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Neues Gundelach-Album
Melancholie als Hoffnungsschimmer

Sind Norweger melancholischer als der Rest der Welt? Hört man sich die fragilen elektronischen Klänge von Gundelach an, so kann man schnell zu dieser Einschätzung kommen. Auf seinem neuen Album "My frail body" trifft Kopfstimmengesang auf Melodien wie aus einer anderen Welt.

Von Thomas Elbern | 30.03.2020
Gundelach mit E-Gitarre auf der Bühne während eines Konzertes
Der Produzent Gundelach bei einem Konzert, hier mit Gitarre statt am Synthie (imago stock&people / ZUMA)
Gundelach: "Bei diesem Album kam zum Tragen, das ich mittlerweile mehr Studioerfahrung gesammelt und wesentlich mehr Equipment wie Sequencer, Drum Machines und analoge Synthesizer zur Verfügung hatte. Außerdem wollte ich mit Ambient und Field Recordings arbeiten. Ich glaube, das hat dem Album diesen speziellen Sound gegeben."
Die Elegie der Schaltkreise
Dieses spezielle Klangbild, das ist es, was die Musik von Gundelach ausmacht. Es ist elektronische Musik für Menschen, die eigentlich keine elektronische Musik mögen. Denn der Produzent verbindet elegische Harmonien mit den Schaltkreisen seiner Synthesizer, Field Recordings mit glitzernden elektronischen Flächen. Ein melancholischer Unterton zieht sich durch das gesamte Album, den Gundelach selbst als so etwas wie einen Hoffnungsschimmer interpretiert:
Gundelach: "Meine Freundin war während der Produktionszeit schwanger, es war Frühling und Sommer und wir haben viel Zeit in der Natur verbracht. Ich fühlte diese organische Verbindung zwischen der Natur und unseren Körpern und dachte viel über Evolution nach. Außerdem finde ich, das Oslo ein guter Ort ist, um Musik zu produzieren. Einen Teil des Albums hatte ich in Berlin aufgenommen und in einem abgelegenen Ort in Norwegen, wo die Produktion mit meinem Partner stattfand."
Um zu verstehen, wie Gundelach an seine Kompositionen geht, ist der Song "Bolder" eine gute Wahl. Das war eine Auftragsarbeit für das Edvard Munch Museum in Oslo. Die Aufgabe war, ein Bild des international bekannten norwegischen Malers musikalisch zu interpretieren. Munch, der zu den Expressionisten der Moderne gehört und dessen Bild "der Schrei" zu seinem Markenzeichen geworden ist, war eine künstlerische Herausforderung für Gundelach, die er gerne annahm.
Inspiriert vom "Selbstporträt in der Hölle"
Gundelach: "Meine Wahl fiel auf "Selbstporträt in der Hölle", aus dem ich den Song "Bolder" machte, der nun auch auf dem neuen Album zu finden ist. Weil es eine Auftragsarbeit war, war ich viel schneller als sonst, außerdem half mir die visuelle Komponente des Gemäldes, weil ich mich daran orientieren konnte. Diese Methode, Musik zu machen, hat mir sehr gut gefallen, weil mich das Bild sehr inspiriert hat, den Song dazu zu komponieren und die Stimmung zu kanalisieren."
Hits und Hymnen wird man auf "My frail body" nicht finden. Gundelachs neues Album überzeugt als Gesamtkunstwerk, das man am besten an einem Stück durchhört. Deswegen stört es auch nicht, wenn sich Instrumentals mit Gesangsstücken abwechseln. Denn es ist die Atmosphäre, die den Reiz des Albums eher ausmacht.
Unweigerlich denkt man an die Intimität eines James Blake oder den verträumten Electro Pop der kanadischen Produzentin "Grimes". Und live ist Gundelach eine gefragte Größe: er trat auf dem bekannten dänischen Roskilde oder dem Great Escape Festival im englischen Brighton auf und unternahm diverse Solotouren durch benachbarte europäische Länder. Doch wie derzeit so vielen Künstlern macht auch ihm die Corona-Pandemie einen Strich durch die weitere Planung.
Knapp am Kitsch vorbei
Gundelach: "Eine Tour für den Herbst ist bereits gebucht und ich hoffe sehr, das ich diese Gigs spielen kann. Meine Hoffnung, auf diversen Festivals nach dieser Veröffentlichung aufzutreten, schwindet allerdings immer mehr, da diese wohl alle nicht stattfinden werden. Das alles spiegelt sich natürlich dann auch in meinen Einnahmen wider. Ziemlich seltsame Zeiten, bei denen man nicht weiß, wie lange sie andauern werden. Zum Glück bin ich gerade nicht Single und kümmere mich um unser Baby, was ich eh vorhatte. Also habe ich etwas zu tun, wenn ich schon die ganze Zeit in diesem kleinen Appartement hocken muss."
Schon in den frühen 1980ern wurde in Oslo an elegischen Gesangsharmonien mit opulenten Songstrukturen gearbeitet. Damals hieß die Gruppe "A-ha" und hatte damit großen Erfolg. Obwohl das Ganze in einer völlig anderen Zeit als heute passierte, gibt es dennoch Parallelen zu Gundelachs Album "My frail body", auf dem er sich ebenfalls traut, immer schönere Melodien zu komponieren, die nur ganz knapp am Kitsch vorbeischrammen.