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Neuer US-Präsident
"Trump hat ein Paralleluniversum herbei halluziniert"

Als künftiger US-Präsident wird sich Donald Trump genauso sprunghaft verhalten wie im Wahlkampf, prognostiziert der Politikwissenschaftler Stephan Bierling. Trump lebe in einer eigenen Welt, in der er sich Fakten zurechtbiege. Sollte es hart auf hart kommen, werde er sich von seinen Positionen einfach wieder verabschieden.

Stephan Bierling im Gespräch mit Benedikt Schulz | 15.01.2017
    Donald Trump steht bei seiner ersten Pressekonferenz am 11.01.2017 im New Yorker Trump Tower mit erhobenem Zeigefinger vor mehreren US-Flaggen.
    Donald Trump bei seiner ersten Pressekonferenz am 11.01.2017 im New Yorker Trump Tower (AFP / Don Emmert)
    Benedikt Schulz: In wenigen Tagen wird aus president-elect Mr. President. Am 20. Januar ist Donald Trumps offizielle Amtseinführung und man kann sagen: die ganze Welt ist immer noch dabei, sich daran zu gewöhnen, dass es wirklich passieren wird. Und spätestens nach Trumps, vorsichtig ausgedrückt, exzentrischem Auftritt vor der Presse kann man wohl davon ausgehen, dass der wesentliche Maßstab für seine Politik, nach innen und nach außen, die eigene Person sein wird. Mit der wird man sich also auseinandersetzen müssen.
    Das wollen wir in den kommenden Minuten tun und fragen, wie sieht dieser künftige US-Präsident, der ja America First im Wahlkampf propagierte, wie sieht er die Welt – darüber habe gesprochen mit Stephan Bierling, Professor für Internationale Politik und transatlantische Beziehungen in Regensburg – und ich habe ihn gefragt: Müssen wir davon ausgehen, dass die US-Diplomatie in den kommenden Jahren mit 140-Zeichen-Botschaften wird auskommen müssen?
    Stephan Bierling: Leider müssen wir das. Trump verhält sich auch nach seiner Wahl und jetzt kurz vor der Amtseinführung, wie wir in der Pressekonferenz letzte Woche gesehen haben, genauso wie im Wahlkampf. Er ist unbeherrscht, er ist nachtragend, er ist aufbrausend, er verkürzt komplexe politische Probleme auf schnelle Formeln. Das ist, wie Trump funktioniert, und das wird sich auch in den nächsten vier Jahren wohl nicht ändern.
    Trump sieht sich als Zentrum des Universums
    Schulz: Welches Weltbild hat Donald Trump und wie blickt dieser Mann auf die Welt, deren mächtigster Mann er ja demnächst sein wird?
    Bierling: Das Weltbild von Trump besteht im Grunde aus Donald Trump. Er ist das Zentrum des Universums. Für sich reklamiert er überlegene Intelligenz. Er erklärt, dass er sich in alle politischen Probleme innerhalb von 90 Minuten einarbeiten kann, und alles wird um ihn kreisen. Sein ganzes Kabinett hat er danach ausgewählt, dass es keine konkurrierenden Machtzentren gibt. Alles sah sehr chaotisch aus in der Übergangszeit, in den letzten Monaten, seit er die Wahl gewonnen hat. Aber das ist durchaus in seinem Interesse, weil er dadurch im Mittelpunkt bleibt, der letzte Entscheider bleibt und alle sich nach ihm ausrichten müssen: die Medien, sein Kabinett, die Berater, die Opposition.
    Schulz: Und beim Thema Außenpolitik, wird die wirklich so abgeschottet isolationistisch sein, wie man das befürchten kann?
    Bierling: Das wissen wir wirklich nicht genau, weil man auf Trumps Aussagen nicht sehr viel geben kann. Er hat sich sehr oft widersprochen, im Wahlkampf, danach. Isolationismus war eigentlich gar kein Programm von ihm, sondern es war eher, wenn ich mit dem Ausland verhandele, dann will ich es aus einer Position der Stärke tun, dann soll Amerika zuerst kommen, und dann werde ich nur in Verträge, in Verhandlungen eintreten, wenn ich wirklich als Gewinner vom Platz gehe. Und er wird natürlich versuchen, amerikanische Interessen in all diesen Fragen sehr viel brutaler und offensiver durchzusetzen, als man das von den vergangenen Präsidenten gewohnt war.
    Außenpolitik mit Fragezeichen
    Schulz: Jetzt wird aber auch Donald Trump irgendwann merken, dass die Welt irgendwie kompliziert ist und dass Außenpolitik etwas ist, was man nicht unbedingt in 90 Minuten lernen und durchdringen kann, dass sich zum Beispiel der Nahost-Konflikt nicht mal eben mit einer Entscheidung des Präsidenten lösen lässt. Was kommt denn dann?
    Bierling: Auch das wissen wir nicht wirklich, weil er bisher kein Beratersystem aufgebaut hat, auf das wir uns zurückfallen lassen können, wo wir sagen, wenn Trump die Sache schon nicht in den Griff kriegt, dann sehen wir zumindest einen Außenminister, einen Sicherheitsberater, die von diesen Problemen Ahnung haben und ihm sozusagen Außenpolitik systematisch beibringen können. Aber er hat einen Außenminister ernannt mit Tillerson, der noch nie sich wirklich mit außenpolitischen Sachproblemen beschäftigt hat. Seine Anhörung letzte Woche vor dem Senat war ziemlich erbärmlich. Er hat einen Sicherheitsberater, der ein geschasster General ist, der im Grunde zu Verschwörungstheorien, antimuslimischen Tiraden neigt, ein katastrophaler Manager ist. Deshalb hat er auch seinen Job verloren unter Obama. Das heißt, wir haben in der zweiten Reihe auch niemand, von dem wir ausgehen können, dass er in die Bresche springt, die Trump dort reißt.
    Schulz: Aber wenn wir jetzt mit Rex Tillerson einen designierten Außenminister haben, der in einigen nicht unwichtigen Fällen von Trumps Linie abweicht, heißt das dann, dass wir vielleicht noch irgendwie eine Chance für eine Außenpolitik oder eine gestalterische Außenpolitik haben? Oder heißt das einfach, dass wir da jemanden haben, der gar keinen Einfluss haben wird?
    Bierling: Das wissen wir auch nicht, weil es völlig unklar ist, wie die Macht in dieser Administration verteilt wird. Tillerson hat keine Hausmacht. Er kommt aus der Wirtschaft. Er war ja Chef von ExxonMobil. Er ist auf das Goodwill von Trump angewiesen. Er ist nicht in der Bürokratie verankert. Es könnte sehr schnell passieren, dass er ein sehr schwacher Außenminister wird, zumal er mit vielen seiner Positionen auch im Kongress auf scharfen Widerstand stößt, etwa seine sehr russland- und putinfreundliche Politik.
    "Es zählt, was Trump meisterlich kann: Drama, Tweets, Durcheinander"
    Schulz: Vieles von dem, was Trump im Wahlkampf behauptet hat, war schlicht unwahr und wenn man so will strukturell irgendwie angelehnt an die Art und Weise, wie Verschwörungsmythen funktionieren. Und deren wesentliches Merkmal ist ja, dass sie ihre eigene Überprüfung per Definition ablehnen. Was ist da für ein Verhalten von einem Präsidenten oder für eine Politik zu erwarten, wenn Fakten an sich bewusst nicht Grundlage von Entscheidungen sind?
    Bierling: Trump hat sich ein neues Wahrheitssystem, ein Paralleluniversum herbeihalluziniert und er hat es geschafft, dass fast die Hälfte der Amerikaner das akzeptiert haben und sich darin wohlfühlen, und damit läuft er natürlich in eine Richtung, wie wir sie von Putin, wie wir sie zum Teil von Erdogan, wie wir sie von autoritären und vor allem rechtspopulistischen Politikern in Europa gewohnt sind. In dieser Welt wird er sich ganz wohl fühlen und die Fakten, die kann man sich schon irgendwie zurechtbiegen. Es ist gar nicht so sehr diese Lüge, die Trump immer wieder nachgewiesen wird, oder die postfaktische Welt, wie es jetzt so schön heißt, in der er lebt, sondern es ist die bewusste Kreierung einer anderen Realität und in dieser Realität zählt das, was Trump bisher meisterlich kann: das Drama, die Tweets, das Durcheinander. Solange er betont, er tut es für den durchschnittlichen Amerikaner, wird es wahrscheinlich gar nicht so sehr sein, dass ihn die Realität sehr schnell einholen kann.
    Schulz: Aber irgendwann, wenn Donald Trump nicht mehr nur Wahlkämpfer ist, sondern wirklich im Amt, in Charge ist, wird er doch mit der Realität, mit Fakten konfrontiert. Oder meinen Sie, er kann dann einfach so weitermachen?
    Bierling: Ich glaube nicht, dass er wirklich ein sehr gutes Verständnis von Realität hat. So wie er sich im Wahlkampf gegeben hat, lebt er in seiner eigenen Welt, die durch seine Allmachtsfantasien gekennzeichnet ist. Aber Sie haben natürlich Recht: Irgendwann wird deutlich werden, dass man Obamas Gesundheitsreform nicht einstampfen kann und gleichzeitig den Versicherungsschutz für 20 Millionen Menschen, die ihn unter Obama hinzugewonnen haben, aufrechterhalten kann. Das heißt, da wird es irgendwann Brüche geben, was bei Trump allerdings nicht unbedingt dazu führen wird, dass er sein Weltbild erschüttert sieht, weil er hat ja schon im Wahlkampf kuriose Wendungen hingelegt. Er hat keinerlei politische Ideologie. Das ist vielleicht in diesen Fragen ein Vorteil. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, Dinge nicht durchsetzbar sind, oder sie sich widersprechen, dann kann er sich von Positionen so einfach verabschieden, wie das ein Politiker, der über Jahre einen Track Record hat, etwas aufgebaut hat, worauf man sich verlassen kann, nicht tun können würde. Das ist vielleicht eine der kleinen Hoffnungen, dass Trump innerhalb vielleicht des ersten Jahres auf den Boden der Realität zurückgezogen wird.
    Schulz: Wenn wir aber so eine Sprunghaftigkeit in seinem Verhalten bis jetzt schon beobachten konnten, wird ihm das niemals jemand vorwerfen?
    Bierling: Es werden ihm natürlich die Demokraten vorwerfen. Es werden ihm die Medien vorwerfen. Es werden ihm die Analytiker vorwerfen. Aber deren Einfluss, haben wir ja schon gesehen im Wahlkampf, war überaus begrenzt. Das heißt, Trump mit den Argumenten zu schlagen und einnorden zu wollen, wie es schon im Wahlkampf versucht wurde, wird nicht funktionieren. Trump spielt außerhalb des normalen Regelsystems und außerhalb der, wie soll man sagen, Kausalitäten. Das hat er meisterlich nachgewiesen, dass er hier cleverer war, den Kern seiner Wähler besser gelesen hat als die rationalen Leute an Universitäten und Forschungsinstituten und in den journalistischen Schreibstuben. Er hat es geschafft, für diese Kernklientel eine parallele Realität zu kreieren, und die wird er aufrecht erhalten. Nicht umsonst bleibt er seinem Stil treu. Diese Nebelkerzen, die er wirft, dieses ganze Drama, das er inszeniert, diese große Seifenoper ist im Grunde auch deshalb notwendig, weil er an die Realität nicht wirklich ran will.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.