Freitag, 29. März 2024

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Neue Studie zu Bildungsangeboten
Ganztagsschulen punkten durch individuelle Förderangebote

Viele Eltern würden sich vor allem deshalb für eine Ganztagsschule entscheiden, damit ihre Kinder selbstständiger werden und dort interessante Angebote wahrnehmen können, sagte Dirk Zorn von der Bertelsmann Stiftung im DLF. Es gebe aber immer noch zu wenige Ganztagsschulplätze, wie eine Umfrage zeige.

Dirk Zorn im Gespräch mit Michael Böddeker | 19.09.2016
    Michael Böddeker: Eltern von Kindern auf der Ganztagsschule sind mit dem schulischen Angebot zufriedener als die Eltern von Kindern auf Halbtagsschulen – das besagt zumindest eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Bevor wir gleich darüber sprechen, hören wir jetzt erst mal direkt einige Eltern von Ganztagsschülern.
    Mehr über die neue Studie zu den Ganztagsschulen weiß Dirk Zorn von der Bertelsmann Stiftung, er ist einer der Autoren. Ihn habe ich gefragt, das, was wir gerade so gehört haben von den Eltern von Ganztagsschülern, deckt sich das ungefähr mit dem, was in Ihrer Studie herausgekommen ist?
    Dirk Zorn: Das deckt sich ziemlich stark mit dem, was wir in den Daten gesehen haben. Eines wird deutlich, wenn man den Eltern zuhört, es gibt Motivbündel, aus denen Eltern heraus sich für den Besuch einer Ganztagsschule entscheiden. Es ist selten alleine der Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Im Vordergrund stehen pädagogische Erwägungen bei den Eltern.
    Böddeker: Ist das das Hauptergebnis, sind das die Hauptgründe, warum Eltern Ganztagsschulen gut finden?
    Zorn: In der Tat, an oberster Stelle stehen bei Eltern der Wunsch danach, dass ihre Kinder selbstständiger werden und dass sie interessante Angebote wahrnehmen können. Erst weiter abgeschlagen kommt dann der Wunsch danach, selber mehr arbeiten gehen zu können und das Kind in der Schule betreut zu wissen.
    Manches Kind wünscht sich den Besuch einer Halbtagsschule
    Böddeker: Das sind also die positiven Aspekte, aber es gab doch sicherlich auch Punkte, die Eltern nicht so gut fanden. Was spricht aus Sicht der Eltern gegen Ganztagsschulen?
    Zorn: Es gibt auch unter den Eltern, die wir befragt haben – dazu zählten ja auch Eltern von Halbtagsschülern –, solche, die sagen, sie haben sich für eine Halbtagsschule entschieden, weil das besser zu ihrem Lebensmodell passt oder auch weil das Kind explizit sich den Besuch einer Halbtagsschule gewünscht hat. In unserer Umfrage sind aber immerhin 50 Prozent aller Eltern Eltern von Ganztagsschülern.
    Böddeker: Entspricht das auch dem Verhältnis in Deutschland, also ist das repräsentativ für Schüler in Deutschland, dass die Hälfte ungefähr mittlerweile auf Ganztagsschulen geht?
    Zorn: Ja, die Studie selbst ist repräsentativ angelegt. Es wurden über 4.300 Eltern schulpflichtiger Kinder bundesweit befragt. Insofern haben wir ein hohes Vertrauen in die Qualität der Daten. Die statistische Lage, die amtliche Statistik ist hier etwas komplizierter. Es gibt zwei konkurrierende Statistiken: Die eine erfasst nur Kinder, die tatsächlich eine echte Ganztagsschule besuchen – das sind im letzten Schuljahr knapp 38 Prozent aller Schüler gewesen –, dazu muss man aber auch noch diejenigen Schüler zählen, die Horte oder Schülerläden besuchen, sodass man insgesamt davon ausgehen, dass diese 50 Prozent etwa korrekt sind.
    Gebundene Ganztagsschulen punkten durch bessere Förderangebote
    Böddeker: Und es gibt ja auch noch verschiedene Formen von Ganztagsschulen in Deutschland. Es gibt den gebundenen Ganztag, bei dem alle Schüler den ganzen Tag zusammenbleiben, und dann gibt es den offenen Ganztag, wo die Teilnahme am Nachmittag freiwillig ist. Was kam dazu in Ihrer Studie raus, gab es da Unterschiede in der Bewertung von Seiten der Eltern?
    Zorn: Also zunächst muss man sagen, dass Eltern unabhängig von der Spielart von Ganztagsschulen, die ihre Kinder besuchen, im Mittel zufriedener mit der Schule und den Lehrkräften sind als die Eltern von Halbtagsschülern das berichten. Das gilt für alle Spielarten von Ganztagsschule. Dann haben wir aber bei einem genaueren Blick festgestellt, dass insbesondere der gebundene Ganztag punktet bei den Eltern, wenn es um die individuelle Förderung von Schülern geht. Hier zeigen sich die Eltern noch zufriedener mit der Qualität der individuellen Förderung und den Angeboten, die diese Schule ihren Kindern unterbreiten als solche von Kindern, die an offenen Angeboten partizipieren.
    Mehr Kommunikation zwischen Schule und Eltern gewünscht
    Böddeker: Vor einigen Monaten gab es schon einige Untersuchungen zum Thema Ganztag in Deutschland, auch von Ihnen. Da hatte sich gezeigt, dass es in der Umsetzung noch große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Zeigt sich das auch in der aktuellen Untersuchung?
    Zorn: Wir haben in dieser Untersuchung auf eine länderspezifische Auswertung verzichtet, weil die Repräsentativität so nur für Deutschland insgesamt gewahrt ist. Man sieht aber bei den Wünschen, die Eltern an die Politik richten, was soll sich noch verbessern in der Ganztagsschule, sehr deutlich, dass hier noch Handlungsbedarf besteht. Eltern wünschen sich noch mehr individuelle Förderung, noch mehr Angebote für ihre Kinder, sie wünschen sich eine bessere Personalausstattung. Das hatte damals auch unsere Studie aus dem April bereits belegt, dass hier noch Handlungsbedarf besteht. Außerdem wünschen sie sich eine verstärkte Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus.
    Böddeker: Können überhaupt alle Eltern, die sich das wünschen, ihre Kinder auf die Ganztagsschule schicken?
    Zorn: Nach den Zahlen, die uns vorliegen, ist das nicht der Fall. Auch Umfragen aus der Vergangenheit, zum Beispiel die JAKO-O-Elternstudie hatte einen Bedarf von etwa 70 Prozent ermittelt von Eltern, die einen Ganztagsplatz für ihre Kinder wünschen. Derzeit liegen wir bei knapp 40 Prozent Platzangebot, und auch unsere Umfrageergebnisse haben belegt, dass ein erheblicher Teil von Eltern mit Kindern an Halbtagsschulen sich heute anders entscheiden würde oder auch damals zum Zeitpunkt der Schulentscheidung über kein geeignetes Angebot im Umfeld verfügte. Das sind etwa ein Drittel aller Halbtagseltern, die das zu Protokoll gegebenen haben.
    Böddeker: Sagt Dirk Zorn von der Bertelsmann Stiftung. Er ist einer der Autoren der heute veröffentlichten Studie zum Thema Ganztagsschulen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.