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Neuer Freiburger Oberbürgermeister
Auf den Paukenschlag folgt der Faustschlag

Freiburg war die erste deutsche Großstadt mit grünem Bürgermeister. 16 Jahre stand Dieter Salomon an der Spitze der Stadt. Nun wird er von einem politischen Newcomer ohne Parteibuch abgelöst: Martin Horn, 33 Jahre alt. Dessen Triumph bei der Wahl wurde allerdings von einem Angriff auf ihn überschattet.

Von Thomas Wagner  | 07.05.2018
    Horn steht vor einer Wand vor einem Filmplakat, hält sich ein Handtuch mit dem Eis an die Wange und blickt ernst in die Kamera. An Kragen und Hals ist Blut zu sehen.
    06.05.2018, Baden-Württemberg, Freiburg: Der neu gewählte Oberbürgermeister Martin Horn (parteilos) geht nach einer Attacke zu einem Rettungswagen und hält sich einen Eisbeutel an das Gesicht. (Patrick Seeger / dpa)
    "Wir haben den ersten Bezirk ausgezählt. Hier kommt Martin Horn auf 50 Prozent, Dieter Salomon 29 Prozent…"
    Auf den Paukenschlag folgt der Faustschlag. Der Paukenschlag: Martin Horn, bis vor Kurzem noch ein politischer Nobody in Südbaden, schafft mit 44 Prozent der Stimmen einen überwältigenden Sieg bei der Oberbürgermeisterwahl in Freiburg und drängt damit Dieter Salomon aus dem Amt, der dort vor 16 Jahren zum ersten grünen Oberbürgermeister einer Großstadt gewählt worden war.
    Tätlicher Angriff auf Martin Horn
    Den Faustschlag kassiert Martin Horn nur Stunden später auf einer Wahlparty: Ein, wie die Polizei mitteilte, 54-jähriger, offenbar geistig verwirrter Mann attackierte den frischgewählten Kandidaten, schlug ihm dabei einen Zahn aus; Horn musste erst mal ins Krankenhaus. Der noch amtierende Grünen-OB Dieter Salomon war dann auch einer der ersten, der diesen Schlag ins Gesicht seines politischen Widersachers verurteilte. Dessen Wahlsieg allerdings war für Dieter Salomon selbst der größte politische Schlag ins Gesicht in seiner jahrzehntelangen politischen Laufbahn als Grünen-Politiker:
    "Als ich vor einem Jahr meine nochmalige Kandidatur erklärt habe, habe ich gesagt: Es wird vor allem darauf ankommen, ob die Menschen nach 16 Jahren mein Gesicht noch sehen können. Und das können sie offensichtlich nicht. Und deshalb gibt es jetzt einen neuen Oberbürgermeister."
    Wohnungsmarkt entscheidendes Thema
    Und zwar Martin Horn, der nun zwar mit gebrochener Nase, aber gleichwohl überglücklich über seinen Wahlsieg, seine Zuhörer wissen lässt:
    "Ich bin einfach platt. Ich bin einfach nur total dankbar."
    Martin Horn, gerade mal 33 Jahre alt, wirkt mit Anzug und Krawatte auf der Freiburger Rathausbühne wie ein Einser-Abiturient: Das "Polit-Greenhorn", das den Grünen-Politprofi Salomon in der grün geprägten Stadt Freiburg aus dem Rennen geschlagen hat. Doch das hat Gründe:
    "Der eine Punkt ist die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt. Wenn man sich die letzten zehn Jahre anschaut mit der Entwicklung der Mietpreise. Und der Salomon war nicht in der Lage, eine Politik zu machen, die diesen Wohnungsmarkt vernünftig entwickelt hat. Und der persönliche Hauptgrund ist, dass Salomon sehr selbstherrlich rüberkam, schlecht kommuniziert hat."
    "Man ist einfach nicht mehr zufrieden, was da läuft, der Wohnungsbau und überall. Und da wollen wir mal was anderes haben."
    Der Spagat zwischen ökologischen und sozialen Fragen
    Der Grünen-OB Salomon habe zu wenig Wohnungen gebaut, sagen die einen. Der Grüne OB Salomon habe viel zu viel gebaut, dafür sogar Bäume, Biotope und Kleingärten geopfert, sagen die anderen. Grüne-Idealvorstellungen hier, Sachzwänge dort – und mitten drin: Der Grüne OB im politischen Dauerspagat. Nach Meinung von Kerstin Andreae, Bundestagsabgeordnete der Grünen aus Freiburg, ging es dann bei der Wahl auch darum, "einen Interessenskonflikt zwischen ökologischen und sozialen Fragestellungen auszuhalten. Auf der einen Seite das Interesse, nicht mehr Flächen zu verbrauchen und auf der anderen Seite das Interesse nach neuen Wohnungen."
    Altmodischer und uninspirierter Wahlkampf
    Hinzu kommen Unterschiede in der Wahlkampfführung: Hier der Verwaltungsmann Dieter Salomon, 57, dort der jugendlich wirkende Digital Native Martin Horn, 33:
    "Vor allem der Wahlkampf des Amtsinhabers war wirklich sehr schlecht, altmodisch, uninspiriert. Und der Herausforderer hat auf Social Media, im Internet, bedient, und hat sich in einer unglaublich kurzen Zeit so bekannt machen können."
    So die Einschätzung von Udo Mauch, bei der "Badischen Zeitung" Leiter der Stadtredaktion Freiburg.Und dann gibt es da noch einen wichtigen Punkt:
    "Ich bin parteilos. Ich habe in meinem Leben noch nie ein Parteibuch besessen."
    So der Wahlgewinner Martin Horn über Gründe für den Sieg von Martin Horn. Ist ihm möglicherweise ein gewisser Parteien-Frust zugutegekommen, nachdem ja derzeit in der grün-schwarzen Regierungskoalition in Baden-Württemberg derzeit mehr gestritten den regiert wird? Dort geben sich die Grünen-Regierungsmitglieder mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann an der Spitze ohnehin viel zu bürgerlich und wertkonservativ, so wie Grünen-Ob Salomon die vergangenen Jahre in Freiburg; immerhin wurde der im Wahlkampf von der CDU unterstützt. Für Michael Wehner von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg stellt sich daher die Frage nicht nur im Hinblick auf das Freiburger Wahlergebnis:
    "Wo bleibt das ökologische Alleinstellungsmerkmal? Man muss auch, glaube ich, die ökologischen Themen neu bedenken, wie man die Wählerinnen und Wählern attraktiv machen kann."