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Neuer FIFA-Präsident
"Infantino muss das Reformpaket wirklich umsetzen"

Die Vorsitzende des Sportausschusses des deutschen Bundestags, Dagmar Freitag, zweifelt am Reformimpuls des neuen FIFA-Präsidenten. Der Schweizer Gianni Infantino entstamme dem alten System Blatter, sagte die SPD-Politikerin im DLF. Seine Wahl basiere auf den üblichen Mechanismen des Verbands, nämlich ein großes Netzwerk und Versprechungen für die Mitglieder.

Dagmar Freitag im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 27.02.2016
    Portrait von Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages
    Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages (dpa / picture-alliance / Gregor Fischer)
    Nach Ansicht von Freitag ist Infantino trotzdem das kleinere Übel verglichen mit dem unterlegenen Kandidaten Scheich Salman aus Bahrain. Der FIFA-Kongress habe zwar ein Reformpaket verabschiedet, entscheidend für die Umsetzung sei nun aber die noch offene Position des Generalsekretärs, meinte die SPD-Politikerin. Denn der sei eigentlich der neue starke Mann. Die geplanten Änderungen als solche seien vernünftig und dringend notwendig, damit die Organisation weiter bestehen könne. Infantino hatte nach seiner Wahl erklärt, er wolle den guten Ruf des Weltverbandes wieder herstellen und ein neue Ära einläuten.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Gianni Infantino ist neuer Präsident der FIFA! Darüber möchte ich nun sprechen mit Dagmar Freitag, sie sitzt für die SPD im Bundestag und ist Vorsitzende des Sportausschusses. Guten Morgen, Frau Freitag!
    Dagmar Freitag: Guten Morgen, Frau Büüsker!
    Büüsker: Frau Freitag, immerhin hat sich die FIFA mit Scheich Salman nicht noch ein handfestes Menschenrechtsproblem ans Bein gebunden! Also alles in allem eine gute Entscheidung, die da gestern getroffen wurde?
    "Beide stammen aus dem alten System"
    Freitag: Sagen wir mal: wahrscheinlich die bessere Entscheidung. Es war die Wahl zwischen zwei Kandidaten, die ja beide aus dem alten System stammen, und von daher kann man glaube ich nicht unbedingt von einer guten Wahl sprechen. Aber wenn ich mir die beiden verbliebenen Kandidaten, die wirklich Chancen hatten, anschaue, war es wahrscheinlich die bessere Wahl.
    Büüsker: Also ein bisschen die Wahl zwischen Pest oder Cholera?
    Freitag: Ja, das ist das geflügelte Wort, was in diesem Fall wohl auch eine gewisse Gültigkeit hat, ja.
    Büüsker: Was erwarten Sie sich jetzt von Gianni Infantino?
    Freitag: Ja, im Prinzip wird er ja kaum eine andere Chance haben, als das Reformpaket auch wirklich umzusetzen. Ich glaube, alles andere würde die FIFA endgültig in den Abgrund stürzen, wenn man nicht schon zu der Überzeugung gekommen ist, dass sie da schon längst liegt. Also, er wird darauf drängen müssen, dass dieses in Teilen ja durchaus ambitionierte Reformpaket umgesetzt wird. Aber die Frage wird natürlich auch sein: Wer wird sein neuer Generalsekretär? Denn der ist ja der eigentlich neue starke Mann dann.
    Büüsker: Aber Infantino war bisher nicht dafür bekannt, dass er unbedingt ein Reformer ist. Im Gegenteil, bislang hat er sich eigentlich immer gegen Reformen gestellt.
    "Er wird etwas ändern müssen"
    Freitag: Ja, natürlich, das ist eben das große Fragezeichen, das hinter seiner Person steht. Er war Generalsekretär unter Platini und das System Platini-Blatter war ja fast ein geschlossenes System, wenn man sich angeschaut hat, wie beide ihre Verbände geführt haben. Er wird etwas ändern müssen, ansonsten wird die FIFA in dieser Verfassung keine Chance haben zu bestehen. Da sind ja auch Staatsanwälte, insbesondere aus den Vereinigten Staaten, die ein Auge darauf haben.
    Büüsker: Sie haben jetzt eben das Reformpaket schon angesprochen, das gestern vergleichsweise schnell bei der ganzen Sache beschlossen wurde. Sind Sie von diesem Reformpaket überzeugt?
    Freitag: Von dem, was auf dem Papier steht, in weiten Teilen schon. Da stehen ja ausgesprochen vernünftige Dinge drin, die im internationalen Sport bisher eine, sagen wir mal, sehr untergeordnete Rolle gespielt haben. Ob das die Transparenz bei Gehältern ist oder der Integritätscheck für Funktionäre, das sind ja schon mal Dinge, die sich vernünftig anhören. Aber die Frage ist jetzt: Wer setzt sie wann um und vor allen Dingen wer kontrolliert die Umsetzung?
    Büüsker: Das Exekutivkomitee, das soll ja in Zukunft dann so eine Art Aufsichtsrat werden. Aber in den Reformplänen steht eigentlich gar nicht drin, was dann die konkreten Aufgaben sind. Sind diese Reformpläne nicht eigentlich wachsweich?
    Freitag: Ja, das wird sich zeigen müssen. Die Frage ist ja auch immer: Was machen diejenigen aus dem, was man ihnen vorgesetzt hat? Und da habe ich natürlich dann doch wieder Zweifel. Auch wenn das neue Council mehr Mitglieder umfassen wird, als das jetzige Exekutivkomitee, bleibt natürlich das Personal in weiten Teilen das, was aus dem System Blatter hervorgekommen ist. Und ob die Herrschaften jetzt verstanden haben, dass sich etwas ändern muss, da habe ich eben meine großen Zweifel. Und da werden wir natürlich auch mal darauf schauen, wie wird sich der Vertreter des deutschen Fußballs in diesen Gremien verhalten?
    Büüsker: Und was erwarten Sie da?
    "Deutscher Vertreter muss drängen"
    Freitag: Ja, ich erwarte schon, dass ein deutscher Vertreter massiv darauf drängt, dass Dinge umgesetzt werden, die überlebenswichtig für diesen Verband sind. Ich bleibe dabei, die FIFA wird sonst keine Chance haben. Ich glaube, die amerikanischen Staatsanwälte und Ermittler wie möglicherweise auch die Schweizer werden da wenig Pardon kennen.
    Büüsker: Aber realistisch betrachtet: Kann denn ein deutscher Vertreter da überhaupt irgendetwas ausrichten?
    Freitag: Nein, natürlich nicht. Aber dafür lässt man sich in bestimmte Gremien wählen, dass man Interessen vertritt, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar sind. Das wäre zumindest meine Erwartung an den Vertreter meines Landes.
    Büüsker: Infantino war ja jetzt bei dieser Wahl nicht unbedingt der Favorit, hat sich dann aber mit großen Versprechungen an die Wählenden gewandt, unter anderem auch mit dem Versprechen für mehr Geld. Das klingt jetzt wieder ziemlich nach Wahlgeschenken im Stile einer korrupten Organisation!
    Freitag: Ja, das sind die üblichen Mechanismen im internationalen Sport. So ähnlich werden Sie auch in anderen Verbänden dann zum Präsidenten eines internationalen Verbandes. Also, von daher würde ich erst mal sagen: Nichts Neues! Damit sichert man sich natürlich gerade bei diesem Prinzip "one country, one vote" – also, egal wie klein das Land ist, es hat die gleiche Stimme wie ein starker, zum Beispiel wie der mitgliederstärkste Fußballverband der Welt, nämlich Deutschland –, man hat also genau eine Stimme, und dann ist es ein Leichtes, sich solche Stimmen zu sichern, ja.
    Büüsker: Das heißt, internationale Sportverbände neigen zur Korruption und das ist auch so und das bleibt auch so?
    Freitag: Ja, die Frage wird sein, ob es auf Dauer so bleiben kann. Schauen Sie sich die Turbulenzen im internationalen Leichtathletikverband an: Das sind zwar jetzt teilweise andere Vorwürfe, die in Richtung Doping gehen, aber natürlich auch Korruption. Es werden sich Dinge ändern müssen, sonst werden die langfristig keinen Bestand haben können. Zumindest nicht in dem bestehenden System.
    Büüsker: Aber kann man denn in einem Verband wie der FIFA jetzt überhaupt etwas werden, ohne auf die Interessen der Wählenden einzugehen, also ohne ihnen auch entgegenzukommen – bis zur Schwelle der Korruption hin?
    "Über Jahre Netzwerke aufgebaut"
    Freitag: Ja, da können Sie vor allen Dingen nichts werden, wenn Sie nicht schon ein jahrelanges Netzwerk aufgebaut haben. Deshalb der Ruf nach jemandem von außen! Der hört sich ja ganz hervorragend an, dass jemand von außen kommt, der unbelastet ist. Nur, jemand, der von außen kommt, hat natürlich nicht diese Strippenzieher hinter sich, die Sie unweigerlich brauchen, um international erfolgreich zu sein. Und deshalb ist der Ruf nach einem starken Mann, einer starken Frau meinetwegen auch von außen völlig illusorisch. Also, das ist genau das alte System, man muss über Jahre sich seine Netzwerke aufgebaut haben und letztlich auch die Mechanismen nutzen, die in der Vergangenheit immer von Erfolg gekrönt waren, nämlich Versprechungen machen. Und das ist in der Regel Geld.
    Büüsker: Okay, Frau Freitag, dann lassen Sie uns das Ganze vielleicht ein bisschen konstruktiv angehen und schauen: Wie könnte sich das tatsächlich ändern? Weil, alles, was Sie jetzt gesagt haben, klingt für mich sehr destruktiv, sehr in eine Richtung gehend, sehr so, als könne aus der FIFA gar nichts mehr werden.
    Freitag: Na ja, ich habe ja zu Beginn gesagt: Man wird schon sehen müssen, wer wird neuer Generalsekretär und ist da jemand im Hauptamt dann, der vielleicht wirklich bereit ist, diese Dinge umzusetzen? Wenn das umgesetzt wird, was im Reformpaket steht, wäre das ja durchaus ein vernünftiger Weg.
    Büüsker: Muss da vielleicht auch die Politik ein bisschen gegensteuern?
    Freitag: Na ja, die Politik hat vergleichsweise wenig Einfluss auf das, was internationale Sportverbände entscheiden. Das hat man in allen Bereichen gesehen und vom Prinzip ist das ja auch erst mal gut. Ich meine, Politik hat ihren eigenen Bereich, für den sie zuständig ist. Wir sind zum Beispiel der Gesetzgeber in Deutschland als Parlamentarier, da muss man nicht zwingend Einfluss darauf haben, was andere Verbände machen. Aber man kann natürlich Forderungen stellen. Denn es gibt keine strikte Trennung zwischen Sport und Politik. Politik kommt ja immer wieder ins Spiel, wenn zum Beispiel internationale Veranstaltungen vergeben werden, und da kann man natürlich schon formulieren, was man erwartet. Und ich sage noch mal: Ich erwarte, dass sich Verbände an rechtsstaatliche Prinzipien und Gesetze halten. National wie international.
    Büüsker: Und letztlich wird Spitzensport ja auch in vielen Bereichen vom Staat gefördert.
    Freitag: Ja, im Falle der FIFA jetzt natürlich nicht, aber natürlich haben Sie recht, dass viele große Verbände national – und das ist nicht nur in Deutschland so – letztlich von den Zahlungen des Steuerzahlers abhängen. Und da finde ich es nur recht und billig, wenn Politik auch entsprechende Forderungen formuliert.
    Büüsker: Sagt Dagmar Freitag. Sie sitzt für die SPD im Bundestag und ist Vorsitzende des Sportausschusses. Vielen Dank, Frau Freitag!
    Freitag: Ja, sehr gerne, schönen Tag noch!
    Büüsker: Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.