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Neues Album von Muse
Zwischen Prince und "Zurück in die Zukunft"

Bei ihrem Debüt 1999 wurden Muse für ihr Können gelobt, aber auch als schlechte Kopie von Radiohead verlacht - doch inzwischen lacht niemand mehr: Die Briten um Sänger Matt Bellamy sind Superstars, deren achtes Album von den Fans sehnlich erwartet wurde. Hat sich das Warten auf „Simulation Theory“ gelohnt?

Von Amy Zayed | 04.11.2018
    Der Sänger Matthew Bellamy von der britischen Band Muse steht beim Musikfestival "Rockavaria" auf der Bühne.
    Das neue Album als Hoffnungsschimmer: Sänger Matthew Bellamy von der britischen Band Muse (picture alliance / dpa / Sven Hoppe)
    Musik: "Something human"
    Matt Bellamy: "Als ich die Idee zum neuen Album hatte, habe ich mir eine Spielkonsole gekauft, und habe angefangen zu spielen. Eigentlich war ich nie so der Fan von Computerspielen, aber ich wollte eintauchen in diese virtuelle Realität, und herausfinden, wie es denn so ist, in einer Simulation zu leben. Das hat mich fasziniert, und ich dachte, dass es super wäre, in genau so einer Simulation in die Vergangenheit meiner Kindheit zurück zu reisen. Ich denke in unserem Leben werden solche Simulationen immer wichtiger."
    Dass Matt Bellamy schon immer mit interessanten Theorien und Lebensideologien musikalisch herumexperimentiert hat, ist nichts Neues. 2012 erforschte er auf dem Album "The second law" den Ansatz, dass eines Tages alle unsere Ressourcen ausgeschöpft sind und die Menschheit ausstirbt, auf dem letzten Muse-Album "Drones" geht es darum, dass wir eines Tages alle von Drohnen abgeschossen werden. Doch das neue Album zeigt seit langem mal wieder eine Art Hoffnungsschimmer. Muse stellen die Frage: "Was wäre, wenn wir in eine andere Realität fliehen, und dort ein neues Leben anfangen könnten?"
    "Wissenschaftler erforschen immer mehr, was es mit Simulationen auf sich hat. Sie erschaffen schwarze Löcher und ähnliches. Auf der anderen Seite wird im Entertainment immer mehr mit virtuellen Realitäten experimentiert. Vielleicht sind wir irgendwann in der Lage, all das zu kombinieren und uns tatsächlich in andere Realitäten abzusetzen. Im Moment ist unsere Wahrnehmung von Zeit sehr linear. Aber vielleicht muss unser Gehirn einfach nur lernen, Zeit anders wahrzunehmen."
    Musik: "Pressure"
    Nostalgie als Trigger
    Im Kontrast zu Sänger Matt Bellamys neuartigen Theorien steht allerdings der Sound des Albums. Anders als bei "The 2nd law", oder "Drones", wo Muse mit drum & bass, Dubstep und Gitarren herumexperimentierten, klingt "Simultation theory" wirklich eher wie ein Album aus den 80er-Jahren. Während man bei früheren Hits wie "Supermassive black hole" den Eindruck hatte, Matt Bellamy hätte sich bei Justin Timberlake bedient, werden hier eher Assoziationen mit dem Soundtrack von "Zurück in die Zukunft" oder Songs von Prince geknüpft. Und genau diese Filme haben die Band auch zu diesem Album inspiriert. Alte Synths treffen auf ein bisschen British Heavy Metal-Sound der 80er, gemischt mit pompösen Streichern. Und dazu Bellamys Gesang, der mal an Freddy Mercury und mal an Prince erinnert.
    "Ich glaube, dass Nostalgie wichtiger ist, denn je. Und zwar nicht im Sinne von: Früher war alles besser. Sondern man kann zurückschauen, und das schöne, an dem was früher war, einfach in die heutige Zeit zurückholen. Und das ist es eben auch, was ich an virtueller Realität so faszinierend finde. Man kann eben das Alte wirklich wiederbeleben und nicht nur melancholisch auf etwas Unwiederbringliches zurückblicken."
    Musik: "Dark side"
    Rückblick auf fast zwei Jahrzehnte
    Vielleicht ist die Nostalgie auf dem Album auch eine Art Auseinandersetzen mit dem eigenen Leben oder gar der eigenen Bandgeschichte. Es ist viel Zeit vergangen, seit Muse 1999 mit ihrem Debut "Showbiz" zwar die Indie-Welt zum größten Teil verzückte, doch Musikkritiker zynische Vergleiche mit Radiohead anstellten. Eine Band mit wenig Zukunft meinten sie. Seither strafen Muse die Kritiker Lügen, und das vor allem durch Wandelbarkeit. Von neuartigen Rock-Klanglandschaften auf "Origin of symetry" bis zu neuartigen Experimenten mit Dance und Dubstep auf den neueren Alben "2nd Law" und "Drones". Ohne genau diese Flexibilität hätte Muse nie funktionieren können, findet auch Bellamy.
    "Wir hatten Glück, dass uns die Welt ein bisschen in die Hände gespielt hat. Denn besonders diese Zeit, in der wir leben, verändert sich wirklich alle zwei, drei Jahre. Und so bestand unsere Herausforderung darin, das Genre Rock diesen Veränderungen anzupassen und ihm weiterhin einen Sinn zu geben. Wir versuchen Technologie und die Musik, die wir machen, die ja eigentlich sehr alt ist zusammen zu bringen und daraus eine Symbiose zu machen. Und wir hatten, wie gesagt, das Glück, in einer Zeit zu leben, in der sich Technik rapide weiterentwickelt und die politische Situation andauernd verändert, was uns wiederum die Möglichkeit gibt, darauf zu reagieren. Was allerdings schade ist, ist dass wir uns als Band manchmal ein bisschen einsam fühlen. Früher gabs so viele andere Rockbands, die was ähnliches gemacht haben wie wir, an denen man sich auch freundschaftlich messen konnte und austauschen konnte. Jetzt sind wir irgendwie allein auf weiter Flur. Dafür gibt’s viel mehr Elekto-Acts oder Musiker, die sich allein aufs Samplen spezialisieren. Allein deshalb lohnt es sich weiter zu machen, denn wir sind vom Aussterben bedroht."
    Musik: "Thoughts of contagion"
    Auch live haben sich Muse seit ihrer Anfangszeit um einiges verändert. Nicht nur, dass sie mittlerweile Arenen füllen. Als sie Ende der 90er ihre ersten Konzerte gaben, eroberten sie sich den Rang, eine der intensivsten live-Rock-Bands zu sein. Durch die rohen Gitarren, Matt Bellamys unnahbaren, manchmal aggressiven Gesichtsausdruck und die unkontrollierten Bewegungen wirkte er manchmal wie ein Wesen aus einer anderen Welt, das die Zuschauer zur Ekstase animieren wollte. Stage-Diving war an der Tagesordnung. Doch seit etwa 2008 hat sich alles geändert, und nicht nur in der Größenordnung. Muse-Konzerte klingen und wirken wie eine vollkommen eingespielte Show. Alles ist genau abgestimmt, die Sounds technisch aufpoliert, sodass alles wie bei einem Popkonzert klingt, mechanisch, und keineswegs mehr handgemacht. Dafür gibt es eine Menge Entertainment drumherum. Pyrotechnik, Drohnen, die um die Band herumfliegen, Wände, die um die Band zusammenbrechen, und ganz viel visual art. Diesmal, sagt Matt Bellamy, wollen Muse zwar nicht zurück zu den alten Rockwurzeln gehen, aber doch etwas handgemachtere Liveshows kreieren.
    Mischung aus Nostalgie und Science-Fiction
    "Wir wollen die Shows etwas menschlicher machen. Ich habe noch keine Ahnung wie. Vielleicht mit einem Chor oder Orchester. Wir werden sehen."
    Wie bei allen Muse-Alben muss man sich in "Simulation theory" erst mal hineinhören. Trotzdem wird es für neue und alte Muse-Fans diesmal etwas schwieriger. Denn es ist weder der Indierock der frühen 2000er-Jahre, noch der neue Popsound der letzten Alben. Es ist eine Mischung aus Nostalgie und Science-Fiction, zu der man erst einmal den Zugang finden muss. Wenn man die richtigen Bilder dazu im Kopf hat, dann funktioniert das Album richtig gut.