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Neues Buch über den IS
Von der Terrorgruppe zur terroristischen Armee

Entsetzt verfolgen viele Menschen die Meldungen über die Gräueltaten des Terror-Regimes IS in Syrien und im Irak. Insofern erscheint der Titel von Guido Steinbergs neuem Werk durchaus angemessen: "Kalifat des Schreckens." Das Buch ist keines, das man nach der Lektüre einfach zur Seite legt. Sein Inhalt schreckt auf, beunruhigt, fordert eine Reaktion heraus.

Von Susanne El Khafif | 02.03.2015
    Eine IS-Flagge hängt an der Moschee in Mossul (12.9.2014)
    Eine IS-Flagge hängt an der Moschee in Mossul. Die Einnahme der Stadt kam völlig unerwartet, heißt es in dem Buch. (dpa / picture-alliance / Str)
    "Kalifat des Schreckens" über das Erstarken des IS, des selbst ernannten "Islamischen Staates" ist kein Buch, das man nach der Lektüre einfach zur Seite legt.
    "Im Juni 2014 errang der IS mit der Einnahme der Stadt Mossul den bisher größten Erfolg seiner Geschichte. In den frühen Morgenstunden des 6. Juni nahmen 1.500 bis 2.000 Kämpfer die Stadt am Tigris mit ihren rund 1,5 Millionen Einwohnern im Sturm."
    Die Einnahme Mossuls kam völlig unerwartet, heißt es weiter, unerwartet für die irakische Regierung und den Nahen Osten, für die USA und die Weltöffentlichkeit.
    Eine Weltgemeinschaft in Schockstarre
    "Es schien allzu abenteuerlich, dass es einer terroristischen Organisation von einigen Tausend Mann gelingen könnte, eine irakische Millionenstadt und weite Teile des Nordens und Westens des Landes zu erobern."
    Eine Weltöffentlichkeit, die unfähig ist zu begreifen, was da geschehen ist, auch als kurz darauf der IS die irakisch-syrische Grenze überrennt, Gebiete an sich reißt, Bewohner verjagt, unterjocht, abschlachtet – um dem neuen Territorium dann den Namen "Islamisches Kalifat" zu geben. Eine Weltgemeinschaft, die nichts versteht, zeitweilig in Schockstarre verfällt. Doch die Terror-Organisation sei keine Naturkatastrophe, und es gebe sie seit langem. Darauf verweist Autor Guido Steinberg in seinem Vorwort, die Organisation habe ihre Gewalttaten zuvor nur unter anderen Namen verübt.
    "Jeder, der sich mit den Ursachen dieser Entwicklung befasst - und die Ursprünge des IS, die Lebensläufe seiner Führer, seine antischiitische Ideologie, seine Bürgerkriegs- und Chaosstrategie und seine brutalen Gewalttaten und die multinationale Herkunft seiner Kämpfer bis zu den frühen Tagen der Organisation in einem kleinen Trainingscamp im afghanischen Herat im Jahr 2000 zurückverfolgt - der wird besser verstehen, wie es dem IS 2014 gelingen konnte, zu einem der wichtigsten Probleme der Weltpolitik zu werden."
    "Kalifat des Schreckens" ist wie gesagt kein Buch, das man nach der Lektüre einfach zur Seite legt – zufrieden ob der neuen Erkenntnisse, die man da gewonnen hat. Nein, sein Inhalt schreckt auf, beunruhigt, fordert eine Reaktion heraus. Auch wegen der Ziele, die sich die Terror-Organisation zu eigen gemacht hat:
    "Minimalziel ist (...) die Herrschaft über die gesamte arabische Welt einschließlich des "al-Andalus" genannten ehemals muslimischen Spanien, ihr Endziel nicht weniger, als schrittweise die gesamte Welt zu erobern."
    Steinberg bleibt in gewohnter Weise sachlich und unaufgeregt – verleiht seiner Recherche dadurch umso mehr Aussagekraft. Sein jüngstes Buch ist ein Muss für all die, die mehr über diese besondere Ausformung des Terrorismus erfahren wollen: Über sein Wesen und unerträgliches Menschenbild, seine Ideologie, die absolut und ausschließlich ist - die Strategien, die den IS so erfolgreich machen, ihm dabei zu einer großen internationalen, auch deutschen Anhängerschaft verhelfen: Menschen, die töten - mit einer Präzision, mit einer Grausamkeit, die kaum vorstellbar ist – die ihre Gräueltaten dabei inszenieren und als Propaganda-Videos ins Netz stellen, um mit der Ästhetisierung des realen Grauens immer neue Anhänger zu rekrutieren.
    Der Autor legt Mosaikstein an Mosaikstein, lässt dadurch ein immer klarer werdendes Muster erkennen: Die Attentate, die konfessionsbedingte Gewalt, der Bürgerkrieg im Irak – sie waren nicht zufällig, waren vielmehr Ergebnis strategischer Planung. Dank der Arbeit Steinbergs erscheinen so die Schreckensmeldungen der Vergangenheit, die im Westen am Ende nur noch Verständnislosigkeit auslösten, in völlig neuem Licht.
    Steinberg wertet Quellen aus, zieht Linien nach, bettet Ereignisse in Entwicklungen ein: die großen Anschläge in den schiitischen Hochburgen Nadschaf und Kerbela etwa, bei denen schon vor zehn Jahren Hunderte Zivilisten verletzt wurden und zu Tode kamen, die die Iraker zweier Konfessionen unversöhnlich gegeneinander aufhetzten und dem Bürgerkrieg neue Nahrung gaben - diese Taten gehen auf den IS zurück. Bis auf die Anfänge, in denen die Terrorgruppe noch unstet, gehetzt, durch ständige Ortswechsel gezeichnet war, bleibt später nichts mehr dem Zufall überlassen. Aus der Terrorgruppe ist eine terroristische Armee geworden, deren Führer einen neuen Staat proklamiert. Die Saat ist aufgegangen.
    "Der Irakkrieg der USA und Großbritanniens im Frühjahr 2003 schuf erst das Schlachtfeld ... "
    ... auf dem die Saat aufgehen konnte. Was Amerikaner und Briten an katastrophalen Fehlern begingen, schreibt Steinberg, setzte Nuri al-Maliki, der spätere irakische Premierminister, fort. Seine offene anti-sunnitische Politik vertiefte die Kluft zwischen den Konfessionen, provozierte den weiteren rasanten Aufstieg von IS. Bleibt die Frage, wie Deutschland den Gefahren einer Terror-Organisation, die so offenkundig nach grenzenloser Herrschaft strebt, begegnen kann.
    "Wollen die USA, Europa und Deutschland sich wirksam vor dem IS und den Folgen seines Vormarsches schützen, müssen sie erstens ihre Verbündeten im Irak und in Syrien stärken, zweitens die unmittelbaren Nachbarländer stabilisieren helfen und drittens verhindern, dass die dschihadistischen Rückkehrer zu einer Gefahr für die innere Sicherheit des Westens werden."
    Doch gerade mit Blick auf die Dschihadisten und deren Überwachung, gebe es gravierende Defizite, so Steinberg, das sei kein Geheimnis. Das Plädoyer des Autors fällt deutlich aus:
    "Die deutsche Politik wird sich in den nächsten Jahren der Frage widmen müssen, wie Polizei und Nachrichtendienste so gestärkt werden, dass sie mit der wachsenden Bedrohung fertig werden können. Dies dürfte eine grundlegende Reform der deutschen Sicherheitsarchitektur von der Rekrutierung von Personal bis zur parlamentarischen Kontrolle der Sicherheitsbehörden erfordern."
    "Kalifat des Schreckens" zielt darauf, ein breiteres Publikum anzusprechen – anders noch als Steinbergs vorangegangenes Buch "al-Qaidas deutsche Kämpfer". Es ist deutlich kürzer und einfacher geschrieben. Dennoch wären weniger Zeitsprünge, weniger Fakten und Informationen, dafür mehr Analyse zum besseren Verständnis des schwierigen Themas hilfreich gewesen. Dass der Autor das spielend beherrscht, ohne dabei an Qualität einzubüßen, hat er in seinen vielen Medienauftritten hinlänglich unter Beweis gestellt. Denn, um besagte "Sicherheitsarchitektur" zu reformieren, bedarf es des politisch geäußerten Willens einer informierten und aufgeklärten Bevölkerung. Umso wichtiger und entscheidender sind dabei Bücher, die sich durch herausragenden Sachverstand und intensive Recherche sowie durch deutliche Analyse ausweisen.
    Guido Steinberg: "Kalifat des Schreckens. IS und die Bedrohung durch den islamistischen Terror"
    Knaur Verlag, 208 Seiten, 12,99 Euro
    ISBN: 978-3-426-78772-4