Freitag, 29. März 2024

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Neuer Freiwilligendienst der Bundeswehr
„Heimatschutz – das ist ein Kampfbegriff der extremen Rechten“

Mit Verpflichtung könne man keine Leute überzeugen. Die Bundesverteidigungsministerin versuche, mit ihrem Vorschlag andere Probleme in der Bundeswehr zu kaschieren, sagte Georg Kurz im Dlf. Der Bundessprecher der Grünen Jugend kritisierte zudem das Wording: Heimatschutz sei ein Kampfbegriff der extremen Rechten.

Georg Kurz im Gespräch mit Jonas Reese | 23.07.2020
23.07.2020, Berlin: Annegret Kramp-Karrenbauer (M, CDU), Verteidigungsministerin, stellt zusammen mit Peter Tauber (l, CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, und Generalleutnant Markus Laubenthal, stellvertretender Generalinspekteur der Bundeswehr, bei einer Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung das Konzept für den neuen Freiwilligen Wehrdienst Heimatschutz vor. Unter dem Motto "Dein Jahr für Deutschland" gibt es ab 2021 ein ergänzendes Angebot zum schon bekannten allgemeinen Freiwilligen Wehrdienst. Vorgesehen sind sechs Monate militärische Ausbildung mit einer anschließenden sogenannten "Grundbeorderung" von sechs Jahren. In diesem Zeitraum sollen weitere sechs Monate Reservedienst flexibel in Übungen geleistet werden, möglichst in der Region der Wehrdienstleistenden. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa | Verwendung weltweit
Kramp-Karrenbauer stellt "Dein Jahr für Deutschland" vor (Picture Alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Dein Jahr für Deutschland" – die Verteidigungsministerin stellt einen neuen Freiwilligendienst der Bundeswehr vor und befeuert damit auch die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht. Georg Kurz ist 26 Jahre alt und studiert Chemie. Mit Verpflichtung könne man keine Leute überzeugen, sagte der Bundessprecher der Grünen Jugend im Dlf. Es sei das Wesen von Demokratie, dass Menschen über ihre eigenen Lebensverhältnisse mitbestimmen können. Doch für die Mitbestimmung von jungen Menschen in dieser Gesellschaft sehe es schlecht aus. Kurz kritisierte zudem das Wording der Kampagen: "Ein Jahr für Deutschland, und dann Heimatschutz, das ist ein Kampfbegriff der extremen Rechten. Da denke ich sofort an den Thüringer Heimatschutz mit dem NSU". so Kurz.
Jonas Reese: Warum haben Sie nach dem Abi keinen Freiwilligendienst absolviert?
Georg Kurz: Ich glaube, es stand für mich eigentlich nicht so richtig zur Debatte, weil ich nach dem Abi der Meinung war zu wissen, was ich machen will. Chemie fand ich immer interessant und wollte es einfach schnell studieren und fand es einfach spannend, damit anzufangen.
"Das muss den Menschen selbst überlassen sein"
Reese: Da ist Ihnen aber vielleicht sogar was entgangen. Ich habe eine Statistik gefunden aus dem Jahr 2018 von Splendid Research. Da sagen zwei Drittel der Befragten, dass ein Freiwilligendienst die Menschen verantwortungsbewusster macht, mehr Respekt vor dem Leben vermittelt, wertvolle Fähigkeiten vermittelt, und dass man auch soziale Jobs dadurch mehr schätzt. Würden Sie das mit dem Wissen jetzt vielleicht doch nachholen?
Kurz: Ich glaube, für mich war es so die richtige Entscheidung. Ich glaube, das ist natürlich supercool, wenn Leute das machen wollen, und ich glaube schon, dass das total viel bringen kann. Nur, das muss den Menschen selbst überlassen sein, dass man zu dem Zeitpunkt in seinem Leben, wo das für einen selbst gut passt, und in der Form, in der das für einen gut passt, das machen kann. Das muss ja nicht nur so ein Freiwilligendienst sein, wie der da vorgeschrieben wird.
"So funktioniert Demokratie nicht"
Reese: Aber warum kann man nicht jemanden dazu verpflichten, etwas Gutes zu tun?
Kurz: Ich glaube, da kommt ein bisschen diese Denke durch, wie das ältere Generationen nun mal öfter leider haben, zu denken, okay, wir haben euch großgezogen, wir haben viel gearbeitet, jetzt sollt ihr auch mal was Ordentliches leisten, statt hier dauernd nur zu demonstrieren, zu sagen, was euch alles nicht passt. So funktioniert aber Demokratie nicht.
Berlin: Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Verteidigungsministerin, stellt bei einer Pressekonferenz im Bundesministerium der Verteidigung das Konzept für den neuen Freiwilligen Wehrdienst Heimatschutz vor.
Verteidigungsministerin stellt Pläne zum neuen Freiwilligendienst vor
Jedes Jahr sollen 1.000 Frauen und Männer den sogenannten Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz antreten. Die Bundeswehr verspreche sich davon mehr Reservisten für einen Einsatz im Heimatschutz.
Reese: Ich glaube, bei der Debatte geht es gar nicht so sehr um die Leistung, sondern dass so ein Dienst möglicherweise den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern könnte. Dagegen ist doch eigentlich nichts zu sagen.
Kurz: Natürlich ist dagegen nichts zu sagen. Wer das machen will – wie gesagt, viel Freude dabei, das ist für viele eine gute Sache. Das Entscheidende ist diese Freiwilligkeit. Das muss Menschen selbst überlassen sein, über ihr Leben selbst zu bestimmen und über das, was sie mit ihrer Zeit anfangen und wie sie ihr eigenes Engagement am besten einbringen wollen. Ich glaube, dass keine Gesellschaft langfristig davon profitiert, wenn man Menschen dazu zwingt, sich auf exakt die oder jene Art einzubringen. Ehrlich gesagt steht meine Generation gerade vor einer Situation, dass uns die Zukunft weggefeuert wird als gäbe es kein Morgen. Für mich sind ganz viele gesellschaftliche Fragen, die gerade verhandelt werden, einfach existenzielle Fragen, die über meine Zukunft bestimmen, und da will ich selbst drüber mitentscheiden können und mich selbst auf die Art einbringen in die Gesellschaft, wie ich das für richtig halte zu dem Zeitpunkt, und nicht gezwungen werden, dann ein Jahr lang auf irgendwas festzusitzen, wenn ich eigentlich ganz andere Pläne habe. Wer studieren will und da seine Pläne verwirklichen will, der soll das machen dürfen in einer freien Gesellschaft. Das ist doch absurd zu sagen, nein, Du darfst das erst nächstes Jahr machen, Du musst jetzt hier noch ein Jahr lang irgendwas tun. Wer genau das machen will, wer sich irgendwie sozial einbringen will oder sich in irgendeinem ökologischen Freiwilligenjahr engagieren will, der soll das machen, und wer nichts davon machen will, sondern direkt eine Ausbildung anfangen oder sich politisch einbringen, der soll das machen. Das ist doch das Wesen von einer freien Gesellschaft, dass man Menschen nicht dazu zwingt, da ein Jahr lang irgendwo zu fristen.
"Mit Verpflichtung kann man keine Leute überzeugen"
Reese: Das schreibt man ja keinem vor, irgendwo zu fristen, sondern die Bandbreite haben Sie ja auch genannt. Es gibt ein soziales Jahr, es gibt ein ökologisches Jahr. Das müsste Sie ja gerade als Grünen-Politiker eigentlich schon überzeugen.
Kurz: Ich glaube nicht, dass man mit Verpflichtungen Leute von Dingen überzeugen kann. Ich glaube, die Chance besteht darin, Menschen frei bestimmen zu lassen über ihre eigenen Lebensverhältnisse. Wenn das eine gute Sache ist, von der viele Leute profitieren, dann werden das ja sowieso viele Menschen freiwillig machen. Gerade von AKK kam so ein Vorschlag ja schon immer wieder und damit wird versucht, andere Probleme zu kaschieren. Es gab ja schon früher diesen Vorschlag, Leute dazu zu verpflichten, beispielsweise ein Jahr in der Pflege zu verbringen, was ja der Tatsache geschuldet ist, dass wir einen extremen Pflegenotstand haben, der nicht behoben wird dadurch, dass man Leute auch noch verpflichtet, das umsonst zu machen, sondern da muss man den ganzen Pflegesektor komplett neu organisieren. Auch jetzt der Vorschlag in Bezug auf die Bundeswehr ist ja eine Ablenkung von den massiven Problemen in der Bundeswehr, die ja nicht behoben werden durch so einen Freiwilligendienst.
"Heimatschutz – das ist ein Kampfbergriff der extremen Rechten"
Reese: Jetzt hat die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl von der SPD, vorgeschlagen, die Wehrpflicht wieder einzuführen, auch mit dem Hintergedanken, gerade diese Probleme bei der Bundeswehr zu beheben, die Sie angesprochen haben, nämlich den Rechtsextremismus. Wie finden Sie diese Idee? Kann die aufgehen?
Kurz: Das geht in die völlig falsche Richtung. Wir haben wie gesagt massive Probleme in der Bundeswehr mit rechten Netzwerken. Daran ändert so ein Freiwilligendienst überhaupt nichts. Ich glaube, ganz im Gegenteil. Der hat massives Potenzial, neue Probleme zu schaffen, wenn man sich anschaut, wie dafür gerade geworben wird, wie für die Bundeswehr generell geworben wird, mit Ballervideos, wo Leute Türen aufballern und Panzer fahren, auch das Wording jetzt für diesen Freiwilligendienst, ein Jahr für Deutschland, und dann Heimatschutz, das ist ein Kampfbegriff der extremen Rechten. Da denke ich sofort an den Thüringer Heimatschutz mit dem NSU. Wen spricht denn so was an? Wer geht denn da zur Bundeswehr? Da züchtet man sich ja gleich die nächsten neuen Probleme wieder heran. Ich habe, ehrlich gesagt, den Verdacht, dass all diese Vorschläge gemacht werden in dem Wissen, dass die so nicht funktionieren, dass die Wehrbeauftragte und auch die Verteidigungsministerin ganz genau wissen, dass das diese Probleme, die bestehen, ja gar nicht lösen kann, sondern es geht eigentlich um was anderes. Wir haben massive Skandale gerade ohne Ende. Beim KSK fehlen immer noch Zehntausende Schuss Munition und 62 Kilo Sprengstoff. Wir haben rechte Netzwerke bei den Reservisten, die Todeslisten anlegen. Wir haben Prepper, wir haben Nordkreuz. Die Bundeswehr steht in der Kritik wie lange nicht und da ist einfach gerade jedes Mittel recht, von genau diesen Missständen abzulenken und dann zum Beispiel über den Bundesfreiwilligendienst zu debattieren und dann darüber zu reden, ob man nicht vielleicht das Problem auf dem Rücken von jungen Leuten austragen könnte, statt einfach mal die Probleme, die es in der Truppe ja gibt, die massiv sind, da anzugehen.
Bundeswehrsoldaten der Eliteeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) trainieren am in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) den Häuserkampf und eine Geiselbefreiung
Wie groß ist der Rechtsextremismus im KSK?
Nach einer Kette von rechtsextremen Vorfällen im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eine Reform der Einheit angekündigt. Um welche Fälle geht es, was sind die Pläne von Kramp-Karrenbauer und wie werden sie bewertet? Ein Überblick.
"Wir brauchen Raum für Mitgestaltung und Teilhabe an der Gesellschaft"
Reese: Die Verteidigungsministerin sagt, sie hat diesen neuen Dienst eingeführt, um den Zusammenhalt in der Gesellschaft zu stärken. Wenn wir da noch mal bleiben – könnte das nicht aber auch wirklich sinnvoll sein? Sie haben jetzt gesagt, für Sie wäre das nichts, aber vielleicht ist es ja für einige Leute doch etwas, die sich aber vielleicht nicht trauen oder die das vielleicht auch gar nicht mitbekommen haben, dass es freiwillige Dienste gibt, dass sie verpflichtet werden. Ich denke jetzt vielleicht auch gerade an die Ausschreitungen in Stuttgart oder in Frankfurt, wo es ja doch viele junge Leute waren, die da über die Stränge geschlagen haben und die vielleicht so eine solide Grundausbildung bei der Bundeswehr doch ein bisschen erden würde.
Kurz: Ich halte das für einen wahnsinnig gefährlichen Gedanken. Erst mal möchte ich sagen, diese Vorstellung an sich ist ja schon absurd. Meine Generation kämpft gerade so entschlossen wie vielleicht nie zuvor gegen die Klimakrise, gegen Rassismus, gegen Ungleichheiten in der Gesellschaft, für eine lebenswerte Zukunft. Ich glaube, wir brauchen Raum dafür, Möglichkeiten zur Mitbestimmung, Teilhabe an dieser Gesellschaft. Damit ist der Gesellschaft mehr geholfen, als uns im Tarnanzug irgendwo durch den Schlamm kriechen zu lassen und uns da ruhigzustellen und zu sagen, ihr müsst einfach mal ein bisschen mehr herumballern und Befehlen gehorchen. Das ist doch irre!
"Fände es relevant, junge Leute zu fragen"
Reese: Mit der Position sind Sie aber in einer Minderheit, Herr Kurz. Das ZDF-Politbarometer aus dem Juli 2020 hat bescheinigt, dass 77 Prozent der deutschen Bevölkerung für eine Einführung einer Dienstpflicht ist.
Kurz: Ja, finde ich ein bisschen schockierend, ehrlich gesagt. Ich fände aber durchaus relevant, da junge Menschen zu fragen. Es ist das Wesen von Demokratie, dass Menschen über ihre eigenen Lebensverhältnisse mitbestimmen können. Ich habe es gerade schon angesprochen: Über die Mitbestimmung von jungen Menschen in dieser Gesellschaft sieht es schlecht aus, ehrlich gesagt. Ich kann den Drang verstehen, wenn ältere Generationen davon genervt sind, dass wir Mitbestimmung einfordern und dass wir diese Gesellschaft mitverändern wollen und mit den bisherigen Verhältnissen nicht einverstanden sind, uns da ein bisschen ruhigstellen zu wollen, aber das wird nicht funktionieren und das werden wir nicht mit uns machen lassen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.