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Neue Zellen für das Gehirn

Neurologie. – Das Gehirn ist ein noch vielfach unverstandenes Organ, doch Schritt für Schritt entdeckt die Wissenschaft neue Aspekte. Etwa, dass Nervenzellen doch nachwachsen können und auch neue Kontakte untereinander knüpfen können. Neueste Erkenntnisse über die "Neurogenese" von Nervenzellen wurden auf der in Braunschweig stattfindenden "29. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Zellbiologie" erörtert.

Von Michael Engel | 31.03.2006
    Sport trainiert die Muskeln und erhöht die Zahl der Nervenzellen. Speziell im Hippocampus, einer Hirnregion, die für Lernen und Gedächtnis zuständig ist, hat Professor Gerd Kempermann vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin Buch, den Zuwachs an Nervenzellen ausgezählt: bei der Maus:

    "Diese Hirnregion, die wir untersuchen, der Hippocampus, der hat bei der Maus ungefähr 300.000 Zellen, also es ist keine sehr große Region. Über das Leben werden vielleicht 30.000 neu gebildet. Das wäre ein Zuwachs von zehn Prozent."

    Doch nicht nur Mäuse, die sich im Laufrad mühen, zeigen diese Effekte, sondern auch Tiere, die in Gemeinschaft mit anderen Tieren leben. Während sozial isolierte, motorisch inaktive Mäuse keinen Nachschub an Nervenzellen produzieren. Der Wissenschaftler zögert nicht, die Ergebnisse auf den Menschen zu übertragen:

    "Das Interessante an dieser Nervenzellneubildung ist, dass sie so stark von Aktivität abhängig reguliert wird, das heißt, wenn wir körperlich, geistig aktiv sind, dann bilden sich in unserem Gehirn offensichtlich neue Nervenzellen, aber in Abhängigkeit vom Ausmaß dieser Aktivität."

    Zwölf Gene konnte Kempermann finden - "Stammzellgene" - die durch äußere Reize eingeschaltet werden, um dann die Bildung von Nervenzellen aus sogenannten Vorläuferzellen zu starten. Doch nur im Hippocampus und in einer Riechregion wird die Möglichkeit dazu umgesetzt. Kempermann:

    "Wir nehmen an, dass es etwas mit Lernen und Gedächtnis zu tun hat. Die Tatsache, dass Lernen nun wiederum die Neurogenese reguliert, spricht ja schon für einen Zusammenhang in beiden Richtungen."

    Möglicherweise unterstützen die neu hinzu gekommenen Zellen das Langzeitgedächtnis und stabilisieren auf diese Weise wichtige Überlebensfunktionen. Kempermann:

    "Die Stammzellen, die in diesen Regionen neue Nervenzellen machen, die gibt es auch sonst wo im Gehirn. Zum Beispiel auch im Rückenmark. Nur machen sie dort keine Nervenzellen. Und die große Frage ist, was machen sie denn dort, und was ist der Grund, dass sie überhaupt dann da sind, dass sie sich so lange erhalten haben, sind sie auch dort reguliert. Das ist aber neue Forschung, da weiß man noch ganz wenig drüber."

    Auch Dr. Annalisa Buffo vom Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit aus München steckt noch in der Grundlagenforschung. Sie untersucht so genannte Gliazellen, von denen man noch vor wenigen Jahren glaubte, dass sie eigentlich nur eine mechanische Stützfunktion haben, indem sie ein stabiles Gerüst für die empfindlichen Nervenzellen bilden. Buffo:

    "Dann kam die große Revolution, als entdeckt wurde, dass Gliazellen bei der Gehirnentwicklung aus Vorläuferzellen gebildet werden, und dass während dieser Entwicklung dieser Zelltyp dann auch Nervenzellen bilden kann."

    Astrocyten spielen hier eine besondere Rolle. Die sternförmigen Stützzellen entstehen exakt aus jenen Vorläufer-Stammzellen, die auch Nervenzellen bilden, wobei das sogenannte "PAX6-Gen" auffällig aktiv wird. Überraschender Befund: Das Gen wird nach einer gezielten Schädigung von Nervenzellen, zum Beispiel durch Injektion von Viren, ebenfalls aktiv: Neue Glia- aber auch Nervenzellen entstehen dabei schon nach wenigen Tagen - festgestellt bei Mäusen. Könnten die gewonnen Erkenntnisse nicht auch Alzheimer-Patienten zugute kommen? Buffo:

    "Wir führen zur Zeit auch Experimente mit Alzheimer-Mäusen durch. Bei diesen Mäusen finden wir, dass die Neubildung von Nervenzellen ausbleibt. Wir wissen im Moment nicht, woran das liegt, aber es ist schon sehr vielversprechend."

    Denn: Die Wissenschaftlerin hofft natürlich darauf, dass die Neurogenese bei Alzheimer-Mäusen gelingt - später dann auch bei menschlichen Patienten. Gleichwohl: Hoffnung auf Heilung ist für die Betroffenen so schnell nicht in Sicht. Das Ganze steckt noch in der Grundlagenforschung. Doch die Ergebnisse zeigen, dass Stammzelltherapie auch ohne die ethisch umstrittenen Stammzellen aus Embryonen funktionieren könnte.