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Neuer Bluttest für Schwangere
Medizinisch ein Durchbruch - ethisch umstritten

Mit einem neuen Bluttest bei Schwangeren lässt sich feststellen, ob das noch ungeborene Kind genetische Defekte hat und womöglich behindert zur Welt kommt. Ein medizinischer Durchbruch, meinen Humangenetiker. Kritiker sehen darin allerdings einen großen Schritt hin zu einer Gesellschaft ohne Menschen mit angeborener Behinderung.

Von Burkhard Schäfers | 15.12.2015
    Eine schwangere Frau hält ihren Bauch.
    Der Bluttest für Schwangere ist umstritten. (dpa/Fredrik von Erichsen)
    "Ich empfinde jetzt die Situation wirklich als völlig ungerecht. Diese Untersuchung gibt es, und die kann sich jemand leisten, und der andere kann sie sich nicht leisten. Das würde ich denken, dass das nicht richtig ist."
    Die Humangenetikerin Gabriele Gillessen-Kaesbach streitet mit dem Psychologen Michael Zander darüber, ob die Krankenkassen künftig den sogenannten Praenatest bezahlen sollen.
    "Die Frage ist, warum sollen Krankenkassenmittel oder öffentliche Mittel dafür ausgegeben werden, um das zu finanzieren? Was ist so wichtig an diesem Test? Wozu brauchen wir den?"
    Eine neue Methode, durch die werdende Eltern erfahren, ob ihr ungeborenes Kind womöglich einen Chromosomenfehler hat. Am weitesten verbreitet ist die Trisomie 21, das so genannte Downsyndrom. Mit dem Bluttest lassen sich diese und weitere Gen-Mutationen schon vor der Geburt ausschließen. Eine Zäsur in der vorgeburtlichen Diagnostik. Bisher versuchen Ärzte, mittels Ultraschall herauszufinden, ob mit dem Fetus alles in Ordnung ist. Außerdem gibt es die Möglichkeit das Fruchtwasser zu untersuchen. Bei diesem Eingriff kann es allerdings in einzelnen Fällen zu Fehlgeburten kommen. Diese Gefahr besteht bei der neuen Methode nicht, erklärt Gabriele Gillessen-Kaesbach. Sie ist Direktorin des Lübecker Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Schleswig-Holstein.
    "Was die Sicherheit angeht - das Testergebnis vor allem mit Blick auf das Downsyndrom - ist das sicherlich ein Durchbruch. Insbesondere weil keine invasive Diagnostik erfolgen muss, die ja immer ein Infektions- und Fehlgeburtsrisiko mit sich zieht. Das ist ein Test, der für Kind und Mutter zunächst mal ohne Risiko durchgeführt werden kann."
    Existenzielle Herausforderung für Paare
    Damit werben auch die Herstellerfirmen, die auf ein lukratives Geschäft hoffen. So sagen Experten allein für den US-amerikanischen Markt ein Milliardengeschäft voraus. Hierzulande kostet der Test zwischen 300 und 700 Euro. Noch müssen werdende Eltern die Untersuchung in den meisten Fällen selbst bezahlen. Das könnte sich aber bald ändern: Im Moment verhandelt der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen darüber, ob die gesetzlichen Kassen den Praenatest künftig generell übernehmen. Michael Zander, Psychologe an der Hochschule Magdeburg-Stendal, sieht das kritisch:
    "Zunächst bekommen die Eltern eine Wahrscheinlichkeitsangabe: Wie wahrscheinlich ist es, dass der und der Befund eintritt bei dem späteren Kind. Insofern gibt es da für die Eltern schon mal einen Unsicherheitsfaktor. Und es gibt ja schon in der Medizin eine relativ verbreitete Haltung: Wenn wir einen positiven Befund haben, dass wir da medizinisch was machen können, sprich wir können die Schwangerschaft abbrechen."
    Die Entscheidung darüber, ob der Bluttest zur Regelleistung der gesetzlichen Kassen wird, fällt nicht im Parlament, sondern im Gemeinsamen Bundesausschuss, einem Verwaltungsgremium. Schon 2016 könnte der Test kommen - und damit Alltag werden in der Schwangeren-Vorsorge. Allerdings: Die damit einhergehenden Fragen können junge Paare existenziell herausfordern, sagt der Psychologe:
    "Ich wünsche mir, dass es erst mal aus den Regelleistungen draußen bleibt, damit wir überhaupt eine Chance haben, diese öffentliche Debatte zu führen und zu einer öffentlichen Willensbildung zu kommen darüber. Solange es keine öffentliche Willensbildung gibt, die das möglicherweise infrage stellt, und die Frage aufwirft, ist es angemessen, das durch öffentliche Forschungsgelder zu fördern, würde ich vermuten, wird der Test relativ geräuschlos eingeführt werden."
    Je mehr Vorhersagen, desto größer die Ängste?
    Skeptiker meinen: Der Bluttest sei ein großer Schritt hin zu einer Gesellschaft ohne Menschen mit angeborener Behinderung. Die Humangenetikern Gabriele Gillessen-Kaesbach widerspricht: Ziel der Diagnostik sei es, die künftigen Eltern umfassend zu informieren, damit sie gründlich abwägen und anschließend frei entscheiden könnten, ob sie ein behindertes Kind bekommen wollen:
    "Wir versuchen immer, Leben zu retten. Das ist natürlich nicht immer möglich, weil viele Menschen haben eben sehr viel Angst vor Behinderung, denken, dass sie es nicht schaffen, ein Kind mit einer Behinderung neben vielleicht zwei weiteren Geschwisterkindern betreuen zu können. Wir empfinden es aber auch so, dass nach einer ausführlichen Beratung Ratsuchende sagen, das hatten wir uns ganz anders vorgestellt, viel schlimmer. Und dass sich eben auch Eltern entschließen, die Schwangerschaft trotz des Befundes fortzusetzen, aber das ist eher die Minorität."
    Kritiker der Pränatal-Diagnostik sagen: Je mehr Vorhersagen möglich sind, desto größer die Ängste werdender Eltern. Zumal viele Frauen tendenziell in höherem Alter schwanger werden - und damit das Risiko kindlicher Gen-Defekte steigt. Befürworter hingegen loben den neuen Bluttest: Er könne früh die Sicherheit geben, alles sei in Ordnung. Ein Trugschluss, warnt die Schwangerschaftsberaterin Anna Elisabeth Thieser vom Sozialdienst katholischer Frauen:
    "Ich glaube, dass es unverantwortlich ist, in diesem Zusammenhang mit einem Sicherheitsbegriff zu argumentieren, weil gerade mit einer Schwangerschaft generell Ängste und Unsicherheiten einhergehen. Dieses Versprechen trifft natürlich genau diese Ängste. Damit kann es plötzlich so eine Wirkung erzielen, als ob man so generell sicherer würde in der Schwangerschaft, und das stimmt natürlich nicht."
    Zunehmend schwierige Entscheidungen
    Weder der Bluttest noch die Pränataldiagnostik insgesamt können Paaren garantieren, dass ihr Kind gesund zur Welt kommt. Weil es aber immer neue Vorhersage-Möglichkeiten gibt, verstärke das auch die Illusion, die Medizin werde es schon richten, so die Erfahrung der Fachberaterin. Viele würden sich auf die Pränataldiagnostik einlassen, ohne zu bedenken, dass das Ergebnis sie in große Unsicherheit stürzen kann, sagt Anna Elisabeth Thieser.
    "Was ich erlebe, dass es oft keinen Entscheidungsprozess in diesem Zusammenhang mehr gibt oder auch noch nicht gab, er also als Kultur noch nicht entwickelt wurde und daraus eine Selbstverständlichkeit nicht nur des Angebotes, sondern auch der Inanspruchnahme entsteht."
    Und die Medizin ist noch lange nicht am Ende. Der Bluttest bietet weitere Optionen, sagt die Lübecker Humangenetikerin Gabriele Gillessen-Kaesbach. Bis hin zur Untersuchung, woran der noch ungeborene Mensch womöglich in seinem späteren Leben einmal erkranken könnte.
    "Das bedeutet, dass man Fragestellungen beantwortet bekommt, die gar nicht eine Frage vorher sind. Ich könnte dann erkennen, ob dieses zu erwartende Kind eine Brustkrebserkrankung, Darmkrebserkrankung, Chorea Huntington... Und da ist es wirklich notwendig, dass eine hohe ethische Diskussion erfolgt: Ist das eigentlich sinnvoll? Darf das Kind es eigentlich wissen? Dürfen die Eltern alles wissen? Das sind ja Fragen, die bisher noch keiner wirklich beantwortet hat."
    Der neue Bluttest bringt die Pränatal-Medizin entscheidend voran. Und: Er verlangt zunehmend schwierige Entscheidungen.