Mittwoch, 24. April 2024

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Neue Regierung in Italien
"Wir dürfen jetzt nicht in Panik ausbrechen"

Caroline Kanter von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom warnte im Dlf davor, die neue Regierung in Italien zu stark zu kritisieren. Denn dann sehe diese sich eventuell schnell in der Opferrolle und wende sich gegen die EU. Man solle erst einmal abwarten, wie die Regierung arbeite und mit der EU kommuniziere.

Caroline Kanter im Gespräch mit Mario Dobovisek | 24.05.2018
    Die Fotomontage zeigt Luigi di Maio, Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini, den Vorsitzenden der rechtsextremen Partei Lega.
    Luigi di Maio, Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini, der Vorsitzende der rechtsextremen Partei Lega (AFP / Tiziana Fabi)
    Mario Dobovisek: Am Telefon begrüße ich Caroline Kanter. Sie leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung, der politischen Stiftung der CDU in Rom. Guten Tag, Frau Kanter!
    Caroline Kanter: Schönen guten Tag aus Rom.
    Dobovisek: Heute haben wir in unseren "Informationen am Morgen", mit Reinhold Messner gesprochen. Hören wir noch einmal kurz gemeinsam, was uns der Extrembergsteiger und frühere Europapolitiker zur neuen Regierung gesagt hat.
    O-Ton Reinhold Messner: "Leider ist Italien unregierbar. Wir wissen alle, dass die die Wahl gewonnen haben mit Versprechungen, die haarsträubend sind. Aber glauben Sie mir, das wird alles nicht passieren, weil das ist nicht möglich. Bei den Fünf Sternen ist es einfach Träumerei. Das ist ein Luftschloss. Das ist alles nicht denkbar."
    Dobovisek: Hat, Frau Kanter, Reinhold Messner recht und all die Pläne der neuen Regierung sind zum Scheitern verurteilt?
    Kanter: Zunächst müssen wir erst mal anerkennen, dass die italienischen Bürgerinnen und Bürger sich diese Regierung gewählt haben. Das ist die Koalition, die nach wie vor die Mehrheit der Italiener will. Es gibt eine Umfrage vom vergangenen Wochenende: 60 Prozent der Italienerinnen und Italiener möchten diese Regierungskoalition, weil sie mit der alten politischen Klasse abgeschlossen haben und einen neuen Aufbruch und diese Regierung der Veränderung möchten. Von daher ist der Rückhalt innerhalb der Gesellschaft sowohl für die Fünf-Sterne-Bewegung als auch für die Lega, die zweite Partei in dieser Koalition, sehr groß.
    Wenn wir uns jetzt den Koalitionsvertrag anschauen, den die beiden politischen Kräfte gemeinsam vorgelegt haben, was im Übrigen auch ein Novum in der italienischen Politik ist, dass es einen gemeinsamen Vertrag gibt, ein gemeinsames Dokument, in dem man die Ziele miteinander vereinbart hat, dann stimmt es in der Tat, dass viele Versprechungen gemacht wurden. Das beginnt mit einem allgemeinen Grundeinkommen für die italienischen Bürgerinnen und Bürger. Das geht über die Rücknahme der Rentenreform, die angestrebt wurde, und die Flat Tax, die eingeführt werden soll.
    Da gibt es durchaus kritische Stimmen, auch hier in Italien, die sagen, wie sollen diese Programme finanzierbar sein. Beispielsweise der italienische Industrieverband, die Confindustria hatte gestern ihre Jahrestagung und auch dessen Vorsitzender hat sich sehr kritisch geäußert. Auch die italienische Opposition, sprich die Sozialdemokratische Partei und die Forza Italia, stellen jetzt die Frage, wie möchte die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega dieses Programm umsetzen.
    "Die Opposition ist derzeit sehr schwach"
    Dobovisek: Stellen wir die Frage auch an Sie, Frau Kanter. Wird es diese neue Regierung schaffen, anders als viele vor allem im Ausland unken, drei Monate zu überleben und tatsächlich diese Vorhaben umzusetzen?
    Kanter: Ob sie es schaffen wird, diese Vorhaben umzusetzen, das kann ich nicht sagen. Denn ich weiß auch nicht, woher das Geld kommen soll. Das Konzept, was man vorgelegt hat, dass man sagt, durch Ausgaben soll die nationale Nachfrage stimuliert werden und sollen Investitionen getätigt werden, das sehe ich auch nicht.
    Was den zweiten Punkt angeht, die Dauer der Regierung, da muss ich sagen: Ich könnte mir schon vorstellen, dass diese Regierung einige Monate, wenn nicht ein Jahr im Amt bleiben wird.
    Denn die Opposition ist derzeit sehr schwach, sowohl die Sozialdemokraten als auch die Mitte-Rechts-Opposition, die Forza Italia. Da gibt es auch kein Interesse, in Kürze erneut an die Wahlurne zu gehen. Ich glaube wie gesagt, die italienische Bevölkerung hat jetzt auch große Hoffnung in diese neue Regierung gesetzt, und jetzt müssen sie beginnen, dieses Land zu regieren. Ich meine, es ist ja interessant: Sie sind ja als Anti-System-Kraft angetreten, zumindest die Fünf-Sterne-Bewegung.
    Dobovisek: Die Lega wiederum saß schon in der Regierung, jahrelang mit Berlusconi zusammen.
    Kanter: Richtig. Bei der Lega sieht es anders aus. Die hat dieses Land sowohl auf nationaler als auch auf regionaler und kommunaler Ebene in der Vergangenheit regiert, im Norden Italiens vorrangig, und dort nicht allzu schlecht, zumindest was die Wirtschaftsdaten anbelangt. Aber ich glaube, diese Regierung wird eine gewisse Zeit lang im Amt sein. Ob sie die hohen Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger erfüllen kann, das wage ich allerdings zu bezweifeln.
    Dobovisek: Unbezahlbar, das haben Sie bei einigen Projekten selber auch genannt. Das sagen auch die Politiker in Brüssel. Dort befürchtet die Europäische Union eine neue Finanzkrise ungeahnten Ausmaßes, sollte die neue Regierung tatsächlich ihre Vorhaben umsetzen. Sind diese Befürchtungen berechtigt?
    Kanter: Ich glaube, man muss vorsichtig agieren, ohne jetzt in Panik auszubrechen. Ich hatte es eingangs erwähnt, dass dieser Koalitionsvertrag ein Novum darstellt in der italienischen Politik. Ich kann heute nicht sagen, welche Bindekraft dieser Koalitionsvertrag haben wird. Und wir dürfen nicht vergessen, dass wir im Hintergrund einen sehr wichtigen und machtvollen Mann hier im Staate Italiens haben, und das ist der italienische Staatspräsident, der auch gestern, als er Giuseppe Conte den Regierungsauftrag erteilt hat beziehungsweise ihn damit beauftragt hat, eine Regierung zu erstellen, klar darauf hingewiesen hat, dass Italien auch in Zukunft seiner europapolitischen Verantwortung nachkommen muss und ganz klar in Europa verankert sein muss.
    "Erst mal abwarten und schauen"
    Dobovisek: Europa muss weniger Angst haben, als es derzeit der Fall ist?
    Kanter: Zumindest dürfen wir nicht in Panik ausbrechen und ich glaube, wir müssen jetzt auch erst mal abwarten und schauen, was diese neue Regierung dann wirklich umzusetzen vermag und wie die Kommunikation auch mit den europäischen Partnern erfolgt. Denn ansonsten, wenn wir jetzt zu stark mit der neuen Regierung in Kritik gehen, sieht diese sich vielleicht in der Opferrolle und wettert auf der anderen Seite dann direkt wieder gegen die europäischen Partner und gegen die europäischen Institutionen.
    Dobovisek: Letztes Stichwort in unserem Gespräch, weil Sie auch die Stabilität angesprochen haben. Da noch der kurze Blick auf die Lega und die Fünf Sterne in der gemeinsamen Koalition. Die Lega ist rechtspopulistisch, fremdenfeindlich, die Fünf Sterne kann man sehr schwer politisch einordnen, ein bisschen links, ein bisschen rechts, ein bisschen grün. Und es sind nicht wenige in der Bewegung, die sich schwer damit tun, mit einer rechtspopulistischen Partei zusammenzuarbeiten. Wird die gemeinsame Regierung die Fünf-Sterne-Bewegung am Ende spalten?
    Kanter: Die beiden Chefs der beiden Bewegungen, sprich Luigi Di Maio für die Fünf-Sterne-Bewegung und Matteo Salvini für die Lega, die möchten beide regieren und möchten, glaube ich, diese Regierung auch zum Erfolg bringen. Ich glaube, dass sich die Fünf-Sterne-Bewegung in einem Transformationsprozess befindet von einer Anti-System-Bewegung hin jetzt zu einer Gruppierung, die Regierungsverantwortung übernehmen möchte, und diese Bewegung wird in der politischen Realität ankommen, wird Kompromisse machen müssen in der Koalition mit der Lega. Da gibt es einige Stimmen, die sagen, dass es möglicherweise zu einer Spaltung dieser Bewegung kommen könnte. Diejenigen, die Regierungsverantwortung übernehmen möchten und am Ende des Tages auch Teil dieses politischen Systems werden, und auf der anderen Seite diejenigen, die an den Wurzeln festhalten wollen und sagen, wir sind eine antisystemische Bewegung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.