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Neues Album der Tindersticks
Zwischen Schwermut und Optimismus

Seit 25 Jahren scheren sich Tindersticks nicht um den Zeitgeist und zelebrieren ihren dunklen, vielschichtigen Sound. Die gemächlichen Songs der englischen Alternative-Popband laden ein, sich ganz darin zu verlieren. Das Quintett um Frontmann Stuart A. Staples hat vor kurzem sein zehntes Studioalbum "The Waiting Room" veröffentlicht.

Von Anke Behlert | 13.02.2016
    Stuart A. Staples von der britischen Band Tindersticks im Studio von Deutschlandradio Kultur
    Stuart A. Staples von der britischen Band Tindersticks im Studio. (Oliver Schwesig / Deutschlandradio)
    Getragene Melancholie gehört zu den Tindersticks - genau wie die Koteletten zu Sänger Stuart A. Staples. Das präzise gestutzte Gesichtshaar ist nur ein Markenzeichen, ein anderes ist seine unverwechselbare Baritonstimme. Nicht zuletzt ihr verdankt die britische Band ihren charakteristischen Sound. Mit ihren schweren, melancholisch orchestrierten Songs haben die Tindersticks von Anfang an einen Nerv getroffen. Nach dem überraschenden Erfolg ihres Debütalbums 1993 hatte es einen gewissen Erwartungsdruck gegeben, erzählt Stuart Staples. Irgendwann seien ihnen die Ideen ausgegangen. 2003 löste sich die Band auf, fünf Jahre später dann das Comeback. Beim neuen Album hatte Staples zum ersten Mal das Gefühl, keine Erwartungen erfüllen zu müssen.
    "Die kreative Chemie bei uns hat einfach gestimmt. Wir sind ins Studio gegangen, haben einen Song geschrieben, ohne groß darüber nachzudenken. Als wir die Band aufgelöst haben, war diese Energie aufgebraucht. Wir mussten einen anderen Weg finden, zusammenzuarbeiten. Natürlich sind wir nicht mehr 25, aber etwas anderes ist zwischen uns passiert, und das ist genau so wichtig und wertvoll. Unsere neue Musik wird nicht von dem, was wir früher gemacht haben, überschattet. Es war sehr wichtig für uns, das zu verstehen."
    Kamin anzünden, einen guten Rotwein öffnen
    Das Album ist inspiriert von der Arbeit an Filmsoundtracks. Der erste Song "Follow me" ist ein Cover-Song der Filmmusik von "Meuterei auf der Bounty". Außerdem hat die Band einige Regisseure beauftragt, für jeden Song des Albums einen begleitenden Kurzfilm zu drehen. Die Idee hatte Stuart Staples, als er Mitglied einer Festivaljury in Frankreich war.
    "Vor ein paar Jahren saß ich in der Jury des Kurzfilmfestivals von Clermont-Ferrand. Das läuft dort so: Verschiedene Kurzfilme werden zu einem Programm zusammengestellt und das dauert etwa 45 bis 50 Minuten. In einer Woche habe ich sicher sieben oder acht solcher Programme gesehen. Ich habe mich mit Calmin Borel, dem Direktor des Festivals, unterhalten und wir sind auf die Idee gekommen, Filme zu unserem Album zu machen. Der Gedanke war, Filmemacher unterschiedlicher Disziplinen zu beauftragen. Calmin hat mich dann mit einigen Regisseuren in Kontakt gebracht, ich habe ihnen Stücke geschickt und so hat sich das Projekt langsam entwickelt."
    Die Filme bieten eine zusätzliche Ebene, aber die Songs stehen auch für sich selbst. Ihre erdige Wärme schafft eine herbstliche Atmosphäre, man möchte sofort den Kamin anzünden und einen guten Rotwein öffnen. Hier und da streift die Band auch Afrobeat und Soul, lässt den Bass grooven und knackige Bläser aufblitzen.
    Liebe, Tod, Veränderungen im Leben
    Der Song "Hey Lucinda" ist ein Duett mit der 2010 an Brustkrebs gestorbenen US-Sängerin Lhasa de Sela. Sie hatte schon auf dem 2003er Album "Waiting For The Moon" bei einem Stück mitgewirkt. Für Stuart Staples war die Arbeit an dem Song nicht gerade einfach.
    "Bevor sie krank geworden ist, haben wir "Hey Lucinda" aufgenommen. Sie war gut drauf und man kann sie auf dem Stück auch lachen hören. Für mich war das ein schwieriger Song, erst recht, nachdem sie krank geworden war und gestorben ist. Ich hab ihn vier Jahre lang nicht angerührt. Erst vor Kurzem habe ich ihn wieder rausgeholt und er hat sich einfach nicht mehr richtig angefühlt. Ich hab also die ganze Musik rausgeschmissen und mit der Band von vorne angefangen. Ich musste wirklich all meine Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen, um dem Stück gerecht zu werden."
    Die Texte auf dem neuen Tindersticks-Album handeln von Liebe, Tod und ganz generell Veränderungen im Leben, sagt Frontmann Staples.
    "Auf dem Album geht es viel um Wendepunkte, und darum sich fortzubewegen oder stillzustehen. Wendepunkte, die zurückliegen und an die man sich nicht so gerne erinnert. Oder solche, die noch vor einem liegen. Und "The Waiting Room", also das Wartezimmer, steht im Zentrum dieses Gefühls von Veränderung."
    Nach 25 Jahren und mit wiedergefundener Verve machen die Tindersticks auf "The Waiting Room" weiter ihr eigenes Ding. Das Ergebnis sind raffinierte, zeitlos schöne Songs, die genau den richtigen Punkt treffen zwischen Schwermut und Optimismus.