Donnerstag, 18. April 2024

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Neuer Labour-Chef Keir Starmer
"Ein ernsthafter Politiker für ernsthafte Zeiten"

Keir Starmer ist neuer Labour-Chef. Der Nachfolger von Jeremy Corbyn wolle konstruktiv mit der Regierung zusammenarbeiten, sagte Dlf-Korrespondent Friedbert Meurer im Dlf. Man erhoffe man sich von ihm, dass er einen versöhnlichen Ton anschlage in der Partei, die tief zerspalten sei.

Friedbert Meurer im Gespräch mit Andreas Noll | 04.04.2020
Großaufnahme von Starmers Kopf, der spricht und konzentriert blickt. Im Hintergrund unscharf eine Rasenfläche.
Er werde versuchen, die tief zerspaltene Labour-Partei wieder zusammenzuführen: Keir Starmer (Aaron Chown/PA Wire/dpa)
Andreas Noll: Auf einen Sonderparteitag musste die Labour-Partei Corona-bedingt verzichten, stattdessen wurde das Ergebnis vor einer knappen Dreiviertelstunde ganz unspektakulär im Internet verkündet. Keir Starmer heißt der neue Labour-Parteichef und Nachfolger von Jeremy Corbyn, dem Mann also, der die Partei immerhin fünf Jahre geführt hatte, aber auch eine historische Schlappe bei den Unterhauswahlen im Dezember zu verantworten hatte und dann, nach längerem Zögern, seinen politischen Rückzug ankündigte. In London bin ich jetzt verbunden mit unserem Korrespondenten Friedbert Meurer. Herr Meurer, der neue Oppositionsführer heißt Keir Starmer, mit ihm hatten auch die Beobachter gerechnet. Wie hat Starmer auf die Wahl reagiert?
Friedbert Meurer: Mit einer vorbereiteten Rede, dazu war er nämlich wie die beiden anderen Kandidatinnen aufgefordert worden – ungewöhnliche Situation in ungewöhnlichen Zeiten, dass den Kandidaten zugemutet wurde, zwei Tage, bevor sie wussten, wie denn das Ergebnis ist, eine Rede aufzuzeichnen für den Fall, dass sie gewonnen haben. Bei Keir Starmer ist das also eingetreten, mit 56 Prozent in diesem Mitgliederentscheid ein überzeugender Sieg, und er sprach in dieser Rede, die es online zu hören und zu sehen gibt, von der Ehre seines Lebens.
Keir Starmer: It's the honour and the privilege of my life. It comes at a moment like none other in our lifetime. Public life has all but come to a standstill and we’re missing each other.
Meurer: Also er spricht davon, dass es eine Situation ist, wie wir sie noch nie hatten, das öffentliche Leben zum Stillstand gekommen, "wir vermissen uns". Damit hat er so das Thema in dieser Rede gesetzt. Es ging ganz um diese Extremsituation, in der sich jetzt auch Großbritannien befindet und in der Labour jetzt einen neuen Vorsitzenden gewählt hat.
"Keir Starmer steht für einen gemäßigteren linken Kurs"
Noll: Jeremy Corbyn galt als dezidierter Linker, der ganze Branchen verstaatlichen lassen wollte und für radikale Lösungen geworben hat. Wofür steht nun Keir Starmer?
Meurer: Keir Starmer steht insgesamt für einen gemäßigteren linken Kurs. Er sagt, dass er freundschaftlich verbunden ist mit Jeremy Corbyn, er war auch in seinem Schattenkabinett, hatte da eine wichtige Aufgabe, nämlich als brexitpolitischer Sprecher. Ich denken, die beiden werden jetzt auch miteinander geredet haben, Corbyn wird ihm gratuliert haben. Es fiel auf im Wahlkampf, der ja doch für einige Wochen stattgefunden hat innerparteilich, bevor die Krise jetzt ausbrach, da war von Keir Starmer immer zu hören, dass er den Kurs von Jeremy Corbyn fortsetzen will. Er hat sich beispielsweise verpflichtet, das Streikrecht in Großbritannien auszuweiten. Daran und an anderen Versprechungen wird ihn die Linke der Partei auch messen, aber auch die eher Rechten und Zentristen in der Labour-Partei haben ihn gewählt, und gerade ihn, weil sie doch hoffen, dass zwar ein Linkskurs fortgesetzt wird, aber doch auf eine Art und Weise, die die Partei zusammenbringt und Labour wieder wählbar macht.
Ein Portraitbild von Jeremy Corbyn
Abschied von Jeremy Corbyn - Labour wählt neuen Vorsitzenden
Unter der Führung von Jeremy Corbyn hat die britische Labour-Partei einen neuen Boom erlebt. Insbesondere bei jungen Wählern war er beliebt. Doch sein Umgang mit Antisemitismus in den eigenen Reihen und seine wankelmütige Brexit-Politik haben ihn viele Sympathien gekostet. Jetzt tritt er ab.
Noll: Jeremy Corbyn hatte gerade bei jungen Labour-Sympathisanten fast schon Kultstatus. Nun wissen wir angesichts des abgesagten Parteitags nicht, wie die Anhänger auf die Wahl reagiert haben, die Labour-Anhänger, aber auf welche Kreise kann sich Starmer besonders stützen?
Meurer: Er ist nominiert worden von den eher Zentristen in der Fraktion bei Labour, von den gemäßigten Gewerkschaften. Er wird versuchen, die Partei, die so tief zerspalten ist seit fünf Jahren mit der Wahl von Jeremy Corbyn – und das haben ihm doch einige in der Partei auch verübelt, Jeremy Corbyn –, dass er nicht vermocht hat, die Flügel wieder zusammenzubringen, sondern es war im Gegenteil davon die Rede, dass es eine Säuberungsaktion gegeben habe gegen alte Anhänger von Tony Blair. Das erhofft man sich jetzt von Keir Starmer, dass er doch einen anderen, versöhnlicheren Ton innerhalb der Partei einführen will.
Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Regierung
Noll: Krisenzeiten sind Zeiten der Exekutive, nun ist Premierminister Johnson gerade gesundheitlich angeschlagen, er befindet sich weiter Corona-bedingt mit Fieber in Selbstisolation. Kann und will die Opposition davon profitieren?
Meurer: Ich denke, wenn man diese acht Minuten, neun Minuten lange Rede gehört hat, dann lautet die Antwort eindeutig Ja. Keir Starmer präsentiert sich als ein ernsthafter Politiker für ernsthafte Zeiten. Jeremy Corbyn hat noch in den letzten Tagen Interviews gegeben und gesagt, lasst uns bloß nicht von Boris Johnson in die Falle locken und jetzt in eine entweder Regierung der nationalen Einheit hineinziehen oder uns irgendwie zu einer Zusammenarbeit mit ihm verlocken lassen, er will uns nur den Schwarzen Peter mit zuschieben. Und da hat Keir Starmer glatt in seiner Rede das Gegenteil gesagt: Er sei zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereit.
Keir Starmer: That's why in the national interest the Labour Party will play its full part. Under my leadership we will engage constructively with the government.
Meurer: Also man will konstruktiv mit der Regierung zusammenarbeiten, kein Obstruktionskurs, der käme in dieser fatalen Situation mit 700 Toten am Tag – und es werden mehr werden – überhaupt nicht an, sondern die Bereitschaft, Verantwortung mit zu übernehmen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.