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Die unautorisierte Kraftwerk-Biografie von David Buckley

Kraftwerk haben als Pioniere der elektronischen Musik Geschichte geschrieben. Bereits seit den Anfängen in den frühen 70er-Jahren waren Kraftwerk mit den Entwicklungen modernster Technologien verbunden. Sie gelten heute als Urväter sehr verschiedener Musikrichtungen: Electro, House, Techno.

Von Andi Hörmann | 06.12.2013
    Man hat sie förmlich vor Augen: die triste Teerdecke der endlos langen Autobahn, die vorbei ziehenden Landschaften. Klangbilder der Monotonie ‑ David Buckley sieht sie noch heute vor sich, genau wie damals als er als 10-Jähriger zum ersten Mal Kraftwerk hört.
    "Es war Mai oder Juni 1975 und ich saß auf der Toilette zu Hause in Liverpool. Im Transistorradio hörte ich die TOP 20, dann kam "Autobahn" von Kraftwerk und ich konnte es kaum fassen: Es klang unglaublich, es war ziemlich einfach, aber auch sehr rhythmisch."
    Für den Historiker und Journalisten David Buckley hat die Musik von Kraftwerk bis heute nichts an Faszination eingebüßt. Mit zehn maßgebenden Studioalben aus den letzten 40 Jahren haben sich Kraftwerk ins kollektive popkulturelle Gedächtnis gespielt. So einfach wie eindringlich vertonen sie urbane Themen ‑ die Technik, den Fortschritt. Zeitgeistig und zeitlos.
    Ralf Hütter, Gründungsmitglied und einzige noch aktive Mensch-Maschine, nennt die Musik von Kraftwerk mal "industrielle Volksmusik": musikalische Innovationen, Melodien für Millionen.
    Fast drei Jahre hat David Buckley recherchiert und an die 150 Interviews geführt. Seine 400-seitige Biografie über die Pioniere der elektronischen Popmusik ist passend zur Musik ganz schlicht betitelt: "Kraftwerk - Die unautorisierte Biografie".
    "Was unautorisiert bedeutet? Ich glaube im Grunde genommen bedeutet das, dass Kraftwerk nicht wollte, das ich das Buch schreibe. Ich hätte liebend gerne Ralf Hütter mit im Buch gehabt. Wir haben Kraftwerk natürlich ganz am Anfang angefragt und Ralf darum gebeten, ob er nicht mitmachen möchte. Es wäre für mich fantastisch gewesen, ihn zu interviewen. Aber wir haben eine sehr nette Antwort vom Management bekommen: Wir sind nicht interessiert, und falls wir unsere Meinung ändern, melden wir uns. Aber das haben sie nicht getan, was sehr schade ist, aber es ihr gutes Recht."
    In der Kraftwerk-Biografie von David Buckley kommen dann leider die zwei Haupt-Protagonisten Ralf Hütter und Florian Schneider nicht zu Wort. Mit einem Mosaik an Interviews mit Weggefährten im Studio und Fans im Musikbusiness wird das Rätsel um Kraftwerk zwar nicht gerade gelüftet, aber ohne großes Pop-Palaver sehr unterhaltsam weitererzählt. Das Konzept Kraftwerk ist und bleibt ein Geniestreich.
    "Kraftwerk könnte vielleicht weniger eine Band als vielmehr eine Idee sein. In 20, 30 Jahren könnte Kraftwerk mit komplett anderen Musikern weitermachen. Sie könnten die erste echte virtuelle Band sein. So könnten es sie weitere 200 Jahre in anderer Besetzung geben. Das ist eine unglaubliche Idee. Das wäre mit Kraftwerk möglich. Vielleicht ist es Teil des Plans, das Ralf Hütter seine Roboter-Version in den Ruhestand schickt und jemand anderes übernimmt seinen Part."
    Es ist die Außensicht des Engländers David Buckley, die diese Biografie so lesenswert macht. Er ordnet das Gesamtkunstwerk Kraftwerk sozial- und kulturhistorisch ein: die Last der Kriegsgräuel, die Liebe zur Kunst, die Lust am Entdecken haben die "Idee Kraftwerk" zum Leben erweckt und unsterblich gemacht. Buckley schreibt detailverliebt mit respektvollem Unterton aus er Sicht eines faszinierten Musikliebhabers ‑ Ralf Hütter mag es ihm danken.
    "Ich hoffe, Ralf Hütter mag das Buch, obwohl ich eher das Gegenteil vermute. Ich bin mir sicher, dass man ihm ein Exemplar zuschickt, aber ich weiß nicht, ob er es von mir signiert haben möchte."

    David Buckley: "Kraftwerk ‑ die unautorisierte Biografie"
    Aus dem Englischen von Henning Dedekind und Heike Schätterer.
    Metrolit. Gebunden, 400 Seiten, 22,99 Euro.