Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Neue Partei "Wiosna"
Kultureller Frühling in Polen

In Polen gab es in den letzten Jahren für linke Ideen kaum Platz. Die Szene beherrschten die nationalautoritäre PiS-Partei und die wirtschaftsliberale, aber konservative Bürgerplattform von Donald Tusk. Mit der neuen linken Partei "Wiosna" könnte sich das ändern. Sie fordert: Kultur für alle.

Von Martin Sander | 17.02.2019
    Biedron bei einer Wahlkampfveranstaltung
    Kultur sei ein Gesellschaftserlebnis, glaubt "WIOSNA"-Chef Robert Biedron und fordert Kultur für alle (Deutschlandradio/Kellermann)
    Der große Saal im Kulturzentrum der Krakauer Arbeitervorstadt Nowa Huta ist überfüllt. Effektvoll bahnt sich Robert Biedroń, neuer Hoffnungsträger der polnischen Linken, einen Weg auf die Bühne. Dort wechselt er geschmeidig vom Showgestus in staatstragendes Pathos. Ein wichtiges Thema ist Kultur.
    "Freiheit, frische Luft, Frühling, keine Zensur, Mut, das braucht die Kultur heute. Denn diese Kultur verkörpern viele Menschen seit Jahren. Aber der Staat weist sie zurück. Ändern wir das! Unsere Wertvorstellungen sind auf Zusammenarbeit ausgerichtet und Dialog. Wir wollen Brücken bauen, keine Mauern. Wir wollen niemanden abhängen."
    Beschwörung der nationalen Gemeinschaft
    Biedroń und seine Mitstreiter fordern Kultur für alle. Den regierenden Nationalkonservativen werfen sie vor, Kultur zur Macherhaltung zu missbrauchen, mit Theater, Kino und Museen das Gemeinschaftsgefühl zu manipulieren. Maciej Gdula, Soziologe, Kulturforscher und Berater von Robert Biedroń:
    "Kaczyński beschwört die nationale Gemeinschaft. Er zeigt, dass in der Kultur jeder seinen Platz hat – ohne Vorbedingung. Man muss keine höhere Bildung besitzen, keine attraktive persönliche Identität, auch keine – sogenannte – interessante Arbeit. Es genügt, Pole zu sein. Dadurch gehört man dazu. Kaczyński schließt nur die intellektuellen Eliten aus der Gemeinschaft aus, und die Fremden. Darin liegt ein Schlüssel zum Verständnis von Kaczyńskis Erfolg."
    Das Gegenkonzept von Robert Biedrońs neuer Partei "Wiosna" lautet: Kultur für alle, ohne finanzielle, materielle Barrieren. Theater und Kinos sollten weniger kommerziellen Zwängen ausgesetzt sein und staatlich stärker gefördert werden. Freier Eintritt für Museen, wenigstens an einigen Tagen.
    "Da gibt es auch den Vorschlag, Kulturräume einzurichten. Das wären Gemeinschaftseinrichtungen in jeder Ortschaft, eine Mischung zwischen Kulturhaus und Bibliothek, ein Ort demokratischer Begegnung für Alle. Damit greift 'Wiosna' ein zentrales Problem des kulturellen Lebens auf, denn in Polen hat sich der Staat tatsächlich seit vielen Jahren aus der Provinz, aus den Dörfern zurückgezogen", erklärt die mit "Wiosna" sympathisierende Autorin und Warschauer Kulturaktivistin Agata Diduszko-Zyglewska…
    "Als einziger Ort für einen gesellschaftlichen Austausch blieben vielerorts nur die Kirchen übrig. Auch daraus resultiert das Problem der Klerikalisierung Polens.
    Das hat sich natürlich nicht nur auf die lokalen Gemeinschaften negativ ausgewirkt, sondern auf die ganze Gesellschaft.
    Wir haben seit langem eine Krise im Leseverhalten. Nur zehn Prozent der Polen lesen mehr als sieben Bücher oder mehr im Jahr. Auch deshalb ist unsere Gesellschaft so anfällig für jede Form von Populismus."
    Kultur braucht Freiheit
    Robert Biedrońs Partei "Wiosna", deren Wählerpotenzial nach aktuellen Umfragen zwischen zehn und 20 Prozent liegt, hat viele Unterstützer innerhalb der polnischen Kulturszene. Zu ihnen gehört auch Paweł Sztarbowski, Dramaturg und Programmdirektor am Warschauer Teatr Powszechny:
    "Am wichtigsten ist, dass man der Kultur eine breite, maximale Freiheit zugesteht. Dann entwickelt sie sich am besten. Wir haben fast dreißig Jahre lang Demokratie gelernt und von Grund auf entwickelt. Dabei hatten wir wirklich viele Erfolge zu verzeichnen, doch nun geht das alles vor unseren Augen kaputt. Die Modernisierung hat stattgefunden, aber mental, im Denken haben viele Menschen mit dieser Entwicklung nicht mitgehalten. Modernisierung allein genügt nicht, wenn der Staat nicht in Bildung und Kultur investiert. Diese Bereiche wurden stark vernachlässigt. Und das rächt sich nun in den letzten Jahren. Wir brauchen wirklich einen Kulturwandel im großen Maßstab."
    Kultur als Gesellschaftserlebnis
    In Robert Biedrońs Partei "Wiosna" geht es um Kultur für alle als Geschaftserlebnis, in Freiheit und Vielfalt – und im Dialog. Ob man damit Jarosław Kaczyńskis PiS-Partei und ihrer autoritär nationalen Kulturpolitik Sympathien entziehen kann, wird sich herausstellen. Ende Mai sind Europa- und im Herbst (in Polen) Parlamentswahlen.

    Anmerkung der Redaktion: Der Titel des Online-Beitrags wurde am 21.2.2019 geändert, um eine unpassende Wortwahl zu korrigieren.