Freitag, 19. April 2024

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Neuer Wirkstoff gegen Anthrax
Eisen-Entzug stoppt Milzbranderreger

Eine Infektion mit Anthrax ist lebensgefährlich - und wie sich bei einem Anschlag 2001 gezeigt hat - lassen sich Milzbrand-Sporen mit wenig Aufwand als Biowaffe einsetzen. Ein neues Gegenmittel zusätzlich zu herkömmlichen Antibiotika wäre gerade im Terrorfall nützlich, sagte der Biochemiker Arne Skerra im Dlf.

Arne Skerra im Gespräch mit Arndt Reuning | 06.11.2018
    Der Milzbranderreger Bacillus anthracis in einer Computer-Illustration
    Der Milzbranderreger Bacillus anthracis in einer Computer-Illustration (imago stock&people/Illustration: Kateryna Kon)
    Arndt Reuning: Bacillus anthracis, das ist der wissenschaftliche Name für den Erreger von Milzbrand, auch als Anthrax bekannt. Das Bakterium kann Sporen bilden und in dieser Form unter Umständen jahrzehntelang überdauern. Es stellt eine Bedrohung dar als potentielle Biowaffe. Aber es schlummert auch im Erdboden und wird immer wieder mal von grasenden Tieren aufgenommen, etwa von Rindern oder Schafen. Über das Vieh können sich auch Menschen infizieren. Wird solch eine Infektion zu spät erkannt, kann sie tödlich enden. Milzbrand-Bazillen lassen sich mit Antibiotika bekämpfen. Forschende der Technischen Universität München stellen nun im Fachmagazin "Angewandte Chemie" einen neuen Wirkstoff vor gegen Milzbrand-Bakterien. Er verhindert, dass die Einzeller lebenswichtiges Eisen aus dem Körper ihres Wirtes aufnehmen können. Wie das genau funktioniert, hat mir einer der beteiligten Wissenschaftler erklärt, Prof. Arne Skerra:
    Arne Skerra: Jeder Organismus benötigt, auch ein Bakterium wie Anthrax, Eisen, um sich zu vermehren. Eisen ist ein essentielles Spurenelement, was bei der Zellatmung unverzichtbar ist. Und um Eisen aufnehmen zu können, sowohl in der freien Natur als auch bei der Besiedlung des Wirts, also zum Beispiel eines menschlichen Patienten, geben die Bakterien einen kleinen Wirkstoff ab, ein so genanntes Siderophor, das sehr fest Ionen des Eisens binden kann und dann von dem Bakterium aufgenommen wird. Und an dieser Stelle greift unser Wirkstoff ein.
    Reuning: Also kann ich mir das vorstellen als eine kleine molekulare Angel, mit der das Bakterium frei verfügbares Eisen aus dem Organismus entzieht?
    Skerra: Das ist eine sehr gute Analogie. Das Entscheidende dabei ist, dass diese molekularen Angeln unterschiedliche Gestalt haben können und dass unterschiedliche Bakterien über verschiedene Molekülstruktur verfügen. Und das menschliche Immunsystem ist mit einigen dieser Angeln schon vertraut und hat ein Protein, das in unserem Blut zirkuliert, welches von den Bakterien, mit denen wir gut zusammenleben können - wie zum Beispiel das Darmbakterium Escherichia coli - diese entsprechende Angel, wenn sie im Blut auftaucht, fest an sich bindet und damit neutralisiert. Dieser Mechanismus funktioniert allerdings nicht mit den speziellen Siderophoren, die vom Anthraxbazillus produziert werden.
    Modifiziertes körpereigenes Protein wird mit Anthrax fertig
    Reuning: Das heißt, da muss man nachhelfen, einen synthetischen Stoff entwickeln, der diese Angeln blockiert?
    Skerra: Sie sagen synthetischer Stoff, aber tatsächlich ganz so synthetisch sieht unser Ansatz gar nicht aus. Sondern wir haben das körpereigene Protein hergenommen und es mit wenigen Strukturänderungen so modifiziert oder abgewandelt, dass es den speziellen Siderophor des Anthraxbazillus fest und hochspezifisch an sich binden kann. Das heißt, unser Wirkstoffmolekül unterscheidet sich eigentlich nur an wenigen Stellen von dem körpereigenen Protein. Und damit entzieht man dem Bakterium die Eisengrundlage für seine eigene Vermehrung und bremst ganz drastisch das Wachstum oder die Zellteilung von dem Bakterium, wie wir in Laborkulturen zeigen konnten.
    Reuning: Ist denn der Wirkstoff, den sie entwickelt haben, etablierten Antibiotika überlegen oder wo liegen seine Vorteile?
    Skerra: Das Wort überlegen würde ich hier nicht anwenden, aber wir haben auf jeden Fall Vorteile. Der erste Vorteil besteht darin, dass sich gegen unseren Wirkstoff nicht ohne weiteres Resistenzen bilden können, weil dieser Siderophor absolut essenziell für das Anthraxbakterium ist und der Organismus dem nicht ohne weiteres ausweichen kann, wie es ja bei Antibiotika immer wieder beobachtet wird. Der zweite Vorteil besteht darin, dass auch Patienten, die möglicherweise über eine entsprechende Antibiotikaempfindlichkeit verfügen, dennoch mit unserem Wirkstoff behandelt werden können. Und generell muss man natürlich davon ausgehen, dass Anthraxinfektionen potenziell tödlich sind und auch eine Antibiotika-Intervention möglicherweise zu spät kommt, sodass eine unterstützende Therapie mit unserem neuartigen Wirkstoff auf jeden Fall in der klinischen Situation hilfreich sein wird.
    Präventives Medikament für den Fall eines Bio-Anschlags
    Reuning: Für wen könnte sich denn dieser Wirkstoff als nützlich erweisen, ist es eher für die Veterinärmedizin gedacht oder tatsächlich für die Anwendung an Menschen?
    Skerra: Nun, unser Wirkstoff ist natürlich stark angepasst an das natürliche Gegenstück im Menschen. Bei Tieren ist die entsprechende Version schon wieder etwas anders in ihrer Gestalt. Wir denken hier zunächst an die Humantherapie, und zwar vor allem auch an präventive Medikamente, zum Beispiel für den Fall einer terroristischen Bedrohung, wo kurzfristig entsprechende Mengen des Wirkstoffs dann zur Verfügung gestellt werden können.
    Reuning: Wie schätzen Sie es ein, wann könnte denn ein Medikament basierend auf diesem Wirkstoff auf den Markt kommen?
    Skerra: Grundsätzlich handelt es sich bei unserem Wirkstoff um ein Biopharmazeutikum, also einen Wirkstoff, der mit biologischen Methoden, mit gentechnischen Verfahren hergestellt wird. Die Zulassungsverfahren sehen hier üblicherweise klinische Studien vor an Patienten, und das kann ein langwieriger Prozess sein, der durchaus zehn bis zwölf Jahre in Anspruch nimmt. Im vorliegenden Fall, also bei der Milzbrandinfektion, haben wir es jedoch mit einer akuten medizinischen Situation zu tun. Und hierfür gelten nach meiner Information vereinfachte oder beschleunigte Zulassungsverfahren, sodass wenn wir ein Pharma-Unternehmen davon überzeugen können, in die konkrete klinische Entwicklung unseres Wirkstoffs zu investieren, wir eventuell bereits in fünf Jahren mit einer Zulassung rechnen können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.