich 80 Prozent ihres Bruttoeinkommens. Mehr als 15 Prozent dieser Gelder wird an Väter ausgezahlt. Doch Wissenschaftler weisen darauf hin, dass die Rahmenbedingungen in Skandinavien anders sind.

    " Ich glaube, dass insgesamt ein viel egalitäreres Gesellschaftsbild vorherrscht. Ich meine inzwischen, dass das einen großen Einfluss hat. Und das prägt sowohl die Politik, die staatlicherseits die Kinderbetreuung übernimmt. Anderseits prägt das auch die Einstellung der Menschen selbst. "

    So denkt Miriam Beblo vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. In Schweden zieht sich Gleichberechtigung durch alle Politikbereiche. Die Verantwortung dafür trägt kein anderer als der stellvertretende Ministerpräsident. In der Regel gehen dort beide Eltern arbeiten und viel mehr Mütter sind voll berufstätig. Von solchen Verhältnissen ist Deutschland weit entfernt.

    " Wir haben in Deutschland mehrere Aspekte, die in Familienpolitik reinspielen, die nicht als familienpolitische Maßnahmen gekennzeichnet sind. Es gibt ein Steuersystem mit dem Ehegattensplitting, das auch bekanntermaßen eher negative Anreize setzt. "

    In der Tat ist das deutsche Steuersystem ein Problem. Das Ehegattensplitting belohnt Familien, die sich auf einen Versorger stützen. Es entlastet Verheiratete bei der Einkommenssteuer. Die Vergünstigung ist dann am größten, wenn die Einkommen weit auseinander liegen, weil einer viel verdient und der andere nicht erwerbstätig ist. In der Regel bleibt die Frau zu Hause. Nimmt sie eine Arbeit auf, wird der erste Euro, den sie verdient, mit dem gleichen Steuersatz belegt, wie der letzte verdiente Euro ihres Mannes. Außerdem fallen dann Sozialbeiträge an und Kosten für die Kinderbetreuung. Finanziell kommt es für viele Mütter auf dasselbe raus, ob sie arbeiten gehen oder die Steuervorteile nutzen, sagt die Volkswirtin Beblo.

    " In egalitären Haushalten, in denen Mann und Frau beide gleich ausgebildet sind, ähnliche Arbeitsplätze haben, ungefähr das gleiche verdienen und verheiratet sind, gibt es keinen Vorteil aus dem Ehegattensplitting. "

    Ob das Ehegatten-Splitting verfassungsrechtlich geboten oder bedenklich ist, darüber streiten selbst Juristen. Es ganz abzuschaffen wäre schwierig, denn die Ehe steht unter dem besonderen Schutz des Staates. Ohne jegliche Steuerentlastung stünde ein unterhaltspflichtiger, allein verdienender Ehemann schlechter da als ein Lediger. Doch es gäbe andere verfassungskonforme Modelle der Besteuerung von Eheleuten. Auch die rot-grüne Koalition dachte bereits darüber nach, das bestehende Recht zu ändern, zuletzt im Herbst 2002. Ziel war allerdings, den Staatshaushalt zu entlasten. Denn das Splitting schlägt dort mit rund 20 Milliarden Euro zu Buche. Eine Lösung fand Rot-Grün nicht.

    Kritiker des Splittings interessiert weniger der haushaltspolitische Aspekt als die gesellschaftliche Konsequenz.

    " Das Splitting ist ein Ausdruck einer Vorstellung wie Männer und Frauen miteinander leben… Der eigentliche Punkt ist, was die gesellschaftliche Kultur angeht, dass damit ja immer wieder verstärkt wird, dass es solche Formen überhaupt gibt. … Da geht es doch darum, was möchte man eigentlich fördern, welche Formen von egalitärem oder patriarchalem Zusammenleben. "

    Barbara Stiegler arbeitet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn. Zu den genannten Problemen kommt für die Forscherin auch die Tatsache hinzu, dass Frauen im Durchschnitt immer noch 25 Prozent weniger verdienen als Männer. Denn typische Frauenberufe werden schlechter bezahlt. Die Konsequenz: Wenn schon ein Partner der Kindererziehung zuliebe auf das Einkommen verzichten muss, ist es meistens die Frau.

    Um solche Missverhältnisse zu korrigieren, wäre eine stringente Reformpolitik nötig. In der ersten rot-grünen Legislaturperiode hatte die damalige Familienministerin Bergmann ein Gleichstellungsgesetz für die private Wirtschaft vorbereiten lassen. Solche Gesetze existieren längst in anderen europäischen Ländern oder den USA. Doch der deutsche Entwurf ist längst in der Schublade verschwunden. Stattdessen traf die Politik mit den Spitzenverbänden der Wirtschaft eine freiwillige Vereinbarung zur Chancengleichheit. 2003 wurde zum ersten Mal Bilanz gezogen. Fachleute wie Barbara Stiegler von der SPD-nahen Ebert-Stiftung finden das Ergebnis lächerlich.

    " Man muss sagen, dass die Unternehmensverbände auch nicht den enormen Einfluss auf ihre Mitglieder haben. Und von daher war das schon eine Totgeburt von Anfang an. Wussten eigentlich auch alle, dass es ein Friedensangebot in Anführungsstrichen war, weil man eben keine Verpflichtungen eingehen wollte. Und die ganze Broschüre die da herausgekommen ist, die prangt nur so von Einzelheiten, Glanzlichtern, kleinen aktuellen Beschreibungen, aber es gibt keine systematische Untersuchung über die Fortschritte oder Rückschritte. "

    Der Teilzeit-Vater Stefan Barthmann hat auf eigene Faust gehandelt - und er hatte Glück. Sein Arbeitgeber hat ihm keine Steine in den Weg gelegt, die Commerzbank gilt als familienfreundlich. Doch trotz alledem: den großen Wurf kann der berufstätige Vater weder in der Wirtschaft noch in der Politik entdecken. Es sei alles andere als selbstverständlich, dass der Beruf genauso wichtig sei wie die Familie - auch für einen Vater.

    " Es gibt ja so ein Bundesministerium für alle außer Männer. Also ich denke das Ding sollte umbenannt werden. Das sollte ein Ministerium für Gleichstellung sein. … Es nützt nichts, wenn sich nur eine Seite auf das Ziel zu bewegt. Entweder es ist wirklich ein politisches Ziel: Gleichstellung, Gleichberechtigung. Dann heißt es aber Männlein und Weiblein müssen sich bewegen und dann muss das Ministerium auch für Bewegung auf beiden Seiten sorgen. "