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Neue Platte
Rachmaninov von Tharaud interpretiert

Alexandre Tharaud zählt in Frankreich zu den wichtigen Pianisten der Gegenwart. Er erhielt mehrere Echo-Klassik-Auszeichnungen für seine Interpretationen. Seine neueste Platte widmet sich dem russischen Komponisten Sergej Rachmaninow.

Von Michael Kuhlmann | 30.10.2016
    Ein mehrfach belichtetes Foto zeigt zwei gekreuzte Piano-Klaviaturen.
    Tharaud spielt Rachmaninov auf seiner neuen CD/LP. (Foto: Jan-Martin Altgeld )
    Musik 1: Rachmaninow, Morceau de fantaisie op. 3 Nr. 5
    Sergej Rachmaninow war 19, als er diesen Zyklus komponierte. Ein hoffnungsvoller Pianist und Komponist, der es allen auf dem Moskauer Konservatorium gezeigt hatte Er war mit dem Studium ein Jahr vor der Zeit fertig geworden und erhielt für eine Opernkomposition die Goldmedaille der Hochschule. Die war zuvor erst zweimal verliehen worden.
    Und dabei wurde der junge Sergej am Konservatorium seiner Geburtsstadt St. Petersburg anfangs zwar als Wunderkind verehrt, er galt aber auch als unverbesserlich faul. Erst später in Moskau zog der für seine Strenge berüchtigte Lehrer Nikolai Swerew andere Saiten auf – und verdonnerte Sergej täglich zu etlichen Übestunden. Offenkundig mit Erfolg, denn Rachmaninow wurde zu einem beeindruckend virtuosen Pianisten.
    Auch dem Solisten unserer heutigen neuen Platte, Alexandre Tharaud, ist das Unterrichten sehr wichtig – natürlich sieht das bei ihm anders aus als beim gefürchteten Nikolai Swerew. Schon ganz früh, so Tharaud, müsse man lernen, das Klavier sprechen zu lassen. Alexandre Tharaud hat einmal bekannt, er fantasiere sich gern in die Rolle eines alten Mannes, der den Kindern in seinem Stadtviertel Klavierspielen beibringt.
    Musik 2: Rachmaninow, Morceau de fantaisie op. 3 Nr. 2
    Mit diesem Prélude hinterließ Rachmaninow eine deutliche Duftmarke als orchestraler Pianist; das Prélude wurde immer wieder verlangt, wenn er konzertierte.
    Alexandre Tharaud gehört nicht zu den Musikern, die ihr technisches Können zur Schau stellen müssen. Seine Rachmaninow-Interpretationen auf dieser Platte zeigen Sinn für Melodik und für einen der Entstehungszeit der Kompositionen angemessenen kleinen Schuss Romantik. Vergleicht man das mit Rachmaninows eigenen Aufnahmen etwa der "Morceaux de fantaisie" auf Reproduktionsklavier im März 1919, dann klingt es beim Komponisten selbst durchaus etwas sachlicher.
    Tharaud kostet besonders die Dynamik der Kompositionen voll aus. Er lässt die Melodien atmen; und Piano-Passagen spielt er mit einem weichen, dabei keineswegs übermäßig gefühlsbetonten Anschlag. Im Zeitmaß straffer als Rachmaninow selbst interpretiert Alexandre Tharaud freilich das Thema im vielleicht spektakulärsten Stück des Opus 3: "Polichinelle".
    Der französische Pianist Alexandre Tharaud
    Der französische Pianist Alexandre Tharaud (picture alliance / dpa / Maxppp Dugit)
    Musik 3: Rachmaninow, Morceau de fantaisie op. 3 Nr. 4
    Neben den "Cinq morceaux de fantaisie" setzt Tharaud auf seiner neuen Platte einen weiteren Schwerpunkt in Gestalt des 2. Klavierkonzertes. Vertreten sind ferner die zwei Stücke für Klavier zu sechs Händen, ein frühes Werk von 1891 – und schließlich eine Komposition, in der Rachmaninow abermals seinen Sinn für Melodik beweist: die Vokalise aus den 14 Romanzen op. 34.
    Alexandre Tharaud begleitet dort die Sopranistin Sabine Devieilhe. Dass ein solches Werk auf der Platte vertreten ist, passt zu Tharauds Bekenntnis, er nehme sich als Pianist nicht zuletzt Sänger zum Vorbild; und nicht umsonst verehrt er im außerklassischen Bereich die legendäre französische Chansonsängerin Barbara. Sabine Devieilhes Vibrato mag im ersten Moment vielleicht fast etwas intensiv klingen, aber Rachmaninow hat diese Vokalise geschrieben für eine große Botschafterin des italienischen Belcanto in Russland: für Antonia Neschdanowa.
    Musik 4: Rachmaninow, Vokalise op. 34 Nr. 14
    Diese neue Platte "Tharaud plays Rachmaninov" versammelt einige der besonders populären Werke dieses russischen Komponisten. Und die weniger bekannten Miniaturen etwa aus den "Morceaux de fantaisie" op. 3 oder den zwei Klavierstücken zu sechs Händen sind ausgesprochen leicht zugängliche Kompositionen.
    Das 2. Klavierkonzert c-moll op. 18 wiederum war jenes Werk, mit dem der Komponist 1900 seinen Durchbruch erlebte. Eine Karriere begann, in deren Verlauf Rachmaninow sogar noch die Hollywood-Filmmusik der 30er-Jahre beeinflusste.
    Alexandre Tharaud lässt sich auch in Passagen, in denen das Klavier eher eng am Orchesterapparat bleibt, nicht die Butter vom Brot nehmen. Hinter ihm agiert das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra stellenweise mit einer fast russisch anmutenden Seele, die einem die eine oder andere Gänsehaut über den Rücken treibt.
    "Tharaud plays Rachmaninov" ist im übrigen beim Label Erato als CD, aber auch als Vinylpressung erhältlich. Auf letzterer fehlt leider ein Teil der Musik, den man sich dann ersatzweise nur aus dem Internet herunterladen kann. Vollständig auf der Vinyl-LP zu hören ist natürlich das 2. Klavierkonzert: Alexandre Tharaud wird begleitet vom Royal Liverpool Philharmonic Orchestra – am Pult steht Alexander Vedernikov.
    Musik 5: Rachmaninow, 2. Klavierkonzert, 3. Satz
    Vorgestellte CD/LP:
    Tharaud plays Rachmaninov. Piano concerto No. 2, Prélude op. 3, Vocalise. Erato 0190295954679 (CD) und 0190295932671 (LP)