Donnerstag, 28. März 2024

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Neue Musik für Cembalo
Reizvolle Klangexperimente

Klang und Technik des Cembalos inspirieren zunehmend zeitgenössische Komponistinnen und Komponisten. Auf ihrer aktuellen CD "To Catch a Running Poet" präsentiert Maja Mijatović acht neue Werke, die aus unterschiedlichen Perspektiven nach heutigen Zugangsmöglichkeiten zu diesem Instrument fragen.

Am Mikrofon: Yvonne Petitpierre | 08.09.2019
    Die Musikerin Maja Mijatovic sitzt auf einer Treppe im Halbdunkeln und schaut ins Licht
    Virtuos, wagemutig, innovativ: Maja Mijatovic (Helmut Kühnelt)
    Musik: Margareta Ferek-Petrić - "Ištaratu"
    Das Cembalo mit seinem hellen silbrigen Klang war für eine ganze Epoche der Musikgeschichte als Generalbass- und Continuo-Instrument tonangebend. Mit Ende des Barock begann das Instrument eher ein Schattendasein zu führen und rückt erst im Zuge der historischen Aufführungspraxis und Originalklangensembles wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit.
    Dass sich das Cembalo längst nicht mehr nur auf historisches Repertoire beschränken muss, sondern auch für facettenreiche Klangbilder im Rahmen der zeitgenössischen Musik eignet, belegen heute verschiedene Aktivitäten. Zum Beispiel die kürzlich beim Label NEOS erschienene CD mit der Cembalistin Maja Mijatović. Zu hören ist hier das Ergebnis ihrer langjährigen Zusammenarbeit mit jüngeren Urhebern der Gegenwart, die für das Tasteninstrument aus verschiedenen Perspektiven geschrieben haben.
    Es war die reine Lust an der Begegnung mit dem Unbekannten, um nach neuen Kompositionen zu fragen, so Mijatović. Acht Komponistinnen und Komponisten haben sich der Aufgabe gestellt und die Interpretin vor allem hinsichtlich neuer Spieltechniken herausgefordert. Das gilt für die "technische Lösung des zu Spielenden ebenso wie für die spielerische Lösung der technischen Herausforderungen" - so Hannes Dufek, selbst Komponist für dieses Projekt und Autor des begleitenden Booklets. Während manche Werke eine Verankerung in der Tradition des Cembalospiels erkennen lassen, erfährt das Instrument teilweise vollkommen ungewohnte Techniken der Klangerzeugung und Spielpraxis, teilweise auch mit Hilfe von Präparation.
    Immer wieder stellt sich dabei die Frage nach der Vereinbarkeit mit der physischen Realität des Instruments. Vor diesem Hintergrund gibt das Portraitalbum der Cembalistin unter dem Titel "To Catch a Running Poet" Einblicke in die Möglichkeiten, dem traditionsreichen Terrain eines Instruments neue und bislang unbekannte Gestaltungsmöglichkeiten zu entlocken. Die CD mit ausschließlich Weltersteinspielungen möchte Hörer ohne Vorbehalte zu einer klanglichen Entdeckungsreise ohne Vorbehalte einladen.
    Gewitterwolken
    Sowohl die Komponierenden als auch die Interpretin haben sich auf einen Weg in eine zuvor nicht gekannte Richtung gemacht, denn die Musik sollte hohe Komplexität bergen und zugleich von spieltechnischen Konventionen abweichen.
    Bereits das erste Stück des Albums weicht unüberhörbar von der formenden Kraft der Tradition ab. Ištaratu für Cembalo solo stammt von der, 1982 in Kroatien geborenen Margareta Ferek-Petrić. Die Komposition nimmt Bezug auf die babylonische Göttin Ištar, die zugleich Liebe und Krieg verkörpert. Die Titel gebende Pluralform "Ištaru" verweist auf den Aspekt der Gottheit, die für Weiblichkeit steht. Als Morgen- oder Abendstern verkörpert, könnte Ištar jedoch auch verschiedene Geschlechter bzw. Zwitterformen annehmen und eben diese Ambivalenzen greift die musikalische Gestaltung mit kraftvoller wie virtuoser Klanggebung auf.
    Musik: Margareta Ferek-Petrić - "Ištaratu" (Ausschnitt)
    Der österreichische Komponist Christian Dierndorfer, Jahrgang 1957, studierte bei Roman Haubenstock-Ramati und hat neben kammermusikalischen Werken die Oper "Die Wand" nach der Textvorlage von Marlen Haushofer geschrieben. Für Cembalo hat er im Rahmen der vorliegenden Produktion ein zweiteiliges Stück konzipiert: "PSI", eine Art Fantasie, die in Schnitttechnik zwischen Motorik und freierem Spiel wechselt. Das verwendete Material wurzelt teilweise in historischen Vorlagen, nimmt aber erst in neuen Kontexten Gestalt an. Das zweite Stück "PSI-Song" birgt mehr Unterhaltendes und Scherzhaftes. Zudem ist der Klangraum erweitert, in dem Dierndorfer auf Chopin ebenso zurückgreift, wie auf Elemente von Funk und Jazz. Teilweise entsteht der Eindruck, dass auch Klänge anderer oder zusätzlicher Instrumente beteiligt sind.
    Musik: Christian Dierndorfer - "PSI-Song" (Ausschnitt)
    In Maja Mijatović‘s künstlerischer Arbeit gibt es zwei Pole: Repertoire der Alten Musik und zeitgenössische Avantgarde. Diese kontrastreichen Welten liefern ihr eine wichtige Quelle für spannende Dialoge und Entdeckungen im Zeichen musikalischer Ausdrucksvielfalt, die ihr Selbstverständnis als Interpretin maßgeblich prägt. Die gebürtige Wienerin hat an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Cembalo bei Wolfgang Glüxam studiert sowie Querflöte in Sarajevo, wo Mijatović auch aufgewachsen ist. Vertieft hat sie ihre Ausbildung u.a. bei Augusta Campagne und Eugène Michelangeli in Wien. Sie ist Mitbegründerin des "Ensemble Klingekunst" und wirkt auf internationalen Festivals für Alte Musik sowie neue Musik mit. Zudem ist sie Preisträgerin des Prix Annelie de Man in Amsterdam.
    Mit Blick in die Vergangenheit
    Einen sehr individuellen Ansatz im Umgang mit dem Cembalo findet die Komponistin und Flötistin Sylvie Lacroix, 1959 in Lyon geboren. Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Klangforum Wien, fühlt sich aber auch in der historischen Aufführungspraxis zuhause. In ihrem kompositorischen Schaffen gilt die Aufmerksamkeit dem kammermusikalischen Bereich, wobei auch der Einsatz von Elektronik oft eine wesentliche Rolle spielt. Maja Mijatović ist ihre Komposition "Courante" aus dem Jahr 2013 gewidmet. Die Satzbezeichnung soll zugleich ein Portrait der Interpretin zeichnen. Ein rascher Beginn, der sich über mehrere Sätze hinweg als Suite entwickelt. Das musikalische Material birgt auch eine Annährung an die musikalische Tradition im 18. Jahrhundert.
    Musik: Sylvie Lacroix - "Courante"
    Die klangliche Forschung und das unkonventionelle, oft auch genreübergreifende Experimentieren zeichnet die kompositorischen Arbeiten von Tamara Friebel, 1975 in Australien geboren. In ihrem Stück "Dance Me to my Rebirth" ergänzt die Komponistin das Spielen mit Klängen auf dem Cembalo durch den Einsatz von Ping-Pongbällen, was der Komposition eine gewisse Zartheit verleiht.
    Friebel folgt dabei Überlegungen einer altindischen Philosophie und gliedert in drei Teile, die dem Verlauf einer Schwangerschaft folgen. Zunächst vom Inneren über die Gestaltwerdung zu den Vorbereitungen einer alten Seele, "um dich auf deinem Lebensweg zu begleiten". Klanglich dominieren in diesem stark atmosphärischen Werk meist sehr filigrane und rhythmisch pointierte Momente.
    Musik: Tamara Friebel - "Dance Met to my Rebirth"
    Inspirierende Frucht
    Die gebürtige Italienerin Manuela Kerer, Jahrgang 1980, ist nach eigenen Aussagen ständig auf der Suche nach Überraschungen und Herausforderungen. Neben einem absolvierten Kompositionsstudium, hat Kerer auch Rechtswissenschaften und Psychologie studiert.
    Als Komponistin öffnet sie neue Klangräume, wobei ihre kraftvollen Klänge unterschiedlichstes Potential bergen und immer im Dienste einer Idee stehen. Sie selbst betont, dass Musik grundsätzlich ohne Beipackzettel funktionieren müsse, der Hörer aber unterstützt werden dürfe. Neue Musik müsse greifbar sein und sollte nicht einem eingeweihten Publikum vorbehalten sein.
    Von der Konsistenz und dem Geschmack des Granatapfels, aber auch seinen vielfältigen kulturellen Assoziationen um die Frucht ist die 2017 entstandene Komposition "Granat" für Cembalo solo inspiriert. Die Kerne entsprechen hier Tönen und Klängen, in der Farbe Rot und der jeweiligen Intensität wurde der äußere Rahmen gefunden. Die Zahlen 16 bzw.18, entsprechend der Chromosomenzahl des Granatapfels, gewannen dabei strukturgebende Bedeutung.
    Musik: Manuela Kerer - "Granat"
    Wie mehrere Komponistinnen auf dieser CD stammt auch Hannes Dufek aus Österreich. 1984 in Wien geboren, ist er als Komponist und Improvisator tätig. Seine kompositorische Arbeit versteht er im Zeichen immer neuer Formulierungen und Umsetzungen einer konkreten, erfahrbaren Utopie im Medium der Kunst. Darüber hinaus nimmt eine kritische Auseinandersetzung mit der modernen Gesellschaft Einfluss auf seine kompositorische Gestaltung.
    Cembalistin Maja Mijatović konfrontiert Dufek mit einer Komposition, die mit vielfältigen, gleichberechtigten Formen spielt. Zentral sind in dieser Komposition klangliche Dichte, hohes Tempo und rasch wechselnde Aufmerksamkeit. Die Bilder tanzen wie in der medialen Wirklichkeit, haltlos, ständig flackernd und zugleich fordern sie, gesehen zu werden.
    Musik: Hannes Dufek - "Arresting Images"
    To Catch a Running Poet
    Neue Musik für Cembalo
    Maja Mijatović, Harpsicord
    NEOS CD 11906, LC 15673