Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Neues Ablum von Kreator
Thrash-Metal und Arendt-Theorien

Mit markerschütterndem Thrash-Metal ist die Essener Band Kreator um Mastermind Miland "Mille" Petrozza seit 34 Jahren international erfolgreich. Für die Texte vom neuen Album "Gods of Violonce" hat sich Petrozza von Hannah Arendts Terror-Theorien inspirieren lassen.

Von Marcel Anders | 05.02.2017
    Musik "Apocalyption"
    "Ich glaube, der Schlüssel dazu, dass man Musik macht, die dann auch andere Leute berührt, liegt darin, dass Du im Kopf bzw. im Herzen immer 17 bleibst und versuchst, das irgendwie durchzuziehen. Dass Du mit dem gleichen Enthusiasmus an die Sache rangehst, wie ein 17-Jähriger. Das ist allerdings nicht immer so einfach, denn über die Jahre verändert sich der Blick auf die Dinge – weil man auch viele Erfahrungen gemacht hat, die diesen 17-jährigen Blick etwas schärfen oder vernebeln."
    Das Kind im Manne hat sich Mille Petrozza tatsächlich bewahrt. Der 49-Jährige trägt immer noch Band-T-Shirts, schwarze Löwenmähne und ein Piercing in der Augenbraue. Als Musik-Junkie lebt er, was er liebt. Und er hat es weit gebracht: Der Sohn italienischer Gastarbeiter residiert heute in Barcelona, Berlin und im Essener Süden. Mit seiner Band Kreator füllt weltweit Konzerthallen zwischen 1500 – 3000 Zuschauern und vermag sehr wohl über den Genre-eigenen Tellerrand zu blicken. Dabei beweist er enormes Fachwissen und sagt ganz offen, was er denkt.
    "Coldplay war früher. Heute kann man das ja nicht mehr hören. Und das enttäuscht mich auch immer so ein bisschen. Muse war zum Beispiel eine Zeit lang eine meiner Lieblingsbands. Ich war letztens auf dem Konzert, als sie hier in Köln gespielt haben, das war super! Aber das Album war Scheiße! Das hat so ein alter Metal-Produzent produziert. Und da entdecke ich mich dann dabei, dass ich genauso bin wie viele der Fans, die immer sagen: "Mach doch noch mal ´Pleasure To Kill´ oder ´Aggression´."
    Musik "Gods Of Violence"
    Zu seinem brutalen Frühwerk aus der Mitte der 80er steht Mille immer noch. Musikalisch ist er mittlerweile aber ganz woanders – nämlich offener, vielseitiger und anspruchsvoller. Für sein neues Werk "Gods Of Violence" setzt er auf einen cineastischen Breitwandsound mit epischen Orchesterarrangements, akustischen Momenten, Blues-Anleihen und ruhigen Passagen. Eben nicht nur der berühmte Knüppel aus dem Sack, sondern eine Art "Carl Orff trifft Hardrock". Ein detailverliebt inszeniertes Chaos, das für ein spannendes Hörerlebnis sorgt – selbst wenn man mit dieser Musik sonst wenig anfangen kann. Viereinhalb Jahre haben Kreator daran gefeilt.
    "Ich hätte gerne noch ein bisschen länger daran herumgedoktert, aber dann wäre es nie fertig geworden. Du musst dir vorstellen: Wenn du schon 14 Alben gemacht hast, möchtest du dich ja nicht wiederholen. Und früher war es so: "Ich habe das noch nicht gemacht, ich habe diesen Takt noch nicht ausprobiert, ich habe noch nicht über dies oder das gesungen." Doch mittlerweile habe ich eben so viele Dinge abgearbeitet, dass es für mich immer schwierig wird, Themen zu finden."
    Musik "World War Now"
    In der Vergangenheit waren Milles Themen vor allem Metal-Klischees wie Monster, Teufel und andere Blut- und rachsüchtigen Ungeheuer. Zwar tauchen diese Nettigkeiten immer noch auf, besitzen aber durchaus metaphorische Tiefe. Denn "Gods Of Violence", die gewalttätigen Götter, sind für Mille die Putins, Assads und Erdogans dieser Welt. Despoten, die Menschenrechte mit Füßen treten und den globalen Rechtsruck eingeläutet haben – mit Demagogen wie Le Penn, Trump, Nigel Farage, Wilders und den Populisten von der AFD. Eine Entwicklung, der Kreator den Spiegel vorhalten, genau wie Homophobie oder Terror. Und wozu sich Mille sogar an das Werk der Philosophin Hannah Arendt wagt.
    "Ich hatte den Titel "Totalitarian Terror", weil ich fand, das klingt gut. Und dann geh ich wirklich ganz stumpf ins Internet und da habe ich gesehen, dass Hannah Arendt mal ein großes Essay darüber geschrieben hat. Das habe ich dann einfach so ein bisschen zitiert. Ich fand´s schon fast prophetisch, wie sie mit diesem Thema umgegangen ist, weil das ja so eine Art Terror ist, der eher auf einer kommunikativen Ebene stattfindet. Es geht darum, Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es so, dass Regierungen Konflikte innerhalb der Bevölkerung für ihre Zwecke nutzen. Und das ist das, was unser aktuelles politisches Klima auszeichnet, wo jeder gegen jeden aufgehetzt werden soll."
    Musik "Totalitarian Terror"
    Ob Mille seine Fans damit überfordert, ist ihm egal. Er will sein Publikum mit starken Ideen konfrontieren, zum Nachdenken bringen und den Genre-typischen Klischees entkommen. Einfach, weil er sich über 30 Jahre daran abgearbeitet hat und sie zunehmend an Reiz verlieren. Zudem erreicht er inzwischen ein derart breites Publikum, dass "Gods Of Violence" ein sicherer Anwärter auf Platz 1 der deutschen Albumcharts ist. Doch das erscheint Mille nicht so wichtig.
    "Dann freue ich mich für eine Woche. Weil ich nicht weiß, ob es länger als eine Woche auf Platz 1 sein wird. (lacht) Die Möglichkeit besteht zwar, aber das ist natürlich nicht der Grund, warum wir das Album gemacht haben. Viel wichtiger als auf Platz Eins zu kommen, ist lange in den Charts zu bleiben, damit du so viele Leute wie möglich erreichst. Und dass die Leute, die uns kennen und mögen, das toll finden. Und dass wir das toll finden bzw. vielleicht noch ein paar neue Leute dazukommen. Das ist immer so das Ziel, das man hat, wenn man ein neues Album veröffentlicht."
    Musik "Death Becomes My Light"
    Die Popularität, die Kreator inzwischen genießen, schlägt sich auch in den kommenden Live-Terminen nieder. Insgesamt fünf Konzerte geben die Ruhrgebiets-Helden im Februar und März. Das größte davon ist das Heimspiel am 4. März in der Essener Grugahalle. Für Mille ein Kindheitstraum.
    "Wenn du aus Essen kommst, musst du irgendwann auch mal die Grugahalle gespielt haben. Ist ja klar. (lacht) Hat lange genug gedauert."