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Neue Töne aus dem Baskenland

Nach zahlreichen Fahndungserfolgen gilt die ETA als geschwächt. Hinzu kommt, dass das politische Umfeld der baskischen Terrororganisation ein Ende der Gewalt fordert - eine Forderung, der sich auch ETA-Häftlinge angeschlossen haben. Die spanische Regierung zeigt sich von all dem unbeeindruckt.

Von Hans-Günter Kellner | 26.09.2011
    "Unabhängigkeit" oder "keine politischen Prozesse mehr" rufen mehrere Zehntausend Demonstranten in der Innenstadt von Bilbao. Viele halten Spruchbänder in die Höhe, fordern "demokratische Lösungen für das Baskenland". Aus ihrer Sicht steht der Demokratie nicht etwa die ETA, sondern Spanien im Weg. So sagt dieser ältere Mann:

    "Wir sind besetzt von zwei Staaten, werden verteufelt und kriminalisiert. Was mit uns passiert, ist echte Gewalt - nicht diese theoretische Gewalt, der wir beschuldigt werden. Trotz guter Absichten von unserer Seite werden wir weiter ohne Beweise verhaftet. Und die ganze Welt dreht uns den Rücken zu. Gut, vielleicht sind wir Basken für die Welt auch wirklich kein großes Problem."

    Das ist seit Jahren der Tenor bei den Demonstrationen der sogenannten "Linksnationalisten", wie das politische Umfeld der ETA sich selbst bezeichnet. Man sieht sich als Opfer, die Anschläge der ETA werden großzügig übersehen. Dabei sind bei den politischen Führern längst neue Töne zu hören. Sie haben in der vor einem Jahr beschlossenen "Erklärung von Gernika" eine Waffenruhe gefordert - als Vorstufe für ein definitives Ende des bewaffneten Kampfs. Die ETA ist der Forderung mit ihrem "dauerhaften Waffenstillstand" tatsächlich gefolgt. Txelui Moreno, Sprecher der Linksnationalisten, zieht Bilanz:

    "Eine der Schlussfolgerungen unserer Debatte ist doch, dass bewaffnete Aktionen keinen Sinn mehr haben. Um die unterschiedlichen Anhänger einer Unabhängigkeit sammeln zu können, war wichtig, dass nur noch mit demokratischen Mitteln gearbeitet wird. Diesem Entschluss hat sich auch die ETA angeschlossen. Sie akzeptiert diese Analyse der Linksnationalisten."

    Und zwar zum ersten Mal. Denn bisher verstand sich die ETA als die Speerspitze des Kampfs für die Unabhängigkeit. Nun ordnet sie sich offenbar ihrem politischen Umfeld unter. Ende letzter Woche schlossen sich zudem die mehr als 700 verurteilten ETA-Mitglieder in den Gefängnissen der Abkehr vom Terror an. Txelui Moreno:

    "Viele der Häftlinge waren ja aktive Mitglieder, gehören aber auch im Gefängnis noch der ETA an. Darum ist es so wichtig, dass sie jetzt die Vereinbarung von Gernika anerkennen. Dieses Abkommen fordert ja von der ETA ganz direkt, dass sie die Waffen niederlegen soll."

    Die Linksnationalisten fordern allerdings auch eine Amnestie für die ETA-Mitglieder in den Gefängnissen. Für den einflussreichen baskischen Theologen Javier Vitoria klingt der Begriff hingegen zu sehr nach Amnesie. Die ETA habe im Namen des baskischen Vaterlands gemordet, protestiert er und warnt:

    "Wenn wir Basken es erlauben, werden die Linksnationalisten unsere jüngste Geschichte in ihrem Sinne neu erzählen, mit ihren Mythen die Wahrheit auf schwerwiegende Weise verfälschen. Ich bin dafür, dass die Linksnationalisten in die Parlamente kommen. Die ETA wird früher oder später verschwinden. Das wirklich Wichtige ist im Augenblick, zu verhindern, dass die Mythologie der Linksnationalisten das tatsächliche Geschehene verdeckt."

    Sonst drohe dem Baskenland ein ungerechter Frieden, viele wären bereit, für ein Ende des Terrors alles zu vergessen – auch die Toten. Allerdings hält auch Javier Vitoria die Urteile gegen wichtige Separatistenführer mit Haftstrafen von bis zu zehn Jahren aus politischer Sicht für einen Fehler. Auch er meint, die spanische Regierung müsse mit den Linksnationalisten sprechen. Sonst drohe sie im Baskenland in die Defensive zu geraten:

    "Das Problem der Gewalt ist nicht nur mit Polizei und Justiz zu lösen. Die letzten Kommunalwahlen im Mai haben das doch gezeigt. In der Region um San Sebastián hat das politische Umfeld der ETA ja sogar die Wahlen gewonnen. Nur mit der Polizei ist das also nicht zu lösen. Wir brauchen auch Gespräche."

    Zumal Bildu, die von den Linksnationalisten angeführte Koalition separatistischer Kräfte im November auch ins spanische Parlament in Madrid einziehen dürfte.

    Abseits der Kundgebung in Bilbao äußerten Passanten aber auch moralische Bedenken. Diese Frau beobachtet den vorbeiziehenden Demonstrationszug, während sie mit vollen Taschen auf den Bus wartet:

    "Die fordern jetzt, dass die ETA-Gefangenen nach Hause kommen sollen. Und die ganzen Menschen, die sie getötet haben? Wann kommen die nach Hause? Nie."