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Neuer Bluttest für Schwangere soll im nächsten Jahr kommen

Medizin.- Wenn eine Schwangere sicher gehen will, dass ihr Kind nicht am sogenannten Down-Syndrom leidet, gibt es für sie bislang nur einen Weg: eine Fruchtwasseruntersuchung. Anfang 2012 soll ein Bluttest für Trisomie 21 auf den Markt kommen, der die nicht ungefährliche Untersuchung überflüssig machen könnte.

Von Marieke Degen | 05.12.2011
    Michael Entezami ist Frauenarzt, er arbeitet an einem Zentrum für Pränataldiagnostik und Humangenetik in Berlin. Er macht regelmäßig Fruchtwasseruntersuchungen. Dabei führt er eine dünne Nadel durch die Bauchdecke der Schwangeren und entnimmt ein bisschen Fruchtwasser. Darin schwimmen Zellen des Fötus, und mithilfe der Zellen lässt sich unter anderem feststellen, ob das Kind eine Trisomie 21 hat. Doch der Eingriff ist nicht ohne.

    "Die Fruchtwasseruntersuchung hat ein Risiko von 0,3 bis ein Prozent, dass durch den Eingriff selbst eine Fehlgeburt ausgelöst werden kann. Das passiert Tage bis Wochen später, dass entweder der Fetus keinen Herzschlag mehr zeigt, oder dass in der Folge die Fruchtblase platzt, Fruchtwasser vaginal abläuft und in der Folge Wehen oder auch Fieber auftreten können und es dadurch auch zu Fehlgeburten kommt."

    Jedes Jahr lassen sich in Deutschland um die 70.000 Frauen das Fruchtwasser untersuchen. Vielen Frauen könnte der riskante Eingriff in Zukunft erspart bleiben: Anfang 2012 soll ein neuer Bluttest für Trisomie 21 auf den Markt kommen.

    "Der Test ist für uns eine Bereicherung. Es ist ein Durchbruch, auf einem Feld, wo seit 20 Jahren geforscht wurde, ohne Gefährdung der Schwangerschaft eine Aussage über die Chromosomen des Kindes zu machen."

    Alles, was man für den Test braucht, ist ein Röhrchen Blut von der Mutter.

    "Das mütterliche Blut enthält immer Erbmaterial aus zerfallenen Zellen und Blutzellen der Mutter, und es enthält interessanterweise auch etwa fünf Prozent fetales Erbmaterial aus zerfallenen Zellen des Mutterkuchens, der Plazenta."

    In der Regel ist das Plazentagewebe genetisch identisch mit dem Gewebe des Kindes. Die Erbgutschnipsel werden im Labor vervielfältigt und dann den einzelnen Chromosomen zugeordnet. Daraus lässt sich berechnen, ob bestimmte Chromosomen zweimal vorkommen – was normal wäre – oder dreimal, ob also eine Trisomie vorliegt. Michael Entezami und seine Praxiskollegen setzen den Test schon ein, im Rahmen einer Studie. Sie überprüfen, wie aussagekräftig, wie zuverlässig er ist. Dafür wird das Blut von Frauen untersucht, die ohnehin eine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. Das Blut wird aber nicht nur auf Trisomie 21 getestet, sondern auch auf Trisomie 13 und 18. Das sind Chromosomenstörungen, bei denen die meisten Kinder extrem früh sterben. Die Berliner haben noch keine Ergebnisse. Aber es gibt schon Studienergebnisse aus den USA, wo der Test seit Oktober auf dem Markt ist.

    "Die Fehlerquote ist gering, die Erkennungsrate von Trisomie 21 lag bei 98 Prozent, die falsch-positive Rate sehr gering, aber man muss sich vergegenwärtigen, dass es Fehler geben kann."

    Deshalb sollte man den Test auch nie alleine anwenden, sagt der Gynäkologe. Wer seinen Fötus untersuchen lassen möchte, sollte in der elften Schwangerschaftswoche erstmal das Ersttrimesterscreening machen. Dabei wird unter anderem die Nackentransparenz des Fötus mit dem Ultraschall gemessen. Wenn es dann Hinweise darauf gibt, dass eine Chromosomenstörung vorliegen könnte, erst dann sollte der Bluttest zum Einsatz kommen – anstelle der Fruchtwasseruntersuchung.

    "Also ich denke, der große Vorteil wird darin liegen, in vielen Fällen, wo im Moment eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wird, um jeden Zweifel auszuschließen, dass in diesen Fällen der Bluttest ausreichend Sicherheit bringt. Und das betrifft sicherlich 80 bis 90 Prozent der invasiven Untersuchungen. Insbesondere der Fruchtwasseruntersuchungen, die nur aus Altersindikation gemacht werden."

    Viele tausend Frauen müssten das Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung also nicht mehr eingehen. Wenn der Bluttest aber tatsächlich auf eine Trisomie hindeutet und die Frau über einen Abbruch nachdenkt, dann würde der Arzt doch noch eine Fruchtwasseruntersuchung empfehlen – um ganz sicher zu gehen.

    "Ich würde von meinem Gefühl her aber zumindest sagen, dass man die ersten Jahre sicherlich nicht eine so schwerwiegende Entscheidung wie den Schwangerschaftsabbruch nur auf den Bluttest stützen sollte."

    Der Bluttest wird die Fruchtwasseruntersuchung also nicht vollständig ersetzen können. Zumal er im Moment ohnehin nur die Trisomien 21, 13 und 18 aufspüren kann. Doch das könnte sich in Zukunft ändern, sagt Klaus Vetter, Geburtshelfer und Mitglied der Gendiagnostik-Kommission am Robert-Koch-Institut.

    "Theoretisch können Sie aus den Bruchstücken alles wieder zusammensetzen. Auch das ganze Genom. Das funktioniert auch. Das weiß man. Aber die Frage ist, das ist im Moment eine Kostenfrage und eine Aufwandsfrage, aber theoretisch haben Sie den Zugang zum Genom. Sie müssen nur wissen, was Sie suchen, und wenn Sie genug Geld hochhalten, kriegen Sie alles raus, was Sie wollen."

    Dann könnte man das Kind auf alles mögliche untersuchen – von verschiedenen Erbkrankheiten bis hin zu einzelnen Krankheitsrisiken. Für viele ist das eine Horrorvision. Im Moment ist das aber noch Zukunftsmusik.

    "Kritisch ist auch zu sehen, dass im Moment das natürlich nur die Leute haben können, die ihn auch bezahlen können. Denn er wird sicher, so wie er jetzt ist, nicht von Krankenkassen übernommen."

    Der Test wird wahrscheinlich um die 1000 Euro kosten. Die Nachfrage sei aber heute schon groß, sagt Michael Entezami.

    "Weil viele Schwangere – gerade nach Kinderwunschbehandlung, gerade nach vorausgegangenen Fehlgeburten oder anderen traumatischen Erlebnissen - sehr große Angst haben, das Risiko einer Fruchtwasseruntersuchung einzugehen."

    Einfach nur ein Röhrchen Blut abgeben - das sei für viele Schwangere eben eine sehr verlockende Alternative.