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Neuer Vorsitzender des Zentralrats der Juden
"Nicht nur Shoa und Trauer"

Der Zentralrat der Juden solle nicht nur als Institution wahrgenommen werden, die immer den Zeigefinger erhebe, sagte sein neuer Vorsitzender Josef Schuster im Deutschlandfunk. Er wolle in seinem Amt auch zeigen, dass jüdisches Leben nicht nur Shoa und Trauer bedeute.

Josef Schuster im Gespräch mit Peter Kapern | 01.12.2014
    Josef Schuster, neu gewählter Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland
    Josef Schuster, neu gewählter Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland (dpa / Arne Dedert)
    Die jüdische Kultur habe auch sehr viele fröhliche Elemente und sei tief in der deutschen Gesellschaft verwurzelt, sagte der neu gewählte Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, im DLF. Mit Blick auf sein neues Amt betonte er, er wäre sehr froh, wenn man von ihm in den nächsten vier Jahren möglichst wenig Mahnungen höre.
    Trotzdem dürfe man vor Diskriminierungen nicht die Augen verschließen. "Dort wo Antisemitismus zutage tritt, sollte man das auch klar benennen", betonte Schuster. Und das erwarte er auch von deutschen Institutionen. Zudem erhoffe er sich einen Dialog mit den muslimischen Verbänden über den Umgang mit Antisemitismus, der auch durch den Nahost-Konflikt geschürt werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Seit 2010, also vier Jahre lang, war Dieter Graumann der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Vier Jahre, in denen er manches bewegt hat, aber auch vier Jahre, in denen er immer wieder vor dem Ausufern des Antisemitismus in Deutschland warnen musste:
    Dieter Graumann: "Ich glaube, der Antisemitismus ist nicht neu, der war immer da. Er wird jetzt offener transportiert, offener auch mit Namen bekennen sich Menschen dazu. Wir haben alle gehofft, dass der Antisemitismus für immer in den Krematorien von Auschwitz, von Treblinka, von Majdanek verbrannt worden wäre, aber das ist einfach nicht so.
    Wir müssen uns nicht damit abfinden und dürfen uns auch nicht abfinden. Deshalb müssen wir immer wieder dagegen ankämpfen und uns auch nicht entmutigen lassen."
    Kapern: Dieter Graumann im Herbst 2012. - Der Zentralrat der Juden in Deutschland, das ist der Dachverband der jüdischen Gemeinden. Er bündelt 23 Landesverbände mit 108 Gemeinden und 101.000 Mitgliedern und an deren Spitze steht seit gestern ein neuer Präsident: Josef Schuster aus Würzburg. Guten Morgen!
    Josef Schuster: Guten Morgen.
    "Wir wollen nicht nur den Zeigefinger heben"
    Kapern: Herr Schuster, auch zu seinem Abschied hat ja Ihr Vorgänger Dieter Graumann noch einmal auf einen Sachverhalt hingewiesen, der jeden Chef des Zentralrats der Juden in Deutschland umtreiben muss. Wie in dem Interview-Auszug, den wir gerade gehört haben, hat er auch jetzt noch einmal darauf hingewiesen, dass der Antisemitismus in Deutschland immer offener zutage tritt. Wie werden Sie damit umgehen?
    Schuster: Ich denke, ich werde nicht viel anders umgehen und auch nicht viel anders umgehen können wie mein Amtsvorgänger.
    Ich glaube, es ist wichtig, hier nicht einfach die Augen zu verschließen, nicht zur Tagesordnung überzugehen, sondern da, wo Antisemitismus offen zutage tritt, dies auch klar zu benennen und auch hier das einzufordern von der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft, was wohl auch selbstverständlich sein sollte, sich hier auch offen dazu zu bekennen, gegen Antisemitismus, gegen Diskriminierungen.
    Kapern: Nun hat Ihr Vorgänger, Dieter Graumann, einmal gesagt, er wolle den Zentralrat - das hat er etwas flapsig formuliert - aus der Meckerecke herausführen. Ist das überhaupt ein machbares Vorhaben, oder steht einem solchen Vorhaben die Realität immer wieder im Weg?
    Schuster: Was Dieter Graumann meinte - und das deckt sich ebenfalls völlig mit meiner Auffassung - ist, dass es unser Ziel sein muss und soll, dass der Zentralrat nicht nur wahrgenommen wird als eine Institution, die immer den Zeigefinger erhebt, sondern ich möchte auch - und das ist mein großes Bestreben - zeigen, was jüdisches Leben bedeutet.
    Jüdisches Leben bedeutet eben nicht nur 1933 bis 1945, bedeutet nicht nur Schoa und Trauer, sondern jüdisches Leben, jüdische Kultur hat auch sehr viele fröhliche Elemente, hat auch viele positive kulturelle Elemente. Die auch möchte ich darlegen. Letztendlich: Ich habe gestern gesagt, meine größte Hoffnung ist, dass man in vier Jahren sagt, man hat eigentlich bezüglich Mahnung, bezüglich Meckerecke von Herrn Schuster wenig gehört. Ein bisschen fürchte ich allerdings, dass die Realität am Ende vielleicht doch anders aussehen könnte.
    Anitsemitische Haltungen werden "immer salonfähiger"
    Kapern: Zur Realität, zur jüngsten, gehört, dass der Antisemitismus offen zutage getreten ist bei den Demonstrationen gegen den Gazakrieg in Deutschland, wo antijüdische Parolen gerufen wurden, Synagogen angegriffen wurden. Die Urheber damals waren überwiegend muslimische Zuwanderer. Ist Antisemitismus in Deutschland heute überwiegend ein Antisemitismus mit Migrationshintergrund?
    Schuster: Nein, mit Sicherheit nicht. Wir sehen bei radikalisierten Muslimen sicherlich erhebliche antisemitische Tendenzen, eine vor Jahren kaum vorstellbare Allianz aus radikalisierten Muslimen auf der einen Seite, Links- und Rechtsextremen auf der anderen Seite, aber wir sehen auch klar immer wieder subtil antisemitische Äußerungen, antisemitische Haltungen mitten in der Gesellschaft, und auch hier erscheint es mir manches Mal, dass es immer salonfähiger wird, man wird doch endlich mal sagen dürfen, was man schon lange sagen wollte und sich nicht getraut hat zu sagen.
    Kapern: Woran machen Sie das fest, dass das immer offensichtlicher, immer massiver wird?
    Schuster: Sie merken es immer wieder auch bei Äußerungen, auch mit unterschriftlichen Äußerungen von Repräsentanten, die dann doch eine sehr kritische Haltung zu Judentum, zu Juden einnehmen, mitunter aber auch nicht nur zu Juden, sondern generell zu Minoritäten.
    Kapern: Charlotte Knobloch, die ja auch einmal Vorsitzende des Zentralrats war, hat anlässlich der Demonstrationen gegen den Gazakrieg, die dann diese antisemitische Note bekommen haben, den Juden in Deutschland den Rat gegeben, sich besser nicht als Juden zu erkennen zu geben. Ist das tatsächlich etwas, was man den jüdischen Menschen in Deutschland abverlangen muss, abverlangen soll?
    Schuster: Ich denke, wenn die Situation gekommen wäre, dass man sich als Jude nicht mehr offen erkennen lassen kann, dazu bekennen kann, eventuell auch eine Kippa tragen kann, dann allerdings wäre eine Situation gekommen, in der man wirklich sich ernsthaft fragen kann, ob jüdisches Leben in diesem Lande gewollt ist.
    Kapern: Und wie weit sind wir von dieser Situation entfernt?
    Schuster: Da sehe ich uns Gott sei Dank ein gutes Stück davon entfernt.
    Kapern: Bleiben wir noch einmal bei diesen Demonstrationen gegen den Gazakrieg. Damals hat Dieter Graumann zum Verhältnis des Zentralrats zu den muslimischen Verbänden in Deutschland gesagt, die Lage im Nahen Osten bringt uns auseinander. Wie muss ein neuer Zentralratsvorsitzender damit umgehen?
    Schuster: Es geht darum, in gemeinsamen Gesprächen gerade auch mit den muslimischen Verbänden dieses Thema aufzuzeigen, und die Forderung, die hier auch von meiner Seite erhoben wird und wo ich doch ein Defizit sehe, ist, dass von muslimischen Verbänden dieses Thema nur sehr rudimentär oder gar nicht behandelt wird, gerade innerhalb der muslimischen Community.
    Kapern: Haben Sie eine Erklärung dafür?
    Schuster: Die habe ich leider nicht, denn von den Vertretern wurde auch immer wieder in Gesprächen in den vergangenen Jahren dargelegt, wie sehr man doch bemüht sei. Der Fakt oder die Tatsachen haben mich davon bislang nicht überzeugen können.
    Kapern: Wie werden Sie jetzt auf die muslimischen Verbände zugehen mit diesen Forderungen?
    Schuster: Die Forderungen haben wir immer wieder gestellt und wir warten einfach mal zunächst auf die Reaktionen, auf die Zeichen, die von dieser Seite gesetzt werden.
    Das Gesprächsangebot unsererseits besteht selbstverständlich weiter. Allerdings nur Gespräche führen, ohne auch dabei irgendwelche Erfolge zu sehen, davon verspreche ich mir nicht viel.
    "Jüdische Kultur hat mehr zu bieten als Mahnung vor Antisemitismus"
    Kapern: Sie haben eben angesprochen, dass es zu Ihren Aufgaben auch zählen soll, das fröhliche Judentum in Deutschland zu präsentieren und zu repräsentieren. Wie genau muss man sich das vorstellen?
    Schuster: Jüdische Kultur, jüdische Tradition, jüdische Religion hat ja sehr viel mehr zu bieten als Mahnung vor Antisemitismus, Mahnung vor Rassismus.
    Jüdische Bräuche, jüdische Traditionen sind ja gerade in Deutschland seit Jahrhunderten verwurzelt und ich möchte auch von dem Punkt wegkommen, dass man Judentum nur in Verbindung bringt oder in erster Linie in Verbindung bringt mit 1933 bis 1945.
    Man soll sich einfach mal umschauen, was es an jüdischer Kultur, an jüdischen Traditionen gibt, fest verwurzelt in der deutschen Gesellschaft vor 1933, aber auch, wie sich jüdische Gemeinden heute, gerade nach der Zuwanderung und dann auch dem nummerischen Zuwachs darstellen, mit jüdischen Festen, mit ihren jüdischen Bräuchen.
    Kapern: Wie groß ist Ihrer Meinung nach das Interesse der nichtjüdischen Deutschen, all diese Fassetten des Judentums in Deutschland kennen zu lernen?
    Schuster: Da habe ich gerade hier in Würzburg eine sehr positive Erfahrung gemacht. Wir haben hier in Würzburg, in meiner Heimatgemeinde, im Jahre 2006 ein neues Gemeindezentrum eröffnet mit einem musealen Anteil, mit einem Museum, ein bisschen ein anderes Museum. Hier zeigen wir keinen jüdischen Silber- und Goldschmuck aus Synagogen, sondern wir basieren auf dem ältesten Fund der jüdischen Gemeinde in Würzburg, ein Grabsteinfund aus dem Jahre 1150 bis 1350 datierend, und zeigen einmal traditionelles jüdisches Leben im 21. Jahrhundert und finden ein für mich von der Resonanz her, denn wir haben uns natürlich auch vorher Gedanken gemacht, wie wird eine solche Resonanz, sehr positives Ergebnis, das meine Erwartungen übertroffen hat.
    Amt des Zentralratsvorsitzenden ist "keine One-Man-Show"
    Kapern: Der Zentralratsvorsitzende ist sehr häufig gefordert, Herr Schuster, wenn es darum geht, zu aktuellen politischen Ereignissen Stellung zu nehmen. Es ist, so stelle ich mir das jedenfalls vor, ein echter Fulltime-Job. Nun sind Sie niedergelassener Arzt in Würzburg und Sie wollen das auch bleiben, haben Sie gesagt. Das ist echt schwer vorstellbar. Wie wollen Sie das unter einen Hut bringen, diesen Posten als Chef des Zentralrats und als niedergelassener Arzt?
    Schuster: Das Amt des Präsidenten des Zentralrats ist ja zum einen ein reines Ehrenamt. Mir geht es aber auch darum, klar zu machen, dass der Zentralratspräsident oder der Zentralrat keine One-Man-Show ist, sondern ich habe auch zwei Stellvertreter, zwei Vizepräsidenten, die ich vorgeschlagen habe und von den Gremien entsprechend gewählt wurden, und ich habe natürlich bei der Auswahl der Vertreter auch mir Gedanken gemacht, hier nicht nur hoch kompetente Kollegen zu gewinnen, sondern auch Kollegen, die einen gewissen zeitlichen Rahmen auch bieten können, um auch hier Veranstaltungen, Veranstaltungstermine wahrzunehmen und mich entsprechend unterstützen und beraten zu können.
    Kapern: Das heißt, Ihre Patienten in Würzburg können auch zukünftig auf Sie setzen?
    Schuster: Die können auch zukünftig auf mich setzen, die ersten so in etwa zehn Minuten.
    Kapern: Josef Schuster war das, der gestern gewählte neue Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Herr Schuster, vielen Dank, dass Sie heute Morgen Zeit für uns hatten.
    Schuster: Gerne. Einen schönen Tag.
    Kapern: Einen schönen Tag. Tschüss!
    Schuster: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.