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Neues Gesetz in Bayern
"Stigmatisierung psychisch kranker Menschen"

Noch bevor sich der Landtag in Bayern heute mit dem Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz befasst, weht ihm massive Kritik entgegen. Betroffene sprechen von einem "Wegsperrgesetz" und fühlen sich stigmatisiert. Sie fürchten, sie könnten demnächst wie Kriminelle behandelt werden.

Von Burkhard Schäfers | 18.04.2018
    Eine Überwachungskamera am Eingang zur forensischen Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach, aufgenommen am 04.04.2017 in Ansbach (Bayern).
    Psychiatrie-Erfahrene stören sich vor allem am Duktus des Gesetzes (picture-alliance / dpa / Timm Schamberger)
    Rudolf Starzengruber ist verärgert. Als Mitglied in der Oberbayerischen Selbsthilfe Psychiatrie-Erfahrener vertritt er die Anliegen psychisch kranker Menschen. Eben die könnten in Bayern durch ein neues Gesetz demnächst wie Kriminelle behandelt werden, befürchtet Starzengruber:
    "Es sollte ein Hilfegesetz sein, aber es ist ein Wegsperrgesetz. Wir sind genauso nicht gefährlich wie jeder andere Mensch auch. Und deswegen braucht man das Gesetz nicht, die Sicherheit kann man anders auch gewährleisten."
    Die bisherige bayerische Regelung lässt vieles offen und muss daher ersetzt werden. Das jetzige Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz allerdings stammt in Teilen aus einer Vorschrift, die den Umgang mit psychisch kranken Straftätern regelt. Hier aber geht es um Patienten.
    "Für Betroffene ist es ein angstmachendes Gesetz. Es ist ein Gesetz, dass man die Hilfemöglichkeiten, die es gibt, dass man die durch Rückzug nicht mehr so in Anspruch nimmt, weil man Angst hat, sich auf der normalen Bildfläche zu bewegen, zu präsentieren. Weil wenn ein Problem auftritt, wird man dann ja mehr oder weniger relativ zeitnah weggesperrt."
    "Generalstigmatisierung"
    Die, die selbst Erfahrungen in der Psychiatrie haben, stören sich vor allem am Duktus des Gesetzes. Wenn Menschen, die unter Verfolgungswahn oder Depressionen leiden, sich selbst oder andere gefährden, können sie zwangsuntergebracht werden. Aber: Dass das neue Gesetz dafür Begriffe aus der Polizeisprache verwendet wie "Missbrauch", "Durchsuchung" und "Ergreifen", nennen die Betroffenen "zutiefst stigmatisierend". Dadurch leide das Ansehen der Kranken in der Bevölkerung, sagt Davor Stubican vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
    "Das sind Menschen, die in Krisensituationen eine Unterstützung, einen Schutz benötigen. Mit diesem Gesetz wird die Gefährlichkeit so überhöht und die Gefahrenabwehr so in den Vordergrund gerückt, dass es tatsächlich um eine Generalstigmatisierung psychisch kranker Menschen geht."
    Wer zwangsweise in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird, für den sieht die Regelung etwa vor, dass seine Kommunikation überwacht, Besuch untersagt und er ständig – auch mit Kameras – beobachtet werden kann. Bayerns CSU-Sozialministerin Kerstin Schreyer hingegen betont, in dem Gesetz gehe es als erstes um Hilfe: So will die Regierung landesweite Krisendienste einführen, bei denen Patienten rund um die Uhr anrufen können.
    "Wir wollen die Menschen nicht stigmatisieren, die psychisch erkrankt sind. Wir haben vom Bundesverfassungsgericht ein Urteil, nach dem wir agieren müssen. Da geht es um einen sehr kleinen prozentualen Anteil von Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Erkrankung Dinge tun, die wir alle nicht wollen, und das müssen wir regeln."
    Kritik an Speicherung von Daten
    Für massive Kritik sorgt indes die geplante bayernweite Unterbringungsdatei. In der sollen von jedem, der in die Psychiatrie eingewiesen wird, unter anderem Name, Geburtsdatum, Untersuchungsbefund sowie der Tag und Grund der Entlassung für fünf Jahre erfasst werden. Polizei, Justiz und Sozialministerium sollen auf die Daten zugreifen können. Fachleute halten das für extrem unverhältnismäßig: Hierdurch würden die Persönlichkeitsrechte der Patienten verletzt. Sozialministerin Schreyer ist bereit, den Kritikern entgegen zu kommen.
    "Ich gehe davon aus, dass wir am Ende über wenige Monate reden, über die Daten gespeichert sind. Und dann ist ja das Entscheidende, dass diese Daten anonymisiert sind. Dann wissen wir eben nicht, wer wo ist, sondern wir wissen nur, welche Diagnosen wie häufig wo anzutreffen sind."
    Fachleute bezweifeln jedoch, dass es der Regierung wirklich um Hilfe geht. In keinem anderen Bundesland gebe es so viele Zwangseinweisungen wie in Bayern: Rund 60.000 im Jahr, mehr als in Nordrhein-Westfalen, wo mehr Menschen leben, und fast zweieinhalb Mal so viele wie in Baden-Württemberg. Die Anregungen der Fachverbände zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz seien kaum berücksichtigt worden, sagt Davor Stubican vom Paritätischen Wohlfahrtsverband.
    "Wir müssen die Gefahrenabwehr wieder in den Hintergrund rücken. Sie ist notwendig, aber sie muss ganz anders mit Hilfe verschränkt werden. Und schon gar nicht dürfen Persönlichkeitsrechte dermaßen mit Füßen getreten werden wie das mit dieser zentralen Unterbringungsdatei beabsichtigt ist."
    Die Staatsregierung bringt das Gesetz heute in den Landtag ein. Weiterer Ärger, nicht nur aus der Opposition, dürfte ihr gewiss sein.