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Neue Therapieansätze
Elektrostimulation für Parkinson und Schlaganfall

Mit elektrischer Hirnstimulation und Hirnschrittmachern soll nach einem Schlaganfall das Sprachtraining unterstützt werden oder das typische Parkinsonzittern abgemildert werden. Mehrere Studien zeigen den Erfolg - und könnten zu neuen Behandlungsmethoden führen.

Von Lennart Pyritz | 22.03.2016
    Der verbesserte Hirnschrittmacher, mit dem das rheinische Forschungszentrum Jülich am Wettbewerb um den Deutschen Zukunftspreis 2006 teilnimmt (undatiertes Handout). Anders als herkömmliche Geräte sprechen die eingepflanzten Elektroden im Gehirn Nervenzellenverbände nicht mit einem konstanten Dauerreiz an. Sie traktieren das Gewebe vielmehr im unregelmäßigen Rhythmus an mehreren Punkten. Dadurch soll nicht nur das Zucken der Parkinson-Patienten wirksamer unterdrückt werden, langfristig erhoffen sich die Forscher auch, dass die Nervenzellen durch die neue Technik "lernen", wieder normal zu funktionieren.
    Ein Hirnschrittmacher: Die Technik wurde weiter verbessert. (picture alliance / dpa / Db Ansgar Pudenz)
    Bei einem Schlaganfall werden Teile des Gehirns unzureichend mit Blut versorgt. Viele Patienten leiden dadurch unter Sprachstörungen. Bei etwa einem Fünftel sind die Beschwerden chronisch: Selbst nach einem Jahr haben sie Probleme, fließend zu sprechen. Bestehende Therapien – Sprachtraining und Medikamente – haben bislang keinen durchschlagenden Erfolg gebracht, sagt Agnes Flöel. Sie erforscht an der Klinik für Neurologie der Charité in Berlin einen neuen Therapieansatz. Dabei sollen elektrische Reize am Kopf der Patienten dem Gehirn helfen, sich neu zu organisieren, und so das Sprechen fördern.
    "Die kortikale Erregbarkeit steigt. Und es kommt auch wahrscheinlich zur Freisetzung bestimmter Botenstoffe des Gehirns und Nervenwachstumsfaktoren. Und das zusammen mit einem intensiven Sprachtraining bewirkt dann eine verbesserte Funktion. Wichtig: Also allein Strom hilft nicht, sondern man muss parallel dazu eben dieses Sprachtraining machen. Und der Strom ist nur dazu da, die Erfolge von diesem Sprachtraining noch zu verstärken."
    Über Elektroden fließt der Strom
    Transkranielle Gleichstromstimulation heißt das Verfahren. Über Elektroden an der Kopfhaut fließt dabei ein schwacher Strom zu den Nervenzellen des Gehirns. Flöel und ihre Kollegen haben es in einer kleinen Studie an 26 Schlaganfallpatienten getestet. Für eine gezielte Therapie wurden dabei zunächst der jeweilige Typ der Sprachstörung identifiziert und Magnetresonanz-Tomografie-Aufnahmen des Kopfes ausgewertet.
    "Und dann gibt es ein über acht Tage laufendes, immer zwei- bis dreistündiges tägliches Training, wo die Patienten wieder lernen, Begriffe zu benennen – am Computer –, also Kerze oder Uhr, die sie vorher nicht benennen konnten. Und parallel dazu wird eben dieser Strom angelegt, aufgedreht. Und das merkt man dann während der Stimulation eigentlich gar nicht."
    Nach dem Training konnten die Patienten die am Computer gezeigten Gegenstände deutlich besser benennen. Außerdem berichteten sie, dass sie Alltagssituationen wie Brötchenbestellen oder einen Arztbesuch sprachlich sicherer meisterten. Ob das Verfahren auch schon kurz nach einem Schlaganfall angewendet werden könnte, müssten weitere Studien erst zeigen, sagt Flöel. Die Effekte seien schwer feststellbar, da es im frühen Stadium noch spontane Sprachveränderungen gebe.
    "Außerdem ist natürlich die Gefahr, dass man eben doch Dinge wie zum Beispiel einen Anfall auslöst, viel größer im Gehirn kurz nach Schlaganfall. Aber grundsätzlich könnte man sich das auch vorstellen."
    Parkinson: Stimulation direkt im Gehirn
    Für die elektrische Hirnstimulation müssen die Schlaganfallpatienten nicht operiert werden. Anders sieht es bei einer Therapie für Parkinsonpatienten aus, die unkontrollierte Bewegungen wie Zittern abmildern soll: die tiefe Hirnstimulation. Dabei werden Löcher in die Schädeldecke gebohrt, durch die Elektroden tief ins Gehirn vorgeschoben werden. Das daran hängende Kabel wird unter der Haut zu einem Schrittmacher in der Brust oder im Bauch verlegt. Bislang konnten so an einer festgelegten Stelle im Gehirn Stromimpulse gegeben werden.
    "Jetzt hat man mit neuen Elektroden und neuen Systemen die Möglichkeit, den Strom an der Elektrodenspitze zu steuern: nach rechts, nach links."
    Alfons Schnitzler ist Direktor des Instituts für Klinische Neurowissenschaften am Universitätsklinikum Düsseldorf.
    "Und das ist natürlich ein ganz entscheidender Vorteil. Weil man kann den Strom dann so steuern, dass man den besten Effekt und die wenigsten Nebenwirkungen hat."
    Beim bisherigen Verfahren wird 24 Stunden am Tag gleichmäßig stimuliert. Neue Technik soll nun neben dem gezielteren räumlichen auch einen präziseren zeitlichen Einsatz möglich machen: Nur, wenn das Gehirn krankhafte Aktivität zeigt, die sich in Zittern der Patienten äußert, sollen Stromimpulse gegeben werden, um die Aktivität zu verändern. Dafür muss die Hirnaktivität an der Elektrodenspitze gemessen oder abgeleitet werden.
    "Die neuen Geräte, die in der Forschung zurzeit angewandt werden, auch am Patienten, die können eben beides. Die können ableiten und stimulieren."
    Mediziner der Universität Oxford erprobten die adaptive Stimulation an acht Parkinsonpatienten. Ihrer Studie nach milderte sie die Bewegungsstörungen der Erkrankten besser als die herkömmliche Dauerstimulation durch einen Hirnschrittmacher.
    Der Neurowissenschaftler Alfons Schnitzler schätzt, dass das Verfahren in zwei bis drei Jahren Einzug in die Praxis halten könnte.