Donnerstag, 25. April 2024

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Neuer Intendant René Pollesch
Kein trojanisches Pferd der alten Volksbühne

Hierarchiefrei und familiär möchte René Pollesch das gebeutelte Berliner Theater führen - Teamarbeit statt Konzepte von oben. Seine künstlerische Arbeitsweise der stetigen Entwicklung will der 56-Jährige auf seine Intendanz übertragen. Dabei setzt er auch auf bekannte Schauspieler der Castorf-Ära.

Von Barbara Behrendt | 12.06.2019
René Pollesch bei einer Probe zu "Tal der fliegenden Messer" 2008
Die Volksbühne ist für René Pollesch vertrautes Terrain - hier 2008 bei einer Probe zu "Tal der fliegenden Messer" (imago images / Braun / DRAMA-Berlin.de )
Einen sympathischeren Teamchef als René Pollesch kann man sich kaum vorstellen. Allen Marketingkonzepten, allen autoritären Masterplänen erteilt er heute eine Absage; neue Corporate Identity und PR-Strategien interessieren ihn nicht.
Sehr menschlich und unverstellt sitzt er neben Kultursenator Klaus Lederer, liest aus seinem Bewerbungsschreiben für die Leitung der Volksbühne vor und beschwört seine ganz eigene, bestens erprobte Art des Autorentheaters, die er als Arbeitspraxis auf die Volksbühne übertragen möchte: Hier trifft nicht der Regisseur im Alleingang die Entscheidungen, hier dienen Spieler nicht als Befehlsempfänger; vielmehr entwickeln regieführende Autoren gemeinsam mit den Spielern ihre künstlerischen Arbeiten. Auch Bühnen spielen eine tragende Rolle: Erster Autor, so Pollesch, sei immer der Raumgestalter mit seinem Entwurf. Der künstlerische Prozess ist bei Pollesch immer ein kollektiver.
Kein Manager-Intendant, kein Autokrat
Der designierte Intendant stellt demnach kein ästhetisches Konzept für die Volksbühne vor - er schlägt seine eigene Arbeitspraxis als Erneuerungsprogramm für dieses Theater vor. Sie sei keine Theorie, kein Manifest, kein Spielzeitmotto, das es auszubuchstabieren gilt, sondern eine gemeinsam zu erprobende Praxis.
An der Volksbühne wird in Zukunft also nicht der Typus des Manager-Intendanten agieren, auch nicht der des Autokraten. Pollesch leitet das Haus als Künstler, als Autor, der aufs Theater als eine große Patchwork-Familie setzt. Seine "Brothers and Sisters in Crime", wie er sein Schauspielteam nennt, bringt er dafür natürlich mit: Martin Wuttke wird dabei sein, Kathi Angerer, Fabian Hinrichs. Sophie Rois kommt ein Jahr später.
Alte Bekannte
Das sind alte Bekannte. Ist die Entscheidung für Pollesch also ein Statement für die Volksbühne der Castorf-Ära? Pollesch selbst verneint das: Er wolle nicht als Trojanisches Pferd dieser alten Volksbühne fungieren - er schleuse nicht sämtliche assoziierten Künstler der Castorf-Ära ein, keinen Fritsch und erst einmal auch keinen Marthaler.
Dafür möchte er eng mit den Extrem-Theatermachern Ida Müller und Vegard Vinge arbeiten, Müller wird sogar Ausstattungsleiterin unter dem neuen Intendanten. Auch zwei Choreografinnen sind an Bord: Constanza Macras, die schon jetzt am Haus arbeitet, und Florentina Holzinger, der junge Shootingstar der Tanzszene.
Eine erwartbare und folgerichtige Entscheidung
"Weiblicher, diverser, jünger", wie es Lederer vor einem Jahr beim Kongress über die Zukunft der Volksbühne angekündigt hatte, wird das Haus trotzdem nicht gerade. René Pollesch zum Intendanten zu machen, ist weniger ein "Coup" des Kultursenators, wie in den Medien berichtet wurde, sondern eine erwartbare und zugleich folgerichtige Entscheidung: Pollesch ist mit seiner riesigen Fangemeinde in Berlin als Autor und Regisseur ein Erfolgsgarant - zudem kann er mit seinen Volksbühnen-Wurzeln jene Gemüter beruhigen, die nach dem Desaster um den Kurzzeitintendanten Chris Dercon leicht wieder auf den Barrikaden wären.
Apropos Barrikaden: Sogar die damaligen Hausbesetzer möchte Pollesch ins Programm einbeziehen. Man spürt jedenfalls: Hier brennt ein Künstler dafür, Ermöglicher zu sein, ein Haus für andere Künstler bereitzustellen und hierarchiefrei und familiär Theater zu machen. Manches wirkt noch wie ein schöner Traum, vieles muss noch konkreter werden. Und dann wird dieses Haus auch in der schnöden Realität der Auslastungszahlen und Kartenpreise Bestand haben müssen.