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Neues Garneau-Album
Alkoholismus und familiäre Gewalt

Der amerikanische Singer/Songwriter Chris Garneau hat sein drittes Album herausgebracht. In "Winter Games" behandelt er oft familiäre Probleme. Entstanden ist ein bewegendes und experimentelles Album.

Von Ronald Strehl | 09.01.2014
    Der Singer / Songwriter Chris Garneau am Klavier beim Montreux Jazz Festival.
    Der US-Künstler Chris Garneau hat sein drittes Album herausgebracht (picture alliance / dpa / Dominic Favre)
    Seit seiner Kindheit ist der amerikanische Singer/Songwriter Chris Garneau davon beeindruckt, welchen Einfluss die Jahreszeiten auf den Menschen haben können. Und so begann der kleine schüchterne Musiker mit dem weichen Gesicht und den gescheitelten schwarzen Haaren vor einigen Jahren, Verwandte und Bekannte nach ihren frühesten Erinnerungen an den Winter zu befragen. Die überraschend unsentimentalen Antworten, in denen oft familiäre Probleme im Mittelpunkt standen, hat Chris Garneau auf seinem dritten Album"Winter Games" zu eine Art Liederzyklus verarbeitet.
    "Mich hat fasziniert, wie die Menschen kämpfen mussten und wie sie sich daran erinnern als Teil ihrer Kindheit. Die Art und Weise, wie meine Freunde und Verwandten gekämpft haben, zeigt auch, dass sie es überwunden haben. Denn sie sind ja immer noch am Leben. Es geht um diese positive Erfahrung des Kämpfens und Gewinnens."
    Düsteres, aber nicht bedrückendes Album
    Schon auf seinem ersten Album "Music For Tourists" 2006 sorgte Chris Garneau für Aufsehen mit intimen Bekenntnisliedern unter anderem über selbst erlittenen sexuellen Missbrauch als Kind. Auch auf seinem Winteralbum befasst sich der 31-Jährige klassisch ausgebildete Pianist nicht mit rührseligen Erinnerungen an Schlittenfahrten und behagliche Kaminfeuer-Abende, sondern mit düsteren Themen wie Alkoholismus oder häusliche Gewalt. Das Album wirkt aber nie bedrückend, sondern verbreitet eine melancholische traumgleiche Atmosphäre – und steckt voller schöner Melodien.
    "Das Album hat sicher etwas Dunkles an sich. Aber vor allem zieht sich das Gefühl von Ruhe und Frieden wie ein roter Faden durch alle Songs. Das entspricht meiner Stimmung während der Aufnahmen. Ich hatte nämlich das Gefühl, allein schon mit meinem damaligen Umzug von der Stadt aufs Land, etwas erreicht zu haben." (lacht)
    Seit zwei Jahren wohnt Chris Garneau rund zwei Autostunden nördlich seiner alten Heimat New York auf einer Farm, wo er das neue Album in völliger Abgeschiedenheit erstmals allein aufgenommen hat. Nur die geschmackvolle unaufdringliche Orchestrierung durch Bläser, Streicher und Percussion wurde später in New York hinzugefügt.
    "Ich wollte nur eine kurze Zeit bleiben, um das Album aufzunehmen. Aber ich habe mich in das Landleben verliebt und kümmere mich jetzt sogar um die Tiere auf der Farm."
    Mit der Stimme experimentiert
    Gerade dank der Abgeschiedenheit auf einer Farm ist Chris Garneau mit "Winter Games" ein bewegendes und fast schon experimentell zu nennendes Album gelungen, mit dem er sich ein Stück weit von Songwriter-Vorbildern wie Elliott Smith lösen kann. Denn dass Chris Garneau seine Stimme zum Beispiel zu einem vocoderartigen-Chor übereinander schichtet, hätte er sich im Beisein von Tontechnikern und Produzenten im Studio nicht getraut, wie er abschließend erklärt.
    "Auf der Farm war niemand in der Nähe, der mich hätte hören können. Ich habe deshalb alle möglichen Sounds ausprobiert. Ich habe geschrien, Instrumente draußen gespielt oder Geräusche im Wald aufgenommen. Ich habe vor allem mit der Stimme experimentiert. Das hätte ich nie gemacht, wenn jemand anders im Raum gewesen wäre."