Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Neues Denken gegen die Klimakatastrophe

Der eine ist Naturwissenschaftler mit Neigungen zu Ausflügen in die Philosophie. Der andere ist ein zum Ökonomen umgeschulter Mathematiker. Hans-Peter Dürr und Lord Nicholas Stern stellen sich in ihren neuen Büchern die Frage, wie der Klimawandel in beherrschbaren Grenzen zu halten ist.

Von Britta Fecke | 07.12.2009
    So wie es ist, so geht es nicht weiter; da sind sich beide einig: der Quantenphysiker und der Ökonom, Hans-Peter Dürr und Nicholas Stern. Aber in der Bekämpfung von Dürren, Dammbruch und Gletscherschmelze setzten die beiden Wissenschaftler auf unterschiedliche Maßnahmen: Der eine setzt auf politische Instrumente, wie den Handel mit CO2-Zertifikaten oder die Förderung von regenerativen Energiequellen. Hans-Peter Dürr dagegen hat den Glauben an politische Institutionen längst verloren und hofft nicht auf die Lenkung von oben, sondern die Kraft von unten. Er setzt - ganz der Kernphysiker - auf das kleinste Teilchen im System, übertragen auf die gesellschaftliche Ordnung ist das der Mensch und der müsste nach Dürr noch ein bisschen modifiziert werden:

    "Wir sind heute in dieser schizophrenen Situation, dass unsere Denke immer noch die alte ist, aber die Technik, die wir haben, ist schon die moderne und nun gehen wir ins 21. Jahrhundert mit der falschen Denke und der modernen Technik, die wir nicht verstehen. Sind wir noch zu retten? Ja, wir sind zu retten, aber nicht mit der alten Denke!"
    Altes Denken ist nach Dürr, denken in mechanisch-materialistischen Systemen, das hatte unter Newton zwar noch Bestand, wurde in der modernen Physik aber weiterentwickelt. Und in einem mehrseitigen Exkurs über die Quantenphysik und die heisenbergsche Unschärferelation erklärt uns der philosophierende Physiker, wo unsere geistige Entwicklung heute stehen könnte und wo sie tatsächlich steht. Unsere Denkstruktur ist nach Dürr noch immer schlicht und zweidimensional, damit werden wir aber so komplexe Herausforderungen wie den globalen Klimawandel nicht meistern - geistig nicht und praktisch schon gar nicht. Denn wir scheitern ja schon bei den Anfängen, bei der heutigen Energieversorgung. Dürrs Antwort auf die Versorgungsfragen unserer Zeit, auf die Frage nach Energiesicherheit bei gleichzeitigem Wohlstand ist einfach:

    Die arbeitsfähige Energie, die wir innerhalb der geforderten Grenzen täglich umsetzten dürfen, können wir leicht und vollständig aus der Sonne beziehen.
    Die technischen Details wie Zwischenspeicherung und Energieumwandlung lässt Dürr aus, schließlich muss er auf 174 Seiten erklären, wie eine Energiewende auch Kraft des Geistes gelingen kann, und welches Potenzial in einem effizienteren Umgang mit Watt und Volt noch steckt. Und so appelliert der querdenkende Physiker lieber an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen. Denn bei aller Erkenntnis bleibt Dürr vor allem Optimist: Und dabei zitiert er gerne tibetische Weisheiten, wie: Ein Baum, der fällt macht mehr Krach als ein Wald, der wächst:

    "Unsere ganze Geschichte, die wir in der Schule lernen, ist die Geschichte der fallenden Bäume. Das reicht aus, um uns total deprimiert zu machen, schau doch mal hin: Zerstörung überall, aber wir sind doch noch da! Was ist denn passiert? Es ist der wachsende Wald, aber den wachsenden Wald, den nehmen wir nicht wahr."
    Und es ist erfrischend, bei all der Schwarzmalerei auch mal einen hoffnungsfrohen Wissenschaftler zu hören, der trotz Wasserstoffbombe, Dürrekatastrophen und Folter an das Gute im Allgemeinen und die Eigenverantwortung im Speziellen glaubt. Denn, so die vereinfachte Aussage seines Werkes: es gibt genug Ressourcen und auch genug Kapital, um die drohenden Folgen des Klimawandels abzumildern, wir müssen "nur” unseren Lebensstil ändern. Von Empathie und Ellenbogen ist denn auch eines seiner Kapitel betitelt. Doch wie kommt man vom Ellenbogen - von der Ungleichverteilung der Macht und der Güter - zu mehr Empathie?

    Da Wirtschaft und Staat als maßgebliche Problemlöser ungeeignet zu seien scheinen, kommt meiner Meinung nach nur eine weiterentwickelte, differenzierte Zivilgesellschaft in Frage.
    Das friedliche und kooperative Zusammenspiel der Kulturen der Welt, das wäre die Lösung, doch ob die reine Lehre die Massen mitreißen wird oder ob sie nur von einer geistigen Elite im luftleeren Raum diskutiert wird? Die Antwort bleibt Dürr am Ende schuldig. Auch wenn er genussvoll quer denkt, geht man zwar angeregt aus der Lektüre hervor, aber wie er Politiker oder Unternehmensgrößen, die weniger ethisch als vielmehr numerisch handeln mit ins Boot holen will? Wie er dezentrale Strukturen schaffen und vor allem erhalten will:

    "Das hat mich Geld verdienen zu tun. Alles, was zentralisiert ist, ist machtstrukturiert und das müssen wir vermeiden!"
    Aber wie? Vielleicht gibt es noch einen Nachfolgeband? Auf diese Fragen scheint Lord Nicholas Stern handfestere Antworten zu geben. Stern machte aus der abstrakten Bedrohung des Klimawandels schon 2006 in seinem viel zitierten Sternreport ein konkretes Rechenwerk. Nach der vereinfachten Formel: Was kostet uns der ungebremste Klimawandel und was der gedrosselte? Wie viel Prozent des weltweiten Bruttosozialproduktes müssen wir in die Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel, wie Deichbau oder Entsalzungsanlagen investieren, wenn wir es schaffen wollen, die globale Erwärmung auf durchschnittlich zwei Grad Celsius zu begrenzen? Und was passiert, wenn sich die Vertragsstaaten in Kopenhagen nicht auf ehrgeizige und verbindliche Reduktionsziele einigen können? Nicholas Stern:

    "Es bedeutet, dass große Teile der Welt zu Wüsten werden, ich komme gerade von einer Konferenz in Barcelona und auch da sieht es wahrscheinlich bald so aus wie in der Sahara. Andere Teile der Welt werden dagegen unter Wasser stehen. 100 Tausende, Millionen Menschen werden dann fliehen, wenn wir diese Entwicklung nicht stoppen, wird diese Massenflucht zu großen, zivilen Konflikten führen."
    Und selbst, wenn sich die Vertragsstaaten auf ein ambitioniertes Klimaabkommen einigen könnten, müssten wir, laut Stern, auf einiges gefasst machen:
    Die Hauptflüsse Nordindiens und auch Chinas, Bangladeshs und Pakistans entspringen im Himalaja, und die Gletscher schrumpfen bereits rapide, in den letzten 40 Jahren um 15 Prozent. Wenn sich die Speicherkapazität der Gletscher weiter so schnell reduziert, stehen Indien und seine Nachbarn vor unbeherrschbaren Fluten in der Regenzeit und ausgetrockneten Flüssen zu anderen Jahreszeiten. Indiens künftige Entwicklung hängt entscheidend von einem Global Deal ab.
    Und da wären wir wieder beim Titel des Buches. Wie dieser "Global Deal" gelingen soll, hat Stern gewohnt präzise berechnet. Sein Dreisatz lautet: Technologietransfer, CO2-Handel und Energieeffizienz. Die globalen Treibhausgasemissionen müssten bis 2050 um mindestens 50 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 gesenkt werden, die reichen Industrieländer sollten dabei gerechterweise den größten Anteil tragen und ihre CO2-Emissionen um mindestens 80 Prozent senken. Diese Klimaziele sollen durch den Ausbau und die Förderung emissionsarmer Technologie- beziehungsweise Energiegewinnung verwirklicht werden, den Anreiz soll unter anderem der globale Handel mit CO2 Zertifikaten bieten. So weit die Theorie: Stern schildert anschaulich, wie all die Instrumente effektiv ineinandergreifen könnten. Aber in seiner Rechnung operiert er dabei öfter mit unbekannten Variablen, die von ihm aber schon als verlässliche Größen fest mit einplant werden. Ein Beispiel: Auf dem Weg zur CO2-armen Energieversorgung setzt er stark auf eine Technologie wie die Abspaltung und anschließende Speicherung von CO2 bei Kohlekraftwerken: Kurz CCS.

    Ich habe CCS für Kohle betont, weil sie angesichts dessen, dass China und Indien bei der Ausweitung ihrer Stromversorgung wohl 70-80 Prozent Kohle benutzen werden, zumindest für die nächsten Jahrzehnte notwendig sein wird.
    Diese Technologie ist aber bisher weder ausgereift noch marktfähig, und ob sie es je seien wird, ist mehr als fraglich, denn noch ist die Abspaltung von CO2 nach dem Verbrennungsprozess so energieaufwendig und teuer, dass man fast mehr Energie in den Spaltprozess steckt, als man durch die Verbrennung von Kohle gewinnt. Diese Technologie also schon fest in das Maßnahmenbündel gegen den Klimawandel einzuplanen, macht Stern angreifbar, denn der ehemalige Chefökonom der Weltbank hat mit seinen Kostenanalysen zwar ein inspirierendes Rechenwerk vorgelegt, aber er hätte einige Technologien realistischer darstellen beziehungsweise ihre Risiken umfangreicher schildern sollen. Dann wäre die Rechnung nach 250 Seiten zwar nicht so schön aufgegangen, aber wann tut sie das schon bei einer Verhandlung mit so vielen unbekannten Größen?

    Britta Fecke war das über: Nicholas Stern: "Der Global Deal. Wie wir dem Klimawandel begegnen und ein neues Zeitalter von Wachstum und Wohlstand schaffen". Das Buch mit 287 Seiten ist bei C.H. Beck erschienen und kostet 19 Euro 90 (ISBN 978-3406591761). Und: Hans-Peter Dürr: "Warum es ums Ganze geht – Neues Denken für eine Welt im Umbruch". Das Buch ist im Oekom-Verlag erschienen, hat 189 Seiten und kostet ebenfalls 19 Euro 90 (ISBN 978-3865811738).